Darf sich eine Band musikalisch weiter entwickeln? Wenn es nach so manchem Kritiker, teilweise auch selbsternannt, geht, offensichtlich nicht. Insbesondere Bands, die das Genre Indie Rock besetzen, wird häufig eine Weiterentwicklung abgesprochen. Unlängst mussten sich Arcade Fire mit ihrem aktuellen Album „Everything Now“ ins Kreuzfeuer begeben. Nun der Aufschrei bei dem sechsten Album der Arcitc Monkeys, „Tranquility Base Hotel + Casino“: Was ist aus dem guten alten Brit Rock der Anfangsjahre geworden? Alex Turner wird zum Conférencier der verrauchten Lounge mit Schummerlicht und Whisky auf Eis. Wo sind die messerscharfen Rock-Hymnen wie „You Look Good On The Dancefloor“ geblieben!? Wer die Arctic Monkeys in den letzten Jahren verfolgt hat, dürfte diese Entwicklung allerdings weniger verwunderlich finden. Schon auf dem letzten Album „AM“ wurden mit Songs wie „No. 1 Party Anthem“ und „Mad Sounds“ deutlich ruhigerer Töne angestimmt. Zudem hat Turner seine Vorliebe fürs Croonen bereits mit seinem Side-Projects The Last Shadow Puppets offenbart. Und auch die Tür zur verruchten Bar hat er zum Beispiel mit Alexandra Savior aufgeschlossen, deren Debütalbum er maßgeblich mitgeprägt hat. Und überhaupt, warum sollte man nach 12 Jahren immer noch das machen, was man schon immer gemacht hat?
Was definitiv geblieben ist, ist Alex Turners Wortakrobatik, die an Poesie und Fantasie ihresgleichen sucht. Diese beherrschen auch die Fans perfekt. Beim ersten Konzert der Arctic Monkeys ihrer Europa-Tournee in der Berliner Columbiahalle, stimmen die Fans sofort textsicher in den ersten Song des neuen Albums „Four Out Of Five“ ein. Von Sekunde eins an bebt die Halle und gleicht einer Sauna. Das liegt nicht nur an den warmen Außentemperaturen. Die ersten Fans werden schon zum ersten Song erschöpft aus der Menge gezogen, da hilft auch das Wasser nichts mehr, was die Security den Fans reicht. Die Stimmung ist aufgeheizt, im positiven Sinne. Bühnenbild und Turners Outfit unterstützen den lasziven Sound der neuen Platte und machen „Tranquility Base Hotel + Casino“ zu einem perfekten Gesamtkonzept. Auf dem Weg zum Erwachsenwerden sagt der gleisend weiß leuchtende Bandschriftzug nur noch „Monkeys“. Das Arctic hat man zumindest für den Moment abgelegt. Dass die Monkeys die von ihrer Größe her überschaubare Columbiahalle gewählt haben und diese dafür gleich zwei Mal bespielen, ist sicher auch kein Zufall. Ja, sie füllen mittlerweile die großen Hallen, aber die Atmosphäre eines Clubs passt doch so viel besser zur Show als eine große unpersönliche Mehrzweckhalle. So nehmen Fans und auch die Band in Kauf, bis auf die Haut naß geschwitzt zu sein. Selbst die immer größer werdenden Schweissflecken stehen Turner gut, der sein Hemd mit jedem zweiten Song ein bisschen weiter aufknöpft. Wir sind nicht böse drum.
Mit gewohnt expressiven Gesten führt er durch die Show, begleitet von seiner fulminanten Band. Die größte Umstellung bedeutet die Weiterentwicklung des Sounds sicherlich für Schlagzeuger Matt Helders. Das gewohnt kraftvoll, treibende Spiel weicht bei so manchem Songs eher dem eines Jazz-Drummers. Aber auch das steht Helders ausgesprochen gut, der sich zur Abwechslung auch mal an das Keyboard zurückzieht. Wie sehr die Songs der neuen Platte am Ende doch Arctic Monkeys sind, zeigt sich darin, wie harmonisch sie sich in die Setlist einfügen. Und damit es noch besser passt, wird auch mal ein Song wie „The Hellcat Spangled Shalalala“ ein bisschen umarrangiert.
Nur kurz dürfen die Fans Luft holen, nachdem sich die Band mit „One For The Road“ in die Zugabe verabschiedet. Fußballähnliche Fangesänge holen die Jungs aus Sheffield schnell wieder auf die Bühne, und noch eins wird an diesem Abend klar: der Anteil der Englischen Fans ist exorbitant hoch, was sicherlich auch den Moshpit beim letzten Song „R U Mine?“ erklären lässt. Ein fulminanter Abschluss, der bestätigt, die Arctic Monkeys haben keinesfalls an Strahlkraft verloren. Sie sind einfach nur ein bisschen erwachsener geworden in den letzten 12 Jahren, wie wir alle. Auf in einen zweiten Abend!
War dabei und Fotos: Kate Rock