Jedes Mal wenn ich Anna Calvi sehe, muss ich daran denken, wie ich sie 2011 zu Beginn ihrer Karriere zum Interview getroffen habe. Es war mitten in einem kalten Berliner Winter, wir saßen im leeren Restaurant des Michelberger Hotels, Anna frierend ganz nah neben der Heizung, die Ärmel ihres Pullovers über die Hände gezogen. So zart wirkte sie, mit ihren blonden Korkenzieherlocken und der leisen, hohen Stimme, man konnte sich kaum vorstellen, dass das die Person ist, die auf der Bühne mit ihrer Gitarre und ihrer Stimme einen derartigen Sturm entfesselt.
Über die Jahre haben wir diesen Sturm nie aus den Augen gelassen. Unsere Fotografin Lynn zum Beispiel hat in den letzten Jahren kaum eine Gelegenheit ausgelassen, Anna Calvi durch ihre Linse zu bewundern. 2013 im Heimathafen Neukölln, ein Jahr später im Kesselhaus – immer wieder hat sie uns mit ihrer Musik und ihrer Präsenz aufs Neue verzaubert. So sehr, dass Lynn an diesem Abend im Astra Kulturhaus ihre Kamera weg steckt, nachdem sie wie beauftragt die ersten drei Songs fotografiert hat und zu mir sagt: „So, fertig. Jetzt bin ich einfach nur Fan.“ Und sie fängt an zu tanzen.
Der Sturm von dem wir hier sprechen, ist in den letzten Jahren zu einem regelrechten Hurricane gewachsen. Spätestens seit dem inzwischen legendären Konzert letztes Jahr im Berliner Berghain und dem Release ihres dritten Albums „Hunter“ ist deutlich geworden, dass Anna Calvi in ihrem Inneren noch ein paar neue Dämonen aufgestöbert hat, die sie nun gnadenlos entfesselt. Über einen Steg bewegt sie sich durch die Menge zu einer kleinen, vorgelagerten Bühne. Ihr Gitarrenspiel und ihr Gesang sind so viel körperlich geworden, wie ein Derwisch jagt sie über die Bühne, eine düstere, rote Göttin. Sie spielt mit großen Rockstar-Gesten, die sie gnadenlos überhöht, wenn sie sich mit der Gitarre am Boden wälzt oder wenn sie aufrecht, mit von sich gestreckten Armen über den Steg schreitet, wie Jesus, der seine Jünger umarmt. Und trotzdem wirkt sie dabei, auf eine absurde Art, völlig authentisch.
Während ich dem Spektakel in seliger Verzückung beiwohne, ist der mich begleitende Freund eher irritiert. Für ihn ist die Düsterkeit zu groß, er empfindet die Show wie eine einzige, lang gezogene Depression. Allerdings schreibt er mir am nächsten Tag: „Bin viel entspannter heute. Vielleicht wirkt Frau Calvi doch auf verborgenen Wegen.“ Das tut sie, in der Tat.
Fotos: Lynn Lauterbach
Bericht: Gabi Rudolph