Puzzeln mit Aldous Harding
Aldous Harding ist ganz anders. So stürmisch, kompliziert und überbordend ihre Musik ist, so gegensätzlich sanft und ruhig ist die Neuseeländerin im Interview. Jedes Wort wird von ihr genauestens durchexerziert und dann nach draußen gebracht. Dabei schaut sie konzentriert durch das bunt durchmischte Dachzimmer des Berliner Circus Hotel, in dem sie mit ihrem komplett reinweißen Outfit und der samtweichen Stimme den perfekten Ruhepool bildet.
„An manchen Tagen ist es leichter über meine Musik zu sprechen als an anderen. Manchmal ist es wie gegen den Strom zu schwimmen, es funktioniert einfach nicht. Aber heute ist ein guter Tag,“ sagt sie und versucht mit ihrem Blick alles um sich herum mit einem Mal zu analysieren. Und so ist es gar nicht weiter schlimm, dass sie nicht wie ein Wasserfall redet. So wohlüberlegt ergibt letztlich eh alles viel mehr Sinn. Quasi wie ein Puzzleteil an das andere zu fügen. Und das machen wir im Folgenden einfach zusammen.
Auf deinem Debüt war es ja zappeduster. Wie bist du an dein zweites Album „Party“ herangegangen, so dass es nun nach diesem schönweichen Lichtblick im Gothic-Land klingt?
Ich habe mich verliebt. Das war ganz schön, muss ich sagen. Ich wollte unbedingt den Fokus auf diese neue Freiheit legen, die ich zu diesem Zeitpunkt fühlte. Dadurch klingen die Songs jetzt auch zugänglicher. Denn ich bin zugänglicher. Ich fühle mich glücklicher, offener, ohne diese ganze Angst. Es ist ein Album voller Love-Songs und ich bin ziemlich stolz darauf. Das ist so ein gutes Gefühl. Aber das kommt natürlich auch dabei heraus, wenn man John Parish als Produzenten hat. Der ist schließlich viel klüger als wir alle.
Was macht dich so viel offener?
Das liegt am Erwachsenwerden. Man lernt immer mehr dazu. Damit meine ich auch diese vielen Momente, in denen man merkt, dass nicht alles so läuft, wie man es sich mal ausgemalt hat. Ich musste Vieles zu akzeptieren lernen oder eben aktiv dagegen ankämpfen. Ich habe außerdem herausgefunden, wie ich mich trotzdem wohlfühlen kann. Das hat etwas Befreiendes. In meinen frühen Zwanzigern haderte ich ständig mit meiner Teenage Angst. Jetzt traue ich mich Dinge zu tun, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie tun könnte. Das bringt natürlich auch neue Sorgen mit sich. Aber das sind gute.
Wie feierst du dieses neue Selbstbewusstsein?
Ich führe richtig gute Gespräche mit mir selbst. Und ich mache gute Kunst. Wobei es mich schon besser fühlen lässt, wenn mir auch jemand sagt, dass ich gerade etwas richtig mache. Denn wenn man so für sich allein an etwas arbeitet, fühlt man sich irgendwann verrückt. Positives Feedback von anderen beruhigt mich.
Marina Abramović sagt, Kunst sollte ein verstörendes Element haben. Kannst du das nachvollziehen?
Ja, manchmal will ich verstören, weil ich mich verstört fühle und andere sollen das verstehen. Dieses Gefühl wollte ich vor allem bei meinem ersten Album transportieren. Ich wollte klar machen, dass ich mich nicht gut fühlte und nicht wusste, wie lange das anhalten würde. Oder auch wie lange dieses Musikding anhalten würde. Für mich ist es essentiell, dass Kunst einen etwas fühlen lässt. Also egal was. Ich mag es, wenn man jemandem zuschaut und dabei irgendwie stecken bleibt, weil man nicht weiß, was da gerade vor sich geht.
Wie meinst du das?
Ich forciere in der Kunst gerne ein Gefühl. Ich suche zum Beispiel bei einem Film das Drama im Drama. Wenn ich mir etwas vermeintlich Witziges anschaue, frage ich mich: Wie muss das wohl sein, wenn man dieser schrecklicher Schauspieler ist? Ich schaue ihn an und überlege, wie er sich zuhause die ganzen Filme von sich anschaut und dabei seinen Kopf in seinen Händen vergräbt. Und ich grübele darüber, wie jemand, der so schlecht spielt, nach Hause gehen und mit seiner Frau Sex haben kann. Ich will, dass mich Kunst etwas fühlen lässt. Wobei ich sie nicht zwingend benötige, um mich verstört zu fühlen. Es passiert gerade eh schon eine Menge verstörendes Zeug in der Welt.
Ich frage mich, wie du dich nach deinen Konzerten fühlst?
Das kommt darauf an, wie die Show lief. Und ich habe das Gefühl, dass ich ganz gut weiß, wann es eine gute Show war. Auch wenn das mal nicht dem Feedback entspricht, was ich bekomme. Aber ich versuche schon sehr ein Konzert zu lenken und wenn es nicht so passt, verändere ich den Ton. Mir ist ein Konzert extrem wichtig. Ich will, dass die Show stark ist und sich die Leute dabei stark fühlen. Da bin ich Perfektionistin. Es muss nicht alles perfekt laufen, aber die Attitüde sollte stimmen. Es braucht viel, damit ich mit einem Konzert zufrieden bin. Ich will da lockerer zu werden, aber das klappt nicht. Ich muss noch härter daran arbeiten.
Also alles noch Work in Progress?
Das stimmt, ich muss lernen auch mal abzuschalten. Ich frage mich ständig, ob meine weiße Kleidung wirklich weiß ist. Ich zerbreche mir darüber den Kopf, wie ich die Leute wissen lasse, das die Show für sie ist, obwohl es darin komplett um mich geht. Manchmal denke ich mir, dass ich vielleicht nicht den vierten Red Bull vor der Show hätte trinken sollen. Andere Male glaube ich, noch ein weiterer wäre gut gewesen, um zu schauen, was noch passieren könnte.
Aldous Harding Live:
29.05.2017 Hamburg, Nochtwache
30.05.2017 Berlin, Auster Club
Interview und Fotos: Hella Wittenberg