d4vd: „Sich Ziele zu setzen ist der größte Feind des Fortschritts“

Der plötzliche Temperatureinbruch ist auch ein Schock für den 19-jährigen d4vd aus Houston, Texas, der mitten im frostigen Februar im Rahmen seinen Press Tour in Berlin zu Besuch ist und lange nicht mehr solche kalten Tage erlebt hat. Zum Glück ist es gemütlich und warm in den Bürogebäuden von Universal Music, wo wir uns über seine außergewöhnliche Karriere unterhalten.

Mit seiner Single “Romantic Homicide” machte er sich erstmals einen Namen auf dem internationalen Musikmarkt und ist inzwischen zu einem der vielversprechendsten, jungen, alternativen Künstlern geworden. Zu Beginn seiner einzigartigen Karriere durften wir ihn schon einmal zum Interview treffen. Damals produzierte er seine eigenen Songs im Kleiderschrank seiner Schwester, mit nichts als seinem Smartphone, Kopfhörern und der App BandLab. Damals dienten seine Songs noch als Soundtrack für seine Fortnite-Montagen. Jetzt hat d4vd für den 25. April sein erstes Album “WITHERED” angekündigt, nach seinen EPs “Petals to Thorns” und “The Lost Petals” sein bisher längstes Projekt.

Zuerst einmal wollte ich mich für deine großartige Performance bei deinem Showcase und die Möglichkeit, bisher noch unveröffentlichte Songs zu hören, bedanken. In dem kurzen, vorausgegangenen Interview hast du erwähnt, dass deine Eltern dir nie erlaubt haben, zu Konzerten zu gehen, als du noch jünger warst. Gab es jemanden, den du zu dieser Zeit gerne gesehen hättest?

Das ist eine gute Frage. Ich hätte gerne eine von den frühen Kendrick Lamar Shows gesehen, oder eine der ersten Shows von Billie Eilish, wie ihre Performance beim Coachella.

Und jetzt wirst du selbst beim Coachella auftreten!

Das werde ich!

Wann warst du zuletzt in Berlin?

Vor ungefähr anderthalb Jahren, für meinen Auftritt im Metropol. Das war eine gute Show.

War das das erste Mal, dass du in Berlin gespielt hast?

Es war mein zweiter Auftritt in Berlin und wahrscheinlich meine dreißigste Show insgesamt.

Wann bist du denn das allererste Mal live aufgetreten?

Am 17. Februar 2023 habe ich meine erste Show in Houston, Texas, in der White Oak Music Hall vor ungefähr zweihundertfünfzig Menschen gespielt. Das war der absolute Wahnsinn.

Das ist ja noch gar nicht so lange her! Ich mag die 80er Jahre Gothic- Indie Ästhetik deiner Musik wirklich sehr , für mich fühlt sie sich sehr bildlich an. Wenn ich deine Songs höre, sehe ich sehr klare Bilder vor meinem inneren Auge. Lässt du dich manchmal, neben der Musik, auch von Filmen inspirieren?

Auf jeden Fall, das passiert mir ständig. Ich habe “Here With Me” basierend auf dem Disney Film “Oben” geschrieben. Wenn ich Songs schreibe, visualisiere ich immer genau, worüber ich schreibe. Es fühlt sich an, als würde ich ein Buch schreiben, oder ein Hörbuch. Jede Textzeile ist für mich ein anderes Bild. Und dieses ist wiederum anders für jeden einzelnen Menschen. Jeder interpretiert einen Song anders, das ist das wunderschöne an Musik. Dass sie so viele Menschen auf so vielen unterschiedlichen und persönlichen Ebenen ansprechen kann.

Und woher kommt das Motiv der Rose, das sowohl in deinem Album als auch in deinen ersten EPs sehr präsent ist? Es fühlt sich ebenfalls wie eine sehr persönliche Geschichte an.

Das Motiv der Rose steht im Grunde dafür, wie ich mich selbst sehe. Es ist wie wenn man etwas Wertvolles, etwas Schönes sieht, aber sobald man tiefer geht und die einzelnen Schichten entfernt, sticht man sich an den Dornen auf dem Stiel. Du hältst etwas Wunderschönes, aber um es festzuhalten, musst du dich verletzen. So sehe ich viele Dinge im Leben. Mann wird oft verletzt, um eine Beziehung zu genießen, oder überhaupt Liebe zu spüren. Für mich symbolisiert das die Rose.

Wann hast du angefangen, mit diesem Motiv zu arbeiten?

Das war im August 2022, als ich “Romantic Homicide” veröffentlicht habe. Das war der erste Song, der diese Ästhetik der Rose quasi initiiert hat, und ich habe über die Jahre bis heute daran festgehalten. Jetzt warte ich nur auf die Zeit, wenn ich diese Ära beenden und mich der nächsten Blume widmen kann. Gerade spiele ich in Gedanken mit der Japanischen Spinnenlilie, eine wunderschöne Blume, aber darüber kann ich noch nicht mehr sagen (lacht).

Okay, ich werde nicht nachfragen, versprochen! Inwiefern hat sich denn dein Arbeitsprozess über die Jahre verändert, angefangen mit deiner ersten Single, gefolgt von deinen zwei EPs und jetzt, mit deinem ersten Album?

Er hat sich definitiv sehr verändert. Im Entstehungsprozess dieses Albums habe ich so viele neue, unterschiedliche Dinge und Herangehensweisen ausprobiert. Ich glaube, ich habe vier Mal völlig neu angefangen. So viele Songs sind in dieses Projekt eingeflossen. Zuerst war es ein Pop-Projekt, dann wurde es zu einem RnB Projekt, aber es war immer noch nicht das Richtige. Dann bin ich mit einigen verschiedenen Producern ins Studio gegangen, mit vielen unterschiedlichen musikalischen Einflüssen und vielen Menschen, die mir gesagt haben, was ich tun soll. Aber schlussendlich habe ich das Projekt innerhalb von dreieinhalb Wochen fertiggestellt. November 2024 war der Monat, in dem ich mich eingesperrt und alles fertiggestellt habe, um das Album dann im Dezember einzureichen. Ich bin für zwei Wochen nach London gereist und habe jeden Tag einen Song mit meinen Freunden Jack Hallenbeck, Scott, James und Lucho geschrieben. Jeden Tag hatten wir die Intention, den Song vom vorherigen Tag zu übertreffen, immer einen besseren Song zu machen, immer und immer besser. Daraus entstand mit die schönste Musik, die wir je gemacht haben. Danach bin ich zurück nach Houston gefahren, um zu sehen, wie ich, nachdem ich mit so vielen Menschen zusammengearbeitet hatte, noch mit mir selbst alleine arbeiten konnte. Und ich habe den Rest des Albums mit meinem Handy und meinen Kopfhörern im Kleiderschrank meiner Schwester aufgenommen.

Als jemand, der zwölf Jahre lang in eine staatliche Schule gegangen ist, finde ich es super interessant, dass deine Eltern dich zu Hause unterrichtet haben. Wie alt warst du zu dieser Zeit?

Es war meine gesamte High School Zeit und ein Jahr der Mittelschule, also war ich ungefähr dreizehn oder vierzehn.

Und fühlst du dich manchmal so, als hättest du dadurch wichtige Erfahrungen verpasst?

Auf jeden Fall! Ich habe Homecoming verpasst, sämtliche Schultänze, Ausflüge, ich habe eine Menge verpasst. Aber irgendwie fühle ich mich nicht so, als hätte ich wirklich etwas verpasst. Ich meine, natürlich habe ich im wörtlichen Sinne etwas verpasst, aber nicht in einem emotionalen oder sozialen Sinn. Dieses antisoziale Umfeld, das viele Alleinsein, hat meinen Charakter über diese fünf Jahre sehr geprägt. Es hat mir erlaubt, sehr viel über mich selbst zu lernen. Ich war als Kind sehr leicht zu beeindrucken und ich konnte mich in der Schule nicht wirklich konzentrieren, weil ich so besessen davon war, wie ich wahrgenommen wurde. Ich war nicht einmal ein echter Mensch, ich war nur ein Spiegel von allen anderen um mich herum. Meine Mutter hat das erkannt und wollte, dass ich authentischer und ehrlicher mit mir selbst werde, also hat sie mich aus der Schule herausgeholt. So konnte ich so viel mehr über meine eigenen Interessen und Hobbys lernen. Ich habe mich sehr viel mit Videospielen, Content Creation und Film beschäftigt, all diese Dinge, von denen ich nicht mal wusste, dass ich sie mag.

Haben deine Eltern dir einen festen Tagesplan vorgegeben, oder haben sie dir einfach Dinge zur Verfügung gestellt, um zu sehen, was hängenbleibt?

Ich habe tatsächlich ein Online Programm benutzt, “Time For Learning”, so konnte ich in meinem eigenen Tempo arbeiten. Ich konnte um fünf Uhr morgens oder fünf Uhr abends aufstehen.

Erinnert mich an den Lockdown.

(Lacht) Ja, sehr. So konnte ich meinen Abschluss früher machen. Ich habe oft alles im Eiltempo gemacht und fünf Wochen an Arbeit in einer Woche erledigt.

Hat sich diese Zeit stark auf deine Musik ausgewirkt?

Ja, ich glaube schon. Ich frage mich oft, worüber ich geschrieben hätte, wenn ich auf eine staatliche Schule gegangen wäre. Als ich angefangen habe, Musik zu machen, habe ich über die Erfahrungen meiner Freunde geschrieben, oder über die Menschen in der Fortnight Community. Ich habe ihre Gedanken aufgeschrieben, wie ein Therapeut und dann Songs über das Leben eines anderen geschrieben. Vielleicht konnten sich deshalb so viele Menschen damit identifizieren.

Sind diese Freunde heute noch an deiner Seite?

Ich habe lange nicht mehr mit ihnen gesprochen. Ich habe nicht einmal mehr Zeit, Fortnite zu spielen. Aber vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder, wer weiß.

Hast du in dieser Zeit irgendwelche anderen Obsessionen entwickelt, außer Musik und Videospielen?

Ich habe mir sehr früh beigebracht, zu programmieren. Ich habe c++ und Java benutzt, um Minispiele und andere Sachen zu erstellen. Ich habe mich auch viel mit Film und Cinematography beschäftigt und YouTube Videos geguckt, wie man Regie bei einem Kurzfilm führt. Aber das waren alles kurzweilige Interessen, die kamen und gingen.

Als erfolgreicher Musiker, bist du da noch in der Lage, Musik auf eine nicht analytische oder vergleichende Art zu hören?

Nein! Eines der Dinge, die ich gelernt habe ist, dass, sobald man anfängt Musik zu machen, man die Fähigkeit verliert, Musik einfach nur anzuhören. Ich kann mir nie einen Song anhören und ihn einfach nur genießen. Ich denke mir immer, oh ich mag diese Snare, ich mag das nicht und warum hast du dich dafür entschieden?. Ich höre permanent von dem Standpunkt eines Musikers. Es kann auch cool sein, weil ich dann viel darüber lerne, wie ich selber Musik machen möchte, aber ich vermisse die Zeiten, wo ich mich hinsetzten, einen guten Song hören und den Kopf abschalten konnte.

Als du damals im Metropol aufgetreten bist, warst du so unglaublich energetisch. Hast du eine bestimmte Routine entwickelt, um dich auf eine Live- Show vorzubereiten?

Ich schlafe (lacht). Im Green Room scrolle ich entweder auf TikTok, esse eine Banane, oder schlafe tief und fest. Wenn ich aufwache, bin ich oft verwirrt und desorientiert und ich glaube, das hilft mir sehr, einfach raus zu gehen und nicht darüber nachzudenken. Wann auch immer ich nicht aktiv über etwas nachdenke, fange ich an, mich unbewusst damit zu beschäftigen und mein Gehirn schaltet auf Autopilot um. Es ist ein seltsamer Zustand.

Wenn du oft unbewusst über deine Musik nachdenkst, bekommst du auch manchmal Inspirationen oder Ideen in deinen Träumen?

Das ist das Ding, ich träume überhaupt nicht. Ich habe wirklich lange nicht mehr geträumt. Ich habe mal eine Studie gelesen, dass Menschen, die überarbeitet sind, die Fähigkeit verlieren zu träumen. Ich glaube, ich arbeite zu viel, um zu träumen. Ich kann mich seit 2023 an keinen Traum mehr erinnern.

Das fühlt sich bestimmt seltsam an. Sorgst du dich jemals, dass du mit diesem unfassbaren Tempo, in dem deine Karriere voranschreitet, irgendwann keine Träume oder Ziele haben wirst, auf die du hinarbeiten möchtest?

Nein, nicht wirklich. Ich glaube, jede Erfahrung ist dazu da, sie zu genießen und sich ihr hinzugeben. Ich habe mir keine wirklichen Ziele gesetzt. Das einzige Ziel, das ich habe, ist, jeden Tag bessere Musik zu machen. Ich sehe mich selbst, das hier für immer machen. Selbst wenn ich nicht mehr auf Tour gehe, werde ich immer noch Projekte veröffentlichen. Ich möchte einen Punkt erreichen, an dem ich einfach zweihundert Songs veröffentlichen könnte und sagen: Ja, das ist Kunst. Manchmal denke ich, sich Ziele zu setzen ist der größte Feind des Fortschritts. Du wirst dich nur weiter enttäuschen, wenn du immer nur auf das eine hinarbeitest und nicht anerkennst, wie weit du schon gekommen bist. Ich fokussiere mich auf die Dinge, die ich bereits erreicht habe und wie ich sie ausarbeiten kann. Ich denke niemals zu weit voraus in die Zukunft. Mein Management macht das für mich, ich will mich damit nicht auseinandersetzen (lacht).

Glaubst du, einer der Gründe warum du so produktiv bist ist, dass du so viel künstlerische Freiheit hast?

Ja, auf jeden Fall. Ich bin kein fauler Mensch, aber manchmal fokussiere ich mich auf so viele Aufgaben gleichzeitig, dass ich gar nichts mehr tun kann. Besonders wenn es darum geht, Songs zu schreiben. Wenn ich einen Song nicht in vierzig Minuten beenden, wandert er in die Tonne. Wenn ich mich nicht mehr inspiriert fühle, wird er gelöscht. So einfach ist das. Ich verharre nicht gerne bei Dingen. Die Zeit, die du darauf verschwendest, an etwas zu arbeiten, das nicht gut ist, könnte auch genutzt werden, um etwas produktiveres zu tun.

Wie lange dauert es normalerweise, bis du einen Song fertig hast?

Ungefähr eine Stunde, zurzeit wird es immer kürzer. Ich habe “Romantic Homicide” in fünfundvierzig Minuten geschrieben.

Gehen dir manchmal die Ideen aus, wenn du so unglaublich schnell arbeitest?

Letztes Jahr habe ich zum ersten Mal eine Schreibblockade erlebt. Da waren so viele Menschen, die mir gesagt haben, was ich tun soll, dass ich aufgehört habe, Musik für mich selbst zu machen. Alles was ich getan habe, basierte darauf, wie andere Menschen es haben wollten. Das war wirklich schädlich für meinen kreativen Prozess. Wenn ich für mich selbst und über mich selbst schreibe, dann fließt alles. Solange ich tun kann, was ich will, werden mir nie die Ideen ausgehen.

Wie hast du es aus dieser Blockade heraus geschafft?

Der “Arcane” Song. Der hat mich wirklich da rausgeholt, weil ich die Möglichkeit bekommen habe, eine Art Soundtrack Regisseur zu sein. Ich habe wirklich komponiert und noch nie zuvor etwas so cineastisches getan. Ich habe es geliebt, aus meiner eigenen Komfort Zone heraus gedrängt zu werden und ich habe “Arcane” als Aufgabe genutzt, um wieder in meinen eigenen Rhythmus zu kommen.

Zeichnest du manchmal noch deine eigenen Mangas?

Ja, ich arbeite gerade an einem Atami Manga und kreiere eine Story für mein Alter Ego. Ich mache gerade das Storyboard und hoffe, er kommt bald raus.

Dreht sich deine Musik manchmal auch um dein fiktionales Alter Ego?

Das ist eine gute Frage. Den Soundtrack für ein Buch oder einen Manga zu machen, kann ziemlich schwierig sein, aber vielleicht kann ich eines Tages daraus eine ganze Serie machen.

Eine Serie, ein Album, hast du noch etwas anderes geplant für die nächsten Monate?

Das Album erscheint am 25. April und dann gehe ich auf Tour. Das werde ich wahrscheinlich auch für eine Weile machen, weil ich das Album auf der ganzen Welt verbreiten will. Danach werde ich vielleicht eine kleine Pause machen, um herauszufinden, wo ich stehe, sowohl mit meiner Musik, als auch mit meinem Leben. Und ich möchte nach Japan gehen und die Kultur und das Leben dort genießen. Wir werden sehen, was danach passiert, aber Japan wird definitiv einen großen Teil von 2026 einnehmen.

Das klingt doch nach einem Plan! Ich wünsche dir viel Erfolg für jeden Teil davon und freue mich auf das kommende Album.

„WITHERED“, das Debütalbum von d4vd, erscheint am 25. April 2025 und kann hier vorbestellt werden.