Ich hab sie wirklich lieb, die Berlinale. Wir kennen uns jetzt schon eine ganze Weile und haben eine Menge miteinander erlebt. Aber letztes Jahr ist sie mir noch einmal ganz besonders ans Herz gewachsen, seitdem ich das erste Mal Bericht erstattend auf ihr, mit ihr, unterwegs war. Wenn man dann, genau ein Jahr später, zurück in den Pressesaal im Hyatt Hotel kommt und das Smartphone loggt sich automatisch im örtlichen WLAN ein, das fühlt sich doch wirklich wie nach Hause kommen an.
Man trifft die Leute wieder, die man im letzten Jahr kennengelernt hat, kriegt Nachrichten von denen, die Bescheid geben wollten, dass sie nächste Woche in der Stadt sind. In solchen Momenten werde ich empfänglich für romantische Gefühle. Und auch die internationale Filmprominenz kommt mir vor dem blauen Backdrop mit dem Berlinale Bären im Hintergrund direkt so vertraut vor. Dieses Jahr ist es zum Beispiel Jury Präsident Paul Verhoeven, der mich so verrückt warm im Herz trifft. Und ich habe dem armen Mann gegenüber wirklich meine Vorurteile. Ich meine, er hat Filme wie „Basic Instinct“ und „Showgirls“ verbrochen! Das nehme ich ihm schon übel. Aber dieser niederländische Akzent ist wirklich niedlich! Und wie Maggie Gyllenhaal ihm die ganze Pressekonferenz über immer wieder mit der Technik seines In-Ear-Übersetzers hilft ist wirklich wahnsinnig sympathisch. Dann antwortet der mexikanische Schauspieler und Regisseur Diego Luna auf die Frage, was er denn zu Donald Trumps Mauerbau Plänen sagen würde auch noch sinngemäß, er habe viele Love Stories in den USA laufen. Da könne ihn auch keine Mauer von abhalten. Hach!
Jetzt aber mal Spaß beiseite. Ich bin in solchen Momenten wirklich immer ganz beseelt. Aber das hat auch einen ernsthaften Grund. Es ist einfach unglaublich erhebend, wenn so viele Menschen auf einen Schlag aus der ganzen Welt zusammen kommen, um gemeinsam eine Form der Kunst zu würdigen. Da meldet sich eine Journalistin aus Kanada. Kanada! Ich bin vier Stationen mit der S-Bahn angereist. Dort jemand aus Russland. Dann wird der chinesische Regisseur und Drehbuchautor Wang Quan’an von einer Journalistin in einwandfreiem chinesisch in einen Frage-Antwort-Abtausch verwickelt. Überhaupt wirkt die Jury wieder einmal so, als würde sie sich uneingeschränkt auf die Aufgabe freuen, die ihr in den nächsten Tagen blüht.
Komische Zeiten sind es, die gerade überall vor der Tür lauern. Kaum ein Künstler kommt heutzutage umhin, sich nicht auch politisch zu äußern. Um dies wirkungsvoll zu tun, muss man keine großen Reden schwingen. Man kann es auch machen wie Maggie Gyllenhaal, die nur einmal kurz, bestimmt aber fast schon sanft verkündet, sie gehöre zu den Amerikanern, die da seien um Widerstand zu leisten. In dem im Anschluss gezeigten Eröffnungsfilm „Django“ gibt es eine Szene, in der eine Pariser Partygesellschaft sich über Filmaufnahmen von Hitler amüsiert, die grotesk zusammen geschnitten und mit lustiger Musik unterlegt wurden. „Wer ist dieser Clown?“ fragt Django Reinhardt, ein französischer Jazzmusiker mit Sinti-Wurzeln, der Ende des zweiten Weltkrieges nur knapp der Verfolgung durch die Nazis entkam. Zu jenem Zeitpunkt ist Hitler in Frankreich noch nicht viel mehr als eine Witzfigur. Szenen wie diese bleiben einem regelrecht im Hals stecken. Die ulkigen Filmaufnahmen sind das zeitliche Äquivalent zu den unzähligen Trump Gifs und Memes, die heute das Internet schwemmen. Achtsamkeit gegenüber den Entwicklungen auf der Welt ist wichtiger denn je, Widerstand ist unabdingbar, damit die Clowns von heute nicht die Verderbensbringer von morgen werden.
In einem Radiointerview wurde Festivalleiter Dieter Kosslick am Morgen des Eröffnungstages gefragt, was die Filme der diesjährigen Berlinale thematisch eint. Es sind natürlich die großen Themen unserer Zeit, die nach wie vor präsent sind: Ausgrenzung, Verfolgung, Flucht. Aber, so sagt Kosslick, ihm falle auf, dass die filmische Umsetzung sich dahin entwickle, dass wieder eine neue Form der Hoffnung mitschwingt. „Django“ ist dafür das beste Beispiel, denn die Geschichte von Django Reinhardt ist die eines Überlebenden, die gesamte letzte Szene von Etienne Comars Biopic ist den Überlebenden Sinti gewidmet. Insofern erweist sich „Django“ als würdiger Eröffnungsfilm, denn er zeigt, wie wichtig Hoffnung und Überlebenswille sind. Gleichzeitig erschreckend, wie aktuell historische Filme sich plötzlich wieder anfühlen können.
Es sieht ein wenig so aus, als könne es eine ruhigere Berlinale für mich werden als letztes Jahr. Sie scheint etwas weniger auf Krawall gebürstet, etwas nachdenklicher, weniger die Hosen runter lassend. Aber was weiß ich jetzt schon, sie hat ja gerade erst angefangen.
Auf der Berlinale unterwegs: Gabi Rudolph
Foto: Django, Wettbewerb 2017, FRA 2017, von: Etienne Comar, Reda Kateb © Roger Arpajou