Jack Whites neues Album „Boarding House Reach“ – nichts für Misophoniker

Einer der irrsten Songs auf Jack Whites neuem Album „Boarding House Reach“ heißt „Hypermisophoniac“. Misophonie, wörtlich „Hass auf Geräusche“, bezeichnet eine neurologische Störung, die zu einer verminderten Toleranz gegenüber bestimmten Geräuschen führt. Das gibt es also wirklich. Ein „Hypermisophoniac“ hingegen ist etwas, das Jack White sich selbst ausgedacht hat, wie er diese Woche erst in einem Radiointerview erzählt hat, stolz, ein wenig schelmisch. Er scheint schon genau zu wissen, dass er sich mit seinem dritten Soloalbum ein ziemliches Unding geleistet hat. Dass die Reaktion mancher Hörer durchaus in Richtung Misophonie gehen könnte.

Jack White, der König der musikalischen Reduktion. Mit den White Stripes setzte er jahrelang auf ein strenges Konzept, Gitarre, Schlagzeug, Klavier, keine Soli, keine Verfremdungseffekte. Diesem Konzept zeigt er auf „Boarding House Reach“ nun genüsslich den Mittelfinger. Jack White bastelt elektronische Beats, lässt Synthesizer fiepen und Jazz-Klavier erklingen, er sampelt Blödsinn wie den Fidget Spinner seines Sohnes, er rappt (!), er predigt, er spricht statt zu singen. Und bei all dem wirkt er als hätte er den Spaß seines Lebens. Und beweist, dass das Korsett des Rock’n Roll zur Abwechslung auch mal gesprengt werden kann, das Kleid aber trotzdem sitzt wie angegossen.

Wer schon bei der ersten Single, der bombastischen Gospel-Nummer „Connected by Love“ in leichte Verwirrung gestürzt wurde, der dürfte im weiteren Verlauf des Albums des öfteren verwundert aus der Wäsche gucken. „Why Walk A Dog“ beginnt mit einem schleppenden Electro-Beat, der von wabernden Keyboards und einer leidenden Gitarre ergänzt wird und nicht zuletzt durch Jack Whites noch leidenderen Gesang. Wie leidenschaftlich man doch über das Schicksal gezüchteter Hunde seufzen kann! „So somebody mated them and took their babies away from them.“ Schonmal drüber nachgedacht, wie schrecklich das eigentlich ist? Jack White macht’s möglich.

Er schafft es auch, dass man ihn vor seinem inneren Auge auf Stöckelschuhen in den Spagat fallen sieht, wenn er sich im Anschluss durch „Corporation“ jamt. Was für ein funkiges Biest! Prince hätte seine Freude daran gehabt. Funk-Gitarre, Congas, Claps, Geschrei und Gequietsche – „Who’s with me?“ ruft Jack. Die, die sich spätestens an dieser Stelle mehr Blues-Rock oder Country-Folk à la der Vorgänger Platte „Lazaretto“ gewünscht hätten, vielleicht nicht. Macht aber auch nichts, die können sich gerne mit ihrer Plattensammlung Zuhause verkriechen und sich darüber grämen, dass es kein neues Raconteurs Album geworden ist. Jack und ich starten derweil eine Corporation.

„Boarding House Reach“ ist ein schizophrener Wahnsinns-Ritt im allerbesten Sinne. Allein ein Song wie „Respect Commander“. Der galoppiert erst einmal los wie ein durchgedrehter Gaul, stolpert, hält inne, und da ist er plötzlich, der Blues. So schmutzig, so dreckig. So geil. Pardon. Oder „Ice Station Zebra“! Hier kommen die oben bereits erwähnten Puzzleteile „Sprechgesang“ und „Jazzklavier“ zusammen. Ich hasse Jazzklavier. Sprechgesang hasse ich nicht, würde ihn aber nicht als erstes mit Jack White verbinden. Zusammen gemischt schmeckt das Ganze dann ein bisschen wie Salty Caramel. Geil. Ups, schon wieder. Pardon.

Kurz bevor alles überstanden ist, kommt, passender Weise mit „What’s Done Is Done“ doch noch der Schmuse-Country daher, mit Harmonie-Gesang, Akustik-Gitarre und Hammond Orgel. Aber auch hier klackert unter dem Ganzen ein elektronischer Beat, flötet plötzlich ein Synthesizer solierend vor sich hin. Als hätte Jack White dafür sorgen wollen, dass die Hypermisophoniker unter seinen Hörern auch garantiert nicht zur Ruhe kommen. Und während sie sich noch ratlos am Kopf kratzen oder vielleicht sogar wütend die Faust Richtung Stereoanlage erheben, schwofen Jack und ich schon zu dem sweeten Rausschmeißer „Humoresque“ zur Tür hinaus.

Ohne Frage, Jack White hat sich auf diesem Album so richtig ausgetobt. Mag sein, dass die Pferde dabei manchmal mit ihm durchgegangen sind. Aber irgendwie ist „Boarding House Reach“ gerade deshalb das ehrlichste Stück Jack White Musik geworden, das man seit langem gehört hat. Man muss es nicht mögen. Man kann es aber auch einfach lieben.

VÖ: 23.03.2018

Gehört von: Gabi Rudolph

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