Berlinale Special Gala: „Love Lies Bleeding“ und „Seven Veils“

Zwei Enden des Spektrums: In der außer Konkurrenz laufenden Sektion „Berlinale Special Gala“ haben wir einen überraschenden Favoriten und einen filmischen Totalausfall entdeckt.

„Love Lies Bleeding“ von Rose Glass

Love Lies Bleeding” ist mit seiner Ästhetik der 80er Jahre, seiner bunten Aufdringlichkeit und seiner verdreckten, verrauchten Hitze der stereotypisch amerikanischste Film, den ich seit langem gesehen habe. Da er sich seiner Klischees aber völlig bewusst ist und sich selbstironisch auch noch darüber amüsieren kann, nehme ich es ihm nicht übel, im Gegenteil. Angesiedelt in der für sich schon überreizte und abgedrehte Welt des Bodybuildings, schwankt der neue Film der (interessanter Weise britischen Regisseurin) Rose Glass zwischen queerer, komödiantischer Liebesgeschichte und durchaus düsterem, brutalem Thriller. Das authentische Setting des Fitness-Studios in einer abgelegenen, amerikanischen Kleinstadt vereint beide Genre ganz wunderbar.

Die junge Managerin des Fitnessstudios Lou (Kristen Stewart) lebt ein recht eintöniges und zurückgezogenes Leben, bis die Bodybuilderin Jackie (Katy M. O’Brian), auf dem Weg zu einem Wettkampf in Las Vegas, bei dem sie ihre Träume verwirklichen will, in jenem   Fitnessstudio Halt macht. Da Jackie lediglich mit ihrem Rucksack und ohne genauen Plan unterwegs ist, zieht sie vorübergehend bei Lou ein. Allerdings wird diese neue Idylle bald unterbrochen, als die Bedrohung durch Lous kriminellen Familienhintergrund durchbricht und überhandnimmt.

Kristen Stewart und Katy M. O’Brian sind in den zwei weiblichen Hauptrollen wirklich beeindruckend, unter anderem durch ihre Authentizität und Unberechenbarkeit. Gemeinsam mit der stimmungsvollen Szenerie und dem passenden Soundtrack hält der Film exakt die Waage zwischen Thriller, Romanze und Splatter. Die Atmosphäre ist dabei unbestreitbar sehr speziell und wird nicht jeden Geschmack treffen oder jedermanns Sinn für Humor ansprechen, aber ich habe den Eindruck, dass der Film sich dabei ganz wohl fühlt und dadurch sehr unverfälscht bleibt.

(Emilie Rudolph)

„Seven Veils“ von Atom Egoyan

Atom Egoyan will sehr viel mit seinem Drama „Seven Veils“. Ihm zugrunde liegt die reale Inszenierung der Oper „Salome“ von Richard Strauss, basierend auf dem Stück von Oscar Wilde, die der kanadische Regisseur erstmals 1996 und 18 Jahre später erneut in Toronto auf die Bühne brachte. Im Rahmen jener Wiederaufführung fasste Egoyan den Entschluss, seine Inszenierung auch filmisch zu begleiten. Statt einer Dokumentation kreierte er den fiktiven Plot um eine Regisseurin (Amanda Seyfried), die nicht ihre eigene, sondern die Inszenierung ihres inzwischen verstorbenen Mentors und Liebhabers als Auftragsarbeit erneut zur Aufführung bringt. Daraus entstanden ist das Drama „Seven Veils“, das die Berlinale als Special Gala zeigt. 

Der Einstieg lässt es bereits erahnen – Atom Egoyan will sehr viel, aber nur sehr wenig davon kann als gelungen bezeichnet werden. „Seven Veils“ versucht, sich Themen wie Machtmissbrauch, Inzest und dem Me-Too-Movement in der Opernwelt anzunehmen, scheitert dabei aber krachend. Ob Egoyan versucht hat, einen feministischen Film zu machen, indem er sein Regie Alter-Ego mit einer Frau besetzt, lässt sich nur erahnen. Auch das geht völlig nach hinten los, denn leider wirkt Amanda Seyfried in ihrer Rolle als Opernregisseurin so heillos überfordert, dass jede Kritik, die das Umfeld an ihr übt, erschreckend berechtigt scheint. Und wenn sie sich dann auch noch über den in ihren Augen albernen und unnötigen Einsatz einer Intimitäskoordinatorin mokiert und deren Arbeit ins Lächerliche gezogen wird, indem gezeigt wird, wie sie sich einer Fellatio-Szene mithilfe von Yoga-Übungen anzunähern versucht, lässt sich nicht mehr verhüllen, dass hier ein Mann, der schlichtweg nicht begriffen hat, was Phase ist, die weibliche Perspektive für seine Zwecke missbraucht. 

Ebenfalls wenig gut tut dem Film die Vermischung aus Realem und Fiktiven. Die realen Opernstars, allen voran Michael Kupfer-Radecky als übergriffiger Opernsänger in der Rolle des Täufers Johannes, tun sich und dem Film mit den Spielszenen keinen Gefallen. Irgendwo zwischen hölzern, unsicher, überzogen und völlig unglaubwürdig stolpern die Figuren durch die kaum vorhandene Handlung, die immer dann besonders ärgerlich wird, wenn es um so tiefe Themen wie Missbrauch im Familien- und Arbeitsumfeld geht. Dass wir es hier mit den schlimmsten und schwersten menschlichen Abgründen zu tun haben, muss Egoyan offensichtlich mit einem Horrorfilm-artigen Score betonen, um darüber hinweg zu täuschen, dass das Skript schlichtweg nichts her gibt und die spielerische Qualität der einzelnen Szenen eher im Seifen- als im Opernbereich einzuordnen sind.

„Seven Veils“ ist einer dieser immer wieder passierenden Berlinale-Ausreißer, die trotz ihrer mangelnden Qualität nicht ignoriert werden sollten. Die Frage ist nämlich, warum solche Filme es trotzdem auf die Leinwand eines der größten Filmfestivals der Welt schaffen. Ob der Name und die Vita eines Regisseurs zu viel Gewicht haben um die Augen dafür zu öffnen, wie erschreckend falsch er mit seinem neuen Film abgebogen ist. 

(Gabi Rudolph)

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