Jesse Eisenberg ist das Mensch gewordene soziale Unwohlsein. Kaum ein Schauspieler hat das Hadern mit der Welt und den sie bevölkernden Menschen zu einem derartigen Markenzeichen gemacht wie er. Und auch in seinen Regiearbeiten herrscht das Gefühl vor, dass das Leben, vor allem das damit zwangsweise verbundene Zwischenmenschliche, gar nicht mal so leicht ist. Sein Regiedebüt „When You Finish Saving The World“ (2022) erzählt von einem Teenager-Sohn und seiner Mutter, die den Zugang zueinander verloren haben und in einer Aneinanderreihung von Fremdschämmomenten daran scheitern, ihn wiederherzustellen.
Sein neuer Film „A Real Pain“ ist der erste, bei dem er sowohl Drehbuch und Regie als auch eine der Hauptrollen übernommen hat. Er erzählt die Geschichte zweier ungleicher Cousins, die nach dem Tod der Großmutter nach Polen reisen, um ihre jüdische Herkunft sowohl im familiären als auch im geschichtlichen Kontext zu erforschen. Dabei ist ein Film entstanden, in dem es um viel mehr als ungeschicktes Miteinander geht. „A Real Pain“ ist ein unaufgeregter, ruhiger Film, der mit gleichsam komischen wie tieftraurigen Momenten überrascht.
Schon beim ersten Aufeinandertreffen der beiden Cousins am Flughafen wird deutlich, dass David (Jesse Eisenberg) und Benji (Kieran Culkin) unterschiedlicher nicht sein könnten. David ist Familienvater mit einem geregelten Dayjob, geplagt von Ängsten und Unsicherheiten, aber stets bemüht, diese in Schach zu halten, wenn’s sein muss auch mit Hilfe von Medikamenten. Benji schmuggelt stattdessen lieber Marihuana nach Polen. Er ist das impulsive Gegenstück, springt von einer Emotion zum anderen, ein Charakter, der es schafft, Menschen unmittelbar für sich einzunehmen und sie im nächsten Moment mit seinem impulsiven Verhalten wieder von sich zu stoßen.
Das zeigt sich deutlich, als die beiden in Warschau auf die Reisegruppe treffen, mit der gemeinsam sie die historischen Mahnmale des Holocausts besichtigen wollen, bevor sie sich alleine auf den Weg machen, um das Geburtshaus der Großmutter zu besuchen. Innerhalb der Gruppe ist Benji gleichermaßen bindende wie auseinander treibende Kraft. Er begegnet jedem mit überschwänglicher Unvoreingenommenheit, nimmt die Mitreisenden in ihren unterschiedlichen Motivationen gleichsam ernst und sorgt für überraschend ausgelassene Stimmung, wenn er die anderen zum Beispiel zum albernen Posieren vor dem Warschauer Ghetto-Ehrenmal anstiftet.
Gleichzeitig ist er derjenige, der sich nicht mit Kritik an dem beflissenen Reiseleiter James (Will Sharpe), selbst nicht jüdischer Herkunft, dafür umso bemühter, alles richtig zu machen, zurück hält. Und er ist der einzige, der es nicht ertragen kann, den Weg zum Konzentrationslager per Zug im Erste Klasse Abteil zurückzulegen. Benji verzweifelt an der Geschäftsmäßigkeit, mit der die Gruppe ihre Stationen abzuarbeiten scheint. Wie kann man so gefasst auf die Konfrontation mit derartigem Leiden reagieren? Wo andere betreten schweigen, weint Benji hemmungslos.
David lebt in Anbetracht der Stimmungsumschwünge seines Cousins in ständiger Anspannung. Die positiven Momente kann er kaum genießen, weil er weiß, wie schnell sie umschlagen können. Wenn es knallt, weiß er nie so recht, ob er Benji verteidigen oder sich für ihn schämen soll. Gleichzeitig beneidet er ihn um seine Impulsivität, um die Intensität seiner Gefühle. Und darum, wie er es schafft, Menschen für sich einzunehmen und gleichzeitig so wenig darum zu geben, ob sie ihn mögen. „You light up a room and then you shit on everything in it“, sagt David irgendwann zu Benji. Es ist die treffendste und herzzerreißendste Charakterisierung eines bipolaren, geliebten Menschen, der Licht und dunkelste Abgründe gleichermaßen anzieht und verbreitet.
Als „a real pain in the ass“ würde man Benji im Englischen bezeichnen. Er ist derjenige, der ständig Sand ins Getriebe streut. Der, der über die Strenge schlägt, wenn andere sich ausruhen wollen. Der, der immer noch eine Frage stellt, wenn man sich wünscht, die Diskussion wäre endlich beendet. Gleichzeitig hält er damit allen den Spiegel vor: hier geht es doch eigentlich um einen ganz anderen Schmerz. Einen, der so groß ist, dass man ihm kaum begreifen kann.
Zum Glück macht Jesse Eisenberg nicht wie in seinem Regiedebüt den Fehler, sich für den Fortgang der Geschichte rein auf die soziale Dysfunktion seiner Charaktere zu verlassen. Alle Figuren, allen voran die beiden Cousins, aber auch die Mitreisenden, böten genug Angriffsfläche, um sie für Momente skurrilen Humor bloßzustellen. Stattdessen lebt „A Real Pain“ von einer tiefen Menschlichkeit, mit der alle Beteiligten versuchen, einander zu begegnen, auch wenn sie manchmal dabei scheitern.
Als David ist Jesse Eisenberg ebenfalls großartig. Man liebt ihn aber noch mehr dafür, dass er das Spotlight eindeutig Kieran Culkin überlässt. Der hat für seine Darstellung des Benji kürzlich völlig zurecht den Golden Globe als bester Nebendarsteller gewonnen. In der Serie „Succession“ hat er bereits bewiesen, wie vielschichtig er abstoßende und gleichzeitig liebenswerte Charaktere darstellen kann. „A Real Pain“ ist die Spielwiese, auf der er seine emotionale Tiefgründigkeit zur Perfektion treiben kann. Dafür dass er ihm diese geboten hat, sei es Jesse Eisenberg gegönnt, dass er sich selbst eine Szene geschrieben hat, in der die Schönheit seiner Füße besungen wird.
„A Real Pain“ startet am 16. Januar 2025 in den deutschen Kinos.