
An einem frühherbstlichen Nachmittag treffe ich die Band Coach Party in Berlin Neukölln buchstäblich auf einen Kaffee. Jess, Joe, Steph und Guy haben gerade ein Showcase in der Berliner Rough Trade Filiale gespielt und wir nutzen die Gelegenheit für ein gemeinsames, entspanntes Verschnaufspäuschen, bevor es für die Band am nächsten Tag weiter nach Hamburg zum Reeperbahn Festival geht.
Die vier kommen von der Isle of Wight, haben sich dort kennengelernt und leben auch immer noch dort. Ich finde das ungewöhnlich – die meisten Bands brechen irgendwann in Richtung einer der Metropolen auf, um den Durchbruch zu schaffen. Coach Party hingegen haben in den letzten Jahren beständig und erfolgreich daran gearbeitet, sich von ihrer paradiesisch abgeschiedenen Heimat aus einen Namen zu machen. „Wenn du jemals hörst dass wir weg gezogen sind, dann weißt du, dass wir zu Geld gekommen sind,“ scherzt Frontfrau Jess.
Ich habe vor ein paar Jahren Urlaub auf der Isle of Wight gemacht und bin seitdem großer Fan der Insel. Die vier erzählen mir begeistert Anekdoten aus ihrer Heimat und betonen, dass es nichts gibt, das sie nicht auch von dort aus erreichen können. „Einmal haben wir es an einem Tag geschafft, zwei Fähren zu erwischen,“ erzählt Jess lachend. Coach Party kann wohl tatsächlich nichts aufhalten.
Das neue Album „Caramel“ strotzt nur so vor punkiger Energie und ist gleichzeitig voller mitreißender, poppiger Melodien. Im nächsten Frühjahr werden sich Coach Party wieder auf die Fähre begeben, um sie bei uns live zu präsentieren. Bis dahin haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, mit ihrer Musik einen Safe Space zu kreieren, in der wir alle für einen Moment loslassen können.
Wenn man an einem eher abgelegenen Ort aufwächst, so wie ihr ihr, hat man dann ein Gefühl dafür, dass man irgendwann in Berlin sitzen und über seine Musik reden könnte?
Jess: Ja, ich hatte das ehrlich gesagt schon immer.
Guy: Jess hat schon immer dran geglaubt. Sie hat so einen lustigen kleinen Song erfunden, den haben wir immer gesungen um uns zu motivieren. Da ging es darum, dass wir einmal groß rauskommen würden.
Vor zwei Jahren ist dann euer Debütalbum erschienen. Ihr habt es also geschafft, euren Durchbruch auf nach der Pandemie zu legen.
Guy: Unseren ersten richtigen Gig als Coach Party hatten wir unmittelbar vor all dem. In Hamburg, im Molotow.
Joe: Im Februar 2022 war das, bei einem Showcase für junge Bands.
Steph: Ich weiß noch, wie ich im Backstage saß und dachte, niemand wird kommen um uns spielen zu sehen. Dann sind wir runter gegangen und der ganze Raum war voll.
Guy: So wie die Welt sich danach entwickelt hat, hatten wir jede Menge Zeit, unsere Musik voranzubringen, ohne Druck. Was konnten wir sonst tun, außer Musik zu schreiben. Wir haben ein paar EPs veröffentlicht, aber das lief alles mehr unter dem Radar. Als wir dann vor zwei Jahren unser Debütalbum veröffentlicht haben, hatten wir ein ganz anderes Selbstbewusstsein. Man könnte sagen, die ganze Situation hat uns gut zugearbeitet. Oder wir haben zumindest das Beste draus gemacht.
Und jetzt, genau zwei Jahre später, im September, erscheint euer zweites Album.
Jess: September ist unser Monat (lacht).
Guy: Das erste Jahr nach dem ersten Album haben wir mit Konzerten zugebracht. Und damit ein bisschen zu chillen. Das letzte Jahr war dann ziemlich intensiv. Wir haben uns voll darauf konzentriert, unser zweites Album zu machen. Zu schreiben, Songs zu verwerfen, neue Songs zu schreiben, zu proben… Irgendwann wollten wir nicht mehr Zeit als nötig vergeuden und so schnell wie möglich weitermachen.
Diese Phase des intensiven Live-Spielens, hat die eure Herangehensweise an dieses Album beeinflusst?
Guy: Auf jeden Fall. Wir hatten wie gesagt eine Zeit in der wir nur live gespielt und gar nichts geschrieben haben. In der Zeit ist viel passiert, für uns als Band und für jeden von uns als Individuum. Da mussten wir erst einmal durch, bevor wir zusammen kommen, uns gegenseitig Ideen zeigen und schreiben konnten. Das hat definitiv das Ergebnis beeinflusst.
Ich mag die diverse Energie von diesem Album. Es gibt sehr viel raue, punkige Energie. Aber einige der Songs sind im Kern auch sehr poppig. Geradezu fluffig!
Joe: So fluffig! (lacht). Wir mögen das auch. Wir könnten locker ein Album schreiben, das durchgängig hart und rockig ist. Und es würde sicherlich auch gut werden.
Jess: So machen wir das beim Nächsten (lacht).
Joe: Ich glaube aber, dass uns das ganz automatisch passiert. Wenn wir nur die eine Seite ausleben würden, würde uns etwas fehlen, das uns genauso viel Spaß macht.
Steph: Wir haben alle einen sehr breit gefächerten Musikgeschmack. Das zeigt sich auch in unserer Musik. Wir interessieren uns nicht nur für ein Genre. Unsere Einflüsse sind sehr vielfältig. Uns ist wichtig, dass wir in vielen unterschiedlichen Stilen schreiben und es sich trotzdem aber immer noch nach uns anhört.
Joe: Wenn man sich zu sehr auf eine Sache fest legt, haben die Leute auch so starre Erwartungen an einen. Nach dem Motto: Ihr seid eine Rockband, sowas dürft ihr doch nicht.
Steph: Genau. Wenn die Band, die man liebt, plötzlich ihre Richtung ändert, dann sagt man: Das sind die doch gar nicht mehr. Paradebeispiel: Arctic Monkeys.
Joe: Woah. Easy.
Steph: Ich sage nicht, dass das schlecht ist! Aber sie haben es getan, und viele Leute sind dadurch abgesprungen. Aber alle ihre Musik ist großartig. Weil sie es können. Sie haben die Kraft dazu. Und die Macht. Sie können tun und lassen was sie wollen.
Ich habe das Gefühl, dass die jüngere Generation (so wie ihr, hust), offener für so etwas ist. Eure Generation hört doch eigentlich alles. Wie ist es bei euch – hört ihr privat mehr Playlists oder lieber ganze Alben?
Steph: Für mich sind es immer Alben. Ich denke, den meisten Künstler*innen geht es immer noch darum, ein zusammenhängendes Kunstwerk zu kreieren, anstatt einzelne Singles rauszuhauen. Dann möchte ich auch das ganze Kunstwerk hören. Nur so erschließt sich wirklich die Intention der einzelnen Songs. Ich glaube, ich höre wirklich nie Playlists. Außer die, die Joe zusammenstellt.
Joe: Ich höre Alben und mache dann daraus Playlisten (lacht).
Guy: Ich denke das, was sich auf jeden Fall geändert hat ist, dass du weißt: wenn du ein Album machst, dann werden die Songs trotzdem einzeln wahrgenommen. Jeder Song muss dadurch den Zweck eines ganzen Albums erfüllen: Er muss einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende haben. Ich denke, das hat definitiv beeinflusst, wie Songwriting sich in den letzten Jahren verändert hat. Jeder einzelne Song muss es für sich bringen.
Jess: Ich mag Musik in jeder Form ehrlich gesagt. Wenn mir ein Song gefällt, höre ich mir immer das ganze Album an.
Was würdet ihr sagen, ist für euch die Geschichte dieses Albums? Welchen Punkt wolltet ihr unbedingt treffen?
Guy: Jeder dieser Songs ist für jeden von uns eine sehr persönliche Reflexion. Im Gegensatz zu: lasst uns einen Song über Depressionen schreiben. Oder über Liebe.
Steph: Über Toast haben wir einmal gesprochen. Du meintest, worüber sollen wir einen Song schreiben, und ich meinte Toast (lacht).
Guy: Wenn wir einen Song über Toast schreiben würden, dann ginge es darin um das für uns perfekte Toast. Nicht einfach nur um Toast. Ich denke, das ist mir wichtig, dass die Leute wissen, bei uns ist nichts generisch. Es geht immer um unsere persönlichen Erfahrungen mit den Themen, über die wir sprechen. Liebe, Hass, Sucht.
Jess: Das hast du sehr gut auf den Punkt gebracht.
Guy: Puh, danke (lacht).
Ich mag euren Song „Disco Dream“ wirklich sehr. Ich bin ja etwas älter als ihr, und trotzdem hat er direkt zu mir gesprochen. Ich hatte das Gefühl, der Song ist gerade meine Hymne.
Alle: Awwwww!
Ihr erklärt die Tanzfläche zu einem Safe Space. Das fühle ich wirklich sehr.
Jess: Es passiert gerade so viel auf der Welt. Den einen Ort zu finden, an dem man sich selbst vergessen kann, in diesem Fall die Tanzfläche, das ist so ein erlösendes Gefühl. Ein Ort, an dem man entspannt und sorgenfrei sein kann. Wir müssen uns im Leben jeden Tag um so viel kümmern, oder? Tanzen ist die positivste Art von Flucht.
Und das ist auch wichtig, oder?! Wir leben in einer Zeit, in der wir uns all dem, was um uns herum passiert, hyperbewusst sind. In der wir ständig auf der Hut sein müssen. Und gleichzeitig haben wir auch das Recht auf Zerstreuung.
Guy: Und das ist eigentlich genau der Punkt dieses Albums. Wir wollten uns nicht auf ein spezifisches Problem konzentrieren und darüber sprechen. Uns geht es mehr darum, wie wir vor all dem für einen Moment fliehen können. Und wie man das Selbstbewusstsein finden kann, etwas genau so zu tun, wie man es tun möchte. Scheiß auf all die anderen, die denken, du solltest es nicht so tun. Es hört sich so an, als hättest du beim Hören genau dieses Gefühl bekommen. Das ist wirklich sehr schön zu hören.
Ich finde, es ist eine Sache des Überlebens. Jeder braucht diesen einen Ort, an dem er alles vergessen kann, zumindest für einen Moment. Es mag für jeden ein anderer sein, aber wir brauchen ihn alle.
Guy: Ich gehe gerade im Kopf alle Songs durch, und ich denke das ist auf jeden Fall das Motiv, das sie verbindet. Das ist unsere Message: dass du deinen eigenen Weg durch all das hindurch finden musst. Ich bin froh, dass du das aufgebracht hast.
„Caramel“ von Coach Party erscheint am 26. September 2025 auf Chess Club Records.
Coach Party live:
28.02.2026 Köln, MTC
