OMD – Die „Accidental Popband“ im Interview

Schon als wir Paul Humphreys in der Hotelhalle des Steigenbergers auflesen, zeichnet sich ab, dass diese Begegnung offensichtlich sehr unkompliziert verlaufen wird. „Ich nehm euch einfach mit hoch“, sagt er, zückt seine Schlüsselkarte und ab geht es in den Aufzug. Kurze Zeit später sitzen wir mit Andy McCluskey und Mr. Humphreys auf dem Hotelzimmer. Auf dem MacBook im Hintergrund läuft eine Diashow mit Bildern aus alten Zeiten. Die beiden sind, um es beim Namen zu nennen, krachend gut drauf. Es wird gern und laut gelacht, man reißt Witze, erzählt freimütig und voller Begeisterung sowohl von heute als auch von früher. Das Tolle ist: Die Begeisterung der beiden für ihr Comeback ist ehrlich und absolut ansteckend. Unsere erste Frage hätte sich damit im Lauf des Gesprächs auch von selbst geklärt.

OMDIhr seid wieder da! Seit geraumer Zeit seid ihr nun schon unterwegs und macht Promo für euer neues Album „History Of Modern“. Macht es immer noch Spaß?

Paul Humphreys: Ja! Das Gute ist, wir hatten wirklich eine lange Pause von all dem. Jetzt tun wir es wieder und es macht richtig Spaß!

Andy McCluskey: Okay, hört zu. Job Beschreibung: Jemand bezahlt dich dafür, in ein anderes Land zu reisen. Jemand bezahlt dein Hotelzimmer, führt dich zum Abendessen aus. Und das einzige, was du dafür tun musst, ist den ganzen Tag über dich selbst reden? Das ist kein harter Job, oder? (Gelächter)

Uns interessiert natürlich sehr, wie es für euch war, nach so langer Zeit wieder zusammen zu kommen und gemeinsam zu arbeiten.

PH: 1995 haben wir schon einmal kurz miteinander gearbeitet, uns getroffen und ein wenig geschrieben. Aber das ist jetzt das erste richtige Projekt, das wir seit 20 Jahren gemeinsam machen.

AM: Außerdem haben wir ein wenig miteinander getourt in den letzten Jahren, das hat das Eis gebrochen. Nach über 17 Jahren, Paul, Malcolm, Martin und ich wieder in einem Raum, miteinander spielen… das war sehr, sehr seltsam. Als wir das überwunden hatten und drei Jahre getourt waren, war es ein viel leichterer Schritt, wieder miteinander Songs zu schreiben. Es war toll, und es war perfektes Timing. Wir wollten es tun, wir waren bereit es zu tun. Plötzlich kamen dann auch die Indie-Gitarrenbands wieder aus der Mode, Brit-Pop ist Geschichte, 80s Electro ist super cool… Alles passte zusammen!

PH: Es ist ja so: Wir haben kein neues Album gemacht weil wir müssen, sondern weil wir Lust darauf haben. Das ist das Wichtigste an der Sache.

AM: Viele Leute in unserem Alter wollen ja gerne noch Platten machen und sollten es lieber bleiben lassen.

Mal ganz ehrlich: Wart ihr nur voller Freude oder hattet ihr auch ein wenig Angst? Dass die Leute denken OMD_-_IMG_3302_1000könnten, jetzt kommt schon wieder die nächste 80s Band mit einem peinlichen Comeback…

PH: Absolut! Es war schon ein mutiger Schritt.

AM: Ein dummer, wolltest du wohl sagen. Ernsthaft, die letzten zwei Jahre, die wir an dem Album gearbeitet haben, das fühlte sich fast schon peinlich an. Du sagst den Leuten: (murmelt) Hm, ja, wir machen eine neue Platte… und alle sagen: Oh Gott… Die meisten Bands in unserem Alter, ganz ehrlich, die haben nicht wirklich etwas zu sagen. Sie machen Platten, aber sie haben keine Ideen, keine Energie…

PH: Außerdem haben die Meisten von ihnen, als mit den Bands Schluss war, auch mit dem Songschreiben aufgehört und andere Sachen gemacht. Wir haben nie wirklich damit aufgehört, nur einfach für OMD nicht mehr geschrieben.

AM: Wir haben allerdings gehofft, dass wir noch objektiv genug sind, eine gute OMD Platte zu machen. Und uns fest vorgenommen sie nur zu veröffentlichen, wenn sie wirklich stark wird. Jetzt, da sie draußen ist, kriegen wir viele gute Kritiken, aber man hört auch immer durch, dass die Leute überrascht sind.

Wo setzt das neue Album musikalisch für euch an? Dort, wo ihr vor 20 Jahren gemeinsam Schluss gemacht habt oder in den Neunzigern, als es OMD zwar noch gab, aber nicht mehr in der ursprünglichen Besetzung?

AM: Als wir mit dem Album angefangen haben, haben wir uns die komplette OMD Geschichte angesehen. Da gucken wir drauf und stellen fest, genauso wie die meisten Fans, dass die besten OMD Alben die ersten vier waren. Damals waren wir voller Ideen, haben uns keine Gedanken gemacht. Wir hatten niemals geplant, Popstars zu werden. Wir sind sozusagen eine „Accidental Popband„. Wir haben Musik gemacht, unsere Freunde fanden sie scheiße, aber uns war das egal. Und plötzlich wurden diese Songs zu Hits. Heute hört man sie im Radio und denkt alles klar, das ist ein Hit. Aber mal genauer hingehört ist es eigentlich ein total seltsamer Song! Diese Haltung wollten wir gerne wieder haben und auch diesen Sound. Ursprünglich wollten wir unseren Sound immer gerne mal ändern, aber Veränderungen sind nicht automatisch besser. Also wollten wir, dass das neue Album an die ganz frühen Platten anknüpft, ohne einen reinen Nostalgie-Retro-Effekt zu erzeugen. Diese Sounds nehmen und sie so bearbeiten, dass sie 2010 auch noch relevant sind. Das war die Balance, die wir versucht haben zu halten.

OMD_2-46_Credit_JOE_DILWORTH_1000Wie kann man sich das in der Umsetzung vorstellen? Wie seid ihr vorgegangen, als ihr euch zusammengesetzt habt und angefangen habt zu arbeiten?

PH: Erst einmal saßen wir lange Zeit gar nicht zusammen. Ich lebe in London, Andy in Liverpool. Wir haben gedacht, wir probieren mal den modernen Weg aus und schicken uns Files über das Internet. Als wir die Hälfte des Albums auf diese Weise erarbeitet hatten, haben wir festgestellt, dass das so zu langsam geht. Früher haben wir immer zusammen in einem Raum gesessen, wir hatten ein Studio in Liverpool. Also haben wir entschieden, dass es wohl besser ist, das wieder so zu machen. Zum Ende der Produktion hin bin ich nach Liverpool gefahren und wir haben uns im Studio zusammen getan. Das war viel besser.

AM: Das Beste war, dass wir diesmal richtig viel Zeit hatten. Wir konnten viele Songs aufnehmen und uns am Ende die besten raus picken. Wenn wir zurück denken an die späten Achtziger, da hatten wir einfach keine Zeit. Wir waren ständig auf Tour, rund um die Welt, sechs bis neun Monate am Stück. Dann kamen wir nach Hause und die Plattenfirma stand bereits da und meinte – wo ist das nächste Album? Unser Manager sagte: Ihr müsst ein neues Album machen, ihr braucht Geld. Aber hey, wir haben doch gerade Millionen von Schallplatten verkauft, wer hat denn unser ganzes Geld? Richard Branson! (lacht) Also mussten wir innerhalb von zwei Monaten ein Album aufnehmen. Da war nichts mit auswählen, die ersten zehn Songs die wir hatten, kamen drauf und fertig. Heute können wir uns die Zeit nehmen, es richtig zu machen.

PH: In den späten Achtzigern sind wir einfach zu viel getourt. Das Touren hat die Band kaputt gemacht. Es wurde einfach zu viel. Am Ende sind wir endlos durch die USA getourt, aber ohne in Hotels zu bleiben, wir haben monatelang in einem Bus gelebt.

AM: Ein bisschen wie Wikinger, die auf dem Meer herumschippern, nur ohne zwischendrin Stop zu machen und die lustigen Dinge zu machen wie Rauben und Vergewaltigen. (Gelächter. Andys Blick bleibt auf dem Computerbildschirm hängen) Oh mein Gott, diese Bilder! Mein Sohn hat auf meinem Computer alte Fotos von uns als Screensaver eingebaut und ich weiß nicht, wie ich das abgeschaltet kriege!

Was denkt ihr, wenn ihr diese alten Bilder von euch seht?

AM: Oh ich wünschte, ich würde immer noch so aussehen. Aber hey, unser Manager hat immer zu uns gesagt: Du weißt, du wirst alt,OMD - History Of Modern_500 wenn du alte Fotos von dir siehst, auf denen du dich früher unglaublich scheiße fandest und plötzlich wünschst du dir, du würdest heute noch so aussehen. Aber sieh mal, wir hätten uns niemals träumen lassen, dass wir Karriere als Musiker machen würden. Paul wollte Elektronik Fachmann werden, ich Archäologe. Das hat nicht geklappt, also sind wir hierbei gelandet. Es war großartig, aber irgendwann haben wir den Faden verloren und wurden genau die Art von Band, die wir nie sein wollten.

PH: Ende der Achtziger war nichts mehr so wie wir es uns vorgestellt hatten. Wir konnten nicht mehr die Konditionen vorgeben.

AM: Jetzt sind wir hier, und wir machen das alles nicht für Geld. Wir sind keine Multimillionäre, aber wir brauchen das Geld auch nicht. Wir erwarten nicht, dass wir mit dem Album etwas verdienen. Trotzdem muss das Endergebnis gut sein, sonst könnte man es auch für sich allein zu Hause machen und es besser dort lassen. Aber ehrlich gesagt, und ich hoffe, dass wir uns damit nicht betrügen, ich denke, wir machen unseren Job verdammt gut.

Wenn ihr heute einen jungen Musiker treffen würdet, der euch um den ultimativen Rat in einem Satz bittet, was würdet ihr ihm mit auf den Weg geben?

PH: Gib deinen Job nicht auf. In der Musikindustrie ist kein Geld zu verdienen.

AM: Werde Archäologe.

Dem ist nichts hinzuzufügen! Wir danken Andy McCluskey und Paul Humphreys für dieses sehr unterhaltsame Gespräch und blicken zuversichtlich dem Erfolg von „History Of Modern“ (seit 17. September im Handel) entgegen.

Interview: Thomas Matthes & Gabi Rudolph