Bella Latham aka Baby Queen hat eine ganz besondere Beziehung zu ihren Fans. Während der Pandemie veranstaltete sie Zoom-Parties, bei denen sie nicht nur den ein oder anderen Song performte, sondern für ihre Fans auch ein offenes Ohr hatte. Man präsentierte seine Haustiere, erzählte sich seine Sorgen und Nöte und tauschte sich darüber aus, welche Medikamente am besten gegen Depressionen helfen. Ja, so ist das Leben im „Baby Kingdom“, wie Bella selbst die eingeschworene Gemeinde nennt, die wie mehr wirkt als eine Zahl zusammengewürfelter Individuen, die zufällig den gleichen Popstar anhimmeln. An dem Tag, als Baby Queen ein kleines Konzert im Berliner Fluxbau spielt, sitzt bereits in den Nachmittagsstunden ein nicht unbeachtlicher Teil des Baby Kingdoms vor dem Eingangstor und verbreitet eine aufgeregte Atmosphäre, als ich hinein gehe, um mich vor dem Soundcheck mit Bella zum Gespräch zu treffen.
Wir sitzen auf der Terrasse, direkt an der Spree, und Bella sagt als erstes, wie gerne sie in der Nähe von Wasser ist. In London, so erzählt sie mir, habe sie eine zeitlang auf einem Hausboot gewohnt. „Das war aber eigentlich gar nicht romantisch,“ grinst sie. „Vor allem im Winter.“ Die Anekdote ist bezeichnend für Bella, der etwas sensibles, nahezu ätherisches anhaftet. Gleichzeitig wirkt sie unglaublich zäh, und das ist dann auch schon Baby Queen in a Nutshell: man sollte nicht glauben, dass hinter dem feenhaften Namen eine Popprinzessin steckt, die nie stolpert, damit sie sich die Krone erst gar nicht richten muss. Bella Latham wuchs in Südafrika auf, zog nach London um Musikerin zu werden und kämpfte sich durch die Erfahrung, eine Karriere mitten in einer globalen Pandemie tu starten. Ohne Frage, wer Baby Queens ersten Hit „Want Me“ oder auch ihre aktuelle Single „Lazy“ gehört hat, dem dürfte nicht entgangen sein, dass sie weiß, wie man große Popsongs schreibt. Aber Baby Queen ist so offen wie eine frische Wunde, sie lädt uns dazu ein, ihrer Verletzlichkeit, ihren dunklen Stunden beizuwohnen und spricht dabei vor allem junge Menschen an, die sich in dieser verwirrenden, überfordernden Zeit ähnlich verloren fühlen.
Neben der Begeisterung darüber, in Berlin auf einer Terrasse direkt an der Spree zu sitzen, ist Bellas vorherrschendes Gefühl an diesem Tag Erschöpfung. Und auch wenn sie sich irgendwann scherzhaft dafür entschuldigt, ihre ganze Panik bei mir abzuladen, ist sie im Gespräch im Prinzip genauso direkt und ehrlich wie in ihren Texten, ihrer Musik und ihrer Performance und macht keinerlei Anstalten, sich für irgendetwas zu rechtfertigen. Stattdessen erzählt sie mir frei von der Leber weg von dem körperlichen und seelischen Stress, den eine Karriere als Musikerin heutzutage mit sich bringt, der besonderen Beziehung zu ihren Fans und der Arbeit an ihrem Debütalbum.
Ich habe inzwischen einige junger Künstler*innen getroffen, die ihre Karriere mitten in der Pandemie gestartet haben. Die meisten sagen, es war in Ordnung, weil sie es nicht anders kannten. Aber hast du nicht das Gefühl, dass du etwas verpasst hast?
Absolut, für mich trifft das total zu. Ich habe Zuhause an meinem Küchentisch via Zoom bei meinem Plattenlabel unterschrieben. Es ist dieser große Moment, von dem man sein ganzes Leben lang träumt, man sitzt in einem Konferenzraum, unterschreibt ein Stück Papier und alle jubeln los. Stattdessen war es über Zoom, alle kurz mal ‚wohooo!‘ und ich dann so: ‚okay, tschüss! Cool.‘ Genau wie du sagst, ich hatte nichts, womit ich es vergleichen konnte. Es war nicht so, dass ich schon ein Jahr vorher Künstlerin war und dann war plötzlich alles anders. So war es einfach für mich. Damals dachte ich oh, das ist toll, das macht Spaß. Aber jetzt, wenn ich zurückblicke, denke ich, dass es meine Entwicklung als Künstlerin definitiv gehemmt hat. Besonders, weil die Liveshow so ein wichtiger Teil von Baby Queen ist. Mir ist schnell bewusst geworden, dass man sie live erleben muss. Und ich glaube, dass ich das nicht haben konnte und nirgendwo hin konnte und kein Gefühl dafür bekommen konnte, wie groß die Welt ist… ich war zum Beispiel dieses Jahr zum ersten Mal in Amerika. Ich bin hin gereist, sobald es mit Corona möglich war. Und ich dachte wow! Die Welt ist riesig. Es bringt dich auf ein neues Level, wenn du siehst, was da draußen vor sich geht. Ich konnte es vorher einfach nicht sehen! Ich glaube wirklich, wirklich, dass ich schneller eine größere Künstlerin geworden wäre, wenn die Situation eine andere gewesen wäre. Aber damals war es so wie es war, es war alles was ich kannte, und es hat Spaß gemacht. Und vielleicht war es auch gut, als Künstlerin erst einmal aufgrund der Situation ein wenig behütet zu sein, bevor ich in alles hinein geworfen wurde. Ich konnte quasi langsam wachsen. Ziemlich seltsam. Erst wenn man auf der Bühne gestanden hat, kann man voll und ganz verstehen, wer man als Künstler*in ist. Denn das ist der Moment, in dem die Musik, das Visuelle, deine Persönlichkeit, wie du dich bewegst, alles was dich ausmacht, zusammen kommt. Als ich schließlich auf der Bühne stand, dachte ich: fuck, ich hasse diesen einen Song, den ich geschrieben habe! Ich bin nicht dieser tanzende, singende Popstar. Ich bin gefährlicher als das. Und es hat lange gedauert bis ich an den Punkt gekommen bin, an dem ich verstanden habe, wer ich als Künstlerin sein wollte. Weil ich einfach nicht die Möglichkeit hatte, es auszuprobieren. Das macht mich schon traurig. Ich hatte so viele Momente, in denen ich Dinge bereut habe, die ich in der Vergangenheit gemacht habe, Entscheidungen die ich getroffen habe. Aber letztendlich, was kann man tun? Du bist wer du bist, und alles was du tun kannst ist nach vorne schauen und sagen, ‚in Zukunft mache ich das so‘. Aber ja, es ist verdammt hart.
Ich kann mir auch vorstellen, dass es völlig absurd ist, wenn du nach Amerika kommst, noch nie dort warst, aber die Leute kennen dich und deine Musik.
Oh ja, das ist total seltsam! Es ist einer dieser Momente, in denen du denkst: ‚okay, das ist jetzt also dein Leben.‘ Ich werde jetzt eine Show in New York spielen und da werden Leute sein, die mich kennen. Ich spiele ja offensichtlich noch keine riesigen Shows, es sind immer noch kleine Konzerte. Aber natürlich ist es seltsam. Selbst hierher zu kommen und es sind Leute da, die mich sehen wollen. Es ist sehr seltsam und sehr schön. Aber ich glaube die größte Herausforderung ist, herauszufinden, wieviel Arbeit es wirklich ist. Ich glaube, das verstehen die wenigsten. Ich hatte seit einem Monat keinen einzigen freien Tag mehr, ich bin erschöpft. Ich bin buchstäblich aus Los Angeles eingeflogen und habe am nächsten Tag gearbeitet. Es ist sehr herausfordernd und es gibt nie wirklich Zeit, etwas sacken zu lassen. weil man immer auf das nächste große Ding hinarbeitet. Und noch größer und noch größer… verstehst du, was ich meine? So ist das Ganze ausgelegt. Du darfst dich nie ausruhen, sondern sollst immer nach mehr streben. Es ist ein komischer, kleiner Job (lacht).
Im Moment gibt es ja eine Auseinandersetzung damit, wieviel man als Künstlerin auf sich nehmen muss, vor allem wenn man noch sehr jung ist. Wie Arlo Parks und Sam Fender zum Beispiel, die Konzerte absagen mussten, weil sie einfach nicht mehr können.
Ich habe den Artikel im Guardian gelesen über all die Künstler*innen, die ihre Shows gecancelt haben. Mir ging es dieses Jahr gut. Aber gerade denke ich… In dem Artikel stand etwas wie: ‚wenn du dich fragst, wie ein Burnout sich anfühlt, dann hast du den Punkt schon überschritten.‘ Und genau so fühle ich mich. Ich bin in einer Position, in der ich das Gefühl habe, nichts absagen zu können. Ich habe das Gefühl, ich muss einfach alles machen. Und nächstes Jahr wird so viel anstehen. Man gewöhnt sich aber dran. Vor einem Jahr hätte ich nicht damit umgehen können. Ich denke, man gewöhnt sich an das, was von einem erwartet wird, du wirst stärker und hast mehr Durchhaltevermögen. Aber ich verstehe es total, seit Corona stehen alle Künstler*innen unter Druck, so viele Shows wie möglich zu spielen und all den Mist zu machen. Dazu kommt der Druck von Social Media, du musst dort präsent sein und die ganze Zeit posten. Heutzutage gehört viel mehr dazu, als Songs zu schreiben und Shows zu spielen. Es wird von dir erwartet, dass du so viele verschiedene Dinge bist. Ich finde, es ist wirklich viel. Dein Gehirn ist gleichzeitig an 20 Millionen verschiedenen Orten. So fühle ich mich im Moment. Ich habe das Gefühl, ich gebe bei allem was ich tue zwanzig Prozent, weil ich nicht die Kraft habe, irgendwo hundert Prozent zu geben. Ich habe einfach nicht die Zeit. Und das nervt mich, weil ich Perfektionistin bin. Ich wurschtel mich so durch. Aber gerade geht es mir ehrlich gesagt nicht so gut. Ich habe ein bisschen eine harte Zeit, um ehrlich zu sein.
Ich frage mich ehrlich gesagt, wie es einem im Moment überhaupt gut gehen kann. Es ist einfach zu viel los.
Es ist zu viel. Zu viel für eine Person. Ich sage immer, wenn ich mich duplizieren könnte und dann gäbe es eine von mir hier und eine da drüben… aber es gibt nur mich allein. Am Ende ist es so, dass alle in meinem Team, bei meinem Label, in meinem Management ihren Job machen, aber für mich ist es mein Leben. Und dann heißt es: ‚du hast dir das ausgesucht. Du wolltest es so.‘ Will ich wirklich all das?
Nun, du kannst es nicht wirklich wissen, solang du nicht drin steckst.
Man hat einfach keine Ahnung!
Ich finde auch, dass du als Künstlerin sehr viel gibst. Das macht einen verletzlich. Und du lässt deine Fans sehr nah an dich ran, wodurch sie sich dir sehr persönlich öffnen. Ich kann mir vorstellen, dass das mit einem Gefühl von Verantwortung verbunden ist, das man nicht auf die leichte Schulter nimmt.
Wenn man mit den Menschen so ehrlich ist wie ich es bin, dann öffnen sie sich einem genauso. Es ist schwer, weil ich glaube, sie wollen sich auf eine Art an mir festhalten. Dabei versuche ich selbst nur, mit dem Kopf über Wasser zu bleiben. Es ist ein bisschen kompliziert, ich muss versuchen, das besser zu kontrollieren. Ich glaube, ich habe die Menschen so sehr in mein Leben gelassen, dass ich selber fast darin ertrunken wäre. Weil es mir tatsächlich etwas bedeutet. Aber ich kann mir nicht alles aufbürden. Ich kann einfach nicht. Es ist eine seltsame Situation, um ehrlich zu sein. Aber es ist auch großartig. Du hast recht, ich mache das nicht für mich, es geht nicht einfach nur ums Musik machen. Ich mache mir sehr viele Gedanken darüber, was ich veröffentliche. Vor allem jetzt bei dem Album, das ich gerade mache. Manchmal ist es so viel, dass ich wie gelähmt bin und gar nichts mehr tun kann. Weil ich möchte, dass alles perfekt ist. Ich möchte so viele verschiedene Messages rüberbringen. Ich mache mir selbst sehr viel Druck. Und dann weiß man selbst die meiste Zeit nicht, was man eigentlich tut. Du kannst nur das tun, was du selbst für richtig hältst. Du machst diese Art von Musik, weil du denkst, dass es die richtige Entscheidung ist, du gehst in die Richtung, weil du denkst, dass es so richtig ist. Aber wie kann ich es wissen? Ich könnte eine falsche Entscheidung treffen und daran scheitern. Du bekommst gerade meine ganze Panik ab (lacht).
Das ist okay! Und das Schöne daran ist, genau das ist der Grund, warum man sich dir und dem was du tust so verbunden fühlt. Die Leute sehnen sich nach etwas Ehrlichem, das zu ihnen spricht. So wie sie jetzt schon draußen vor der Tür sitzen und auf dich warten.
Ich weiß! Es ist verrückt. Und es ist süß. Sie haben wirklich eine sehr tiefe Verbindung zu mir. Und ich weiß, meine Fans und die Verbindung, die sie zu mir spüren, ist ungewöhnlich. Ich weiß, es ist besonders. Nicht alle Künstler*innen haben so etwas. Ich spiele vielleicht nicht die größten Shows, aber jedem der da ist, bedeutet sie so viel. So sehr berührt es die Leute, und ich bin mir dessen durchaus bewusst. Es ist wunderwunderschön. Ich bin ein Glückskind. Und ich fühle mich immer schlecht wenn ich mich beschwere, weil ich weiß, wieviel Glück ich habe.
Es ist wichtig, seinen Job zu lieben und trotzdem Grenzen zu ziehen. Ich denke, wir haben inzwischen gelernt, dass man nicht alles mitmachen muss, um erfolgreich zu sein. Zumindest hoffe ich das.
Ja, wenn man immer zu allem tapfere Miene machen muss… nur weil es von außen wie ein gutes, aufregendes, wunderbares Leben aussieht, heißt es nicht, dass es nicht auch schwierig ist. Das war’s! (lacht)
Es macht einen großen Unterschied, dass du jetzt Konzerte spielen kannst. Mir ist aufgefallen dass du gesagt hast, du spielst manche deiner Songs nicht mehr so gerne live. Ich habe nämlich das Gefühl, dass dein Sound sich in letzter Zeit verändert hat und habe mich gefragt, ob das mit den neuen Erfahrungen zusammen hängt, die du auf der Bühne machen konntest.
Interessant, dass du das gehört hast. Für mich hat es angefangen, als mein Song „Wannabe“ raus kam und dann „Nobody Really Cares“. Jetzt habe ich einen neuen, der heißt „Lazy“. Ich bin mit der Entscheidung an das Album ran gegangen, nur Songs zu schreiben, die niemand außer mir singen kann. Ich habe einen Song, „Buzzkill“, das war der zweite Song, den ich je veröffentlicht habe. Der hat einen sehr spezifischen Charakter. Die Identität von Baby Queen ist diese ziemlich sarkastische, desillusionierte, leicht bitchy Stimme. Das ist genau das, was Baby Queen für mich ausmacht. Wenn mich jemand fragen würde ‚wer ist Baby Queen‘, ich würde ihm diesen Song vorspielen. Und ich wollte ein Album mit genau solchen Songs machen. Back Queen ist dreckig, hat Ecken und Kanten, ist gefährlich, lustig und chaotisch. Nichts an ihr ist glatt oder perfekt. Das war meine Entscheidung. Erst meinte ich: ‚Nein, ich will keine Gitarren auf diesem Album haben, wir machen ein Popalbum!‘ Also habe ich angefangen, ein Popalbum zu machen. Und es war scheiße! (lacht) Jetzt gibt es Unmengen an Gitarren, es ist super rockig und ein bisschen psychedelisch. Ich liebe es! Ich glaube, die Leute werden ein bisschen mehr meine schillernden Pop-Sachen mögen, aber scheiß drauf! Selbst wenn es schief geht und die Leute es nicht mögen, dann geht es schief aufgrund einer Entscheidung, die ich getroffen habe. Dann kann ich mir selbst die Schuld geben. Es wäre schrecklich, wenn ich ein Pop-Album machen würde, es geht schief und ich würde denken: ‚Ich wusste vom tiefsten Grund meiner Seele, dass ich das nicht hätte tun dürfen.‘ So etwas bereut man für den Rest seines Lebens. Zumindest folge ich meinem Herzen.
Du hast einen ziemlich eigenen Stil im Songwriting. Ich glaube ja daran, wenn ein Song wirklich gut ist, dann ist es egal, ob er einen Gitarrensound hat oder total Pop ist. Und ich bin Teil einer Generation, der man immer eingebläut hat, dass Pop scheiße ist.
Ich bin jetzt auch Teil dieser Generation (lacht). Willkommen im Club. Aber ja, wenn ein Song ein gutes Konzept hat, ein guter Titel ist auch eine feine Sache, wenn die Lyrics und die Melodie gut sind, dann ist es das, im Prinzip. Die Leute werden immer eine Beziehung zu den Dingen haben, die sie etwas fühlen lassen. Wenn ich ein bestimmtes Gefühl bekomme, wenn ich einen Song schreibe, wenn ich fühle, dass ich von ihm verdammt nochmal besessen bin, dann kann ich jeden Abend auf der Bühne stehen und ihn repräsentieren, weil ich stolz darauf bin. Ich habe so viele Songs geschrieben, die man als Hits bezeichnen würde. Mein Label sagt dann: ’nimm die aufs Album.‘ Und ich: ‚Nein!‘ Weil ich nicht stolz darauf bin. Wie kann man das machen? Hinterher denkst du: ‚Ich hätte niemals diesen Song rausbringen sollen.‘ Ich hätte auf mich selbst hören sollen. Was ich in der Vergangenheit nicht getan habe, ich glaube, ich habe ein paar Songs rausgebracht, die… Aber ich habe mich in der Vergangenheit auch getäuscht. Und ich könnte jetzt ewig darüber reden, ich könnte dir alles erzählen, was ich falsch gemacht habe. Aber ich glaube nicht, dass das besonders konstruktiv wäre (lacht). Ich hatte viele Momente wie (heult): ‚Habe ich alles ruiniert? Bin ich am Ende? Habe ich alles verdammt nochmal in den Sand gesetzt?‘ Und die Leute sagen zu mir: ‚Nein, ist doch alles gut!‘ Nun ja… verrückt! (lacht)