Erdmöbel im Interview: „Standpunkt, Standpunkt, Standpunkt“

Am Freitag ist es soweit! Dann beantwortet die Band Erdmöbel all eure existenziellen Fragen. Sollte man meinen, denn „Hinweise zum Gebrauch“ heißt das an diesem Tag erscheinende neue Album. Da kann man doch annehmen, dass man sie endlich in Händen hält, die ultimative Gebrauchsanweisung für dieses schrecklich verwirrende Dasein. Aber ist das auch wirklich so? Zumindest ist „Hinweise zum Gebrauch“ ein ganz besonderes Album geworden. Eingängig und gleichzeitig ein bisschen kompliziert, ehrlich und direkt sowie verspielt gleichermaßen. Das erste ganz offiziell politische Album der Band. Mit Barack Obama auf dem Cover! Uiuiui. Vielleicht gibt es da doch mehr Fragen als Antworten. Markus Berges und Ekimas durfte ich ein paar davon stellen.

Der Kollege vor mir meinte, ihr hättet den Ruf, im Interview schwierig zu sein. Das möchte ich jetzt gerne sehen.

Ekimas: Wirklich? Das glaube ich nicht. Wenn es so wäre, würde es mir aber sehr schmeicheln. Aber wir waren schon immer nette Jungs und sind jetzt auch nette Männer. Was wir merken ist, dass die Sachen die wir machen nicht so unkompliziert sind, wie wir selber denken. Wir haben deswegen noch nie einen Hit gehabt. Inzwischen haben wir raus gefunden dass die Leute, wenn sie uns zum ersten Mal hören oft denken: „Oh, das ist aber schräg. Ich selbst find’s gut, aber meinem Kumpel kann ich das schon nicht mehr zumuten.“

Markus: Das ist für uns dann sehr überraschend, weil wir davon kein Bild im Kopf haben. Wer findet sich schon selber schräg? Da muss man doch bescheuert sein.

Ekimas: Wir selbst machen einfach das, was wir immer machen. Es gibt ja viele Künstler die, sobald sie auf die Bühne gehen, jemand ganz anderes sind. Natürlich ist jeder im Privatleben anders, in der Regel sehr viel langweiliger. Wir sind eher so aus der Abteilung Selbstironie. Unsere Sachen sind überhaupt nicht selbstironisch, wir selber zu uns als Person aber schon. Wir finden es okay, wenn die Leute auch mal über uns lachen.

Das bringt mich natürlich auf eure neue Platte. Ich will ganz ehrlich sein, als ich sie das erste Mal komplett durchgehört habe, fand ich sie eure am schwierigsten greifbare Platte bisher. Jetzt, nachdem ich sie ein paarmal gehört habe, tendiere ich dazu, dass sie vielleicht sogar die eingängigste ist. Könnt ihr das nachvollziehen?

Ekimas: Ich glaube die Sachen, die zuerst sperrig wirken sind die, die man sich am Ende gut merken kann. Das ist ja auch unser Credo, dass wir sagen es ist überhaupt nicht schlimm wenn etwas schräg ist, das ist doch am unterhaltsamsten. Wir finden es nicht schlimm, wenn man einen Song nicht sofort versteht, wenn man eine Wahl hat zwischen mehreren Bedeutungen. Der Unterschied zu früher ist, dass wir uns nicht gescheut haben, die Songs als Haltung zur Welt zu verstehen. In unserem Universum ist es die erste politische Platte, die wir machen.

Es geht inhaltlich dieses Mal so gar nicht um Innerlichkeiten.

Markus: Ja, genau. Erstens ist die Platte sehr viel persönlicher als andere. Als Songschreiber, der die Texte geschrieben hat, ist das besonders wichtig für mich. Das letzte Album war relativ artifiziell. Wenn ich ein persönliches Album machen möchte, will ich nicht über meine Biografie erzählen. Persönlich bedeutet für mich in dem Sinne: Wofür kann ich stehen, wofür will ich stehen? Wo sehe ich mich und uns? Das bedeutet heute, ein politisches Album zu machen, das konkrete Zeitbezüge hat und aus meiner Sicht die interessanten Fragen stellt. Damit meine ich Fragen, die bei mir durch den Song erst entstehen, die ich mir nicht vorher ausgedacht habe.

Ekimas: Heute interessieren sich viele Menschen, die früher nie eine politische Haltung hatten, viel mehr für politische Dinge. Weil so viel Widerstand nötig ist. Plötzlich sagt da einer etwas, womit du überhaupt nicht einverstanden bist. Und es ist nicht nur einer, es sind ganz viele, die so denken, die plötzlich Werte in Frage stellen, die man hat. Dass Rassismus scheiße ist, ist für viele Leute heutzutage nicht mehr selbstverständlich. So etwas hat dazu beigetragen, dass ich mich für Politik interessiere. Vorher dachte man: läuft doch!

Meine Jugend ist ja sehr unpolitisch verlaufen. Wir haben Zuhause keine politischen Themen erörtert. Es ärgert mich richtig, dass man mir nicht früher beigebracht hat, mir über Dinge selbständig eine Meinung zu bilden. Ich gebe es zu, heute finde ich das oft schwieriger denn je.

Ekimas: Es geht zum Teil ja auch um sehr profane Dinge, die einen nicht wirklich interessieren. Was realpolitisch einer so macht. Plötzlich geht es dann aber nicht um profane Dinge, sondern um Lebensqualität, um die Menschheit im Gesamten. Donald Trump ist ja nur einer von vielen, die plötzlich Sachen raus hauen, die ich unfassbar unterirdisch finde. Ich dachte immer, niemand traut sich so etwas zu sagen und das auch noch gut zu finden.

Markus: Ich finde das interessant was du sagst, dass du eher unpolitisch aufgewachsen bist. Mir persönlich geht das überhaupt nicht so. Meinem Vater war Politik sehr wichtig, er war überzeugter Sozialdemokrat, bei uns gab es viel Streit in der Familie was das angeht und viele Diskussionen. Wir sind ja auch ein bisschen älter als du. In meiner Erfahrung hatte ich eine total politisierte Jugend. In unserer künstlerischen Arbeit bestand eigentlich immer ein gewisser Widerstand darin, sich davon fernzuhalten. Dass wir nicht ausdrücklich politisch waren, war bisher unsere politische Haltung. Wir haben uns immer in einem gewissen Widerstand gesehen. Dass wir uns in gewissen Dingen für L’art pour L’art entschieden haben, war eine Haltungsfrage. Das funktioniert heute aber nicht mehr so richtig. Wir wollen uns in Beziehung setzen, wir sind ja nicht alleine auf der Welt. Für uns ist es deshalb unser Album der Zeit. Nicht dass es jetzt insgesamt so wichtig ist, aber für uns ist es das. Das, woran wir gearbeitet haben und das, was wir jetzt sagen wollen.

Mit meinem Mann habe ich heute Morgen schon ausgiebig darüber diskutiert. Über das Thema „Hinweise zum Gebrauch“, über den roten Faden von dem du singst, der zwar da ist, aber niemand sagt einem, wie man ihn nutzen soll. Das trifft die aktuelle Zeit ganz gut auf den Kopf, finde ich. Alles ist verwirrender denn je. Und da kommen Leute wie Trump oder die AFD ins Spiel, die mit ganz einfacher Rhetorik augenscheinlich greifbare Lösungen bieten, die wahnsinnig simpel erscheinen.

Ekimas: Wahnsinnig simpel und der kürzeste Weg zu dem was man Schlechtes denken kann. Wenn man gesagt kriegt: Folter ist okay, weil es so effektiv ist, man kriegt damit so gut Sachen aus den Leuten raus. Das ist der kürzeste Weg und man hat nicht weiter drüber nachgedacht, was daran eigentlich gut sein soll. Die sind böse und müssen gefoltert werden, fertig. Scheußlich. Aber Hinweise zum Gebrauch hat man nicht. Die hat man auch nicht, wenn man unser Album hört. Das ist das Leben. Man muss immer neu nachdenken. Das ist auch gut. Man muss diskutieren. In der Band haben wir auch viel diskutiert. Vor allem über das Cover. Auch wenn man sich gar nicht einig ist, da kommt ja was dabei raus, wenn man miteinander redet. Bis heute haben wir zu dem Cover keine richtig gemeinsame Meinung, haben uns dann aber gesagt: genau das ist gut. Auf dem Cover ist jemand drauf, der kann für die verschiedenen Leute etwas verschiedenes bedeuten. Aber es bedeutet auf jeden Fall: Standpunkt, Standpunkt, Standpunkt. Dann fängt man an zu reden, und das ist toll.

Markus: Du hast gesagt man muss immer neu nachdenken. Das ist sowohl eine künstlerische als eine politische Haltung und damit total demokratisch. Wenn du immer wieder über die Dinge nachdenken musst, musst du auch immer wieder über sie sprechen und sie neu aushandeln. Und das ist genau nicht die faschistische Haltung, die auf eine bestimmte Identität setzt, auf bestimmte Rechte, die an deine Körperlichkeit und deine Herkunft gebunden sind. An der Stelle trifft sich Politik und Kunst. Wie in unserem Album.

Rein musikalisch finde ich eure Songs zum Teil verspielter denn je. Sehr viele schöne Kleinigkeiten kann man da raus hören.

Ekimas: Wie das gekommen ist weiß ich gar nicht. Wahrscheinlich langweilen mich die anderen Sachen inzwischen. Das Album fängt mit einem Song an, das gar keinen richtigen Takt hat. Das merken wir jetzt, da wir ihn einüben. Wir fangen plötzlich an über Sachen zu reden wie: Wo ist denn jetzt die Eins? Normalerweise redet man über sowas nicht, weil Popmusik einfach ist. Markus hat den Song taktmäßig anders geschrieben als ich ihn umgesetzt habe. An dem Unregelmäßigen habe ich richtigen Spaß entwickelt. Der Song hat jetzt aber einen total schönen Sound.

Und ein sehr schönes Gitarrensolo.

Ekimas: Ich hatte eine neue Gitarre! Die habe ich ausprobiert, was die so kann. Heraus gekommen sind diese China ähnlichen Melodien. Da stehen wir jetzt vor dem Problem wie wir das live umsetzen, wir haben ja keinen Gitarristen dafür. Ich war diesmal viel alleine mit der Musik. Am längsten hat „Party deines Lebens“ gedauert, da habe ich lauter Sachen zusammen geschmissen, die keiner gut fand aus der Band. Haben wir lange mit gekämpft, dass das Ding Spaß macht.

Erzählt mir von eurem Song „Tutorial“. Gibt es dieses Tutorial wirklich, weinen in zehn Schritten?

Markus: Es gibt tatsächlich so ein ähnliches Tutorial von einer amerikanischen Youtuberin, das ich frei übersetzt habe. Ich habe es erstmal abgeschrieben und dann was draus gemacht. Es ist relativ nah dran. Ich finde, es hat poetische Qualitäten.

Ekimas: Aber blabablableble hat sie nicht gesagt, oder?

Markus: Ne, das sagt sie nicht. Am Ende was das Rauszögern angeht, das habe ich noch etwas übertrieben. Aber der Witz ist, dass man etwas vorträgt, einen Kurs geben will, es selber aber gar nicht wirklich drauf hat. Auf Kommando zu weinen ist so eine existenzielle Herausforderung. Wir haben gerade ein Video gedreht, in dem Schauspielerinnen das Tutorial nachspielen. Das war sehr interessant zu sehen. Wir haben mit ganz tollen Schauspielerinnen gearbeitet, aber es ist ein Thema, das sie alle vor eine große Herausforderung stellt.

Ekimas: Jede sagt erst einmal: Ich glaube nicht, dass das gleich klappt.

Markus: Wie das funktioniert interessiert ja jeden Laien. Trotzdem ist es kein abgefrühstücktes Thema. Schon im Original ist es so, dass da etwas gelehrt wird, was am Ende nicht ausgeführt werden kann. Das ist schon ein ziemlich schöner Gebrauchshinweis.

Ekimas: Die Schauspielerinnen haben alle gesagt, das mit den zehn Schritten funktioniert nicht. Die meisten fingen bei neun schon an richtig jämmerlich auszusehen. Obwohl sie da eigentlich noch euphorisch sein sollten. Und fünf, sechs Anläufe haben die meisten gebraucht bis es geklappt hat.

Ich habe mir ja geschworen, ich werde euch niemals nach der Bedeutung eines Songs fragen. Jetzt hat aber mein sechs Jahre alter Sohn „Erschlagt die Armen“ gehört und war ganz entsetzt: Mama, warum will er denn die armen Menschen umbringen? Da dachte ich mir, das müsst ihr ihm mal selber erklären.

Ekimas: (zu Markus) Jetzt stehste da!

Markus: (nach einer langen Pause) Junge. Das ist ein Lied. Hast du nicht Lust es mitzusingen? Und fühlt sich das nicht ganz komisch an?

Ekimas: Du kannst ihn auch damit trösten dass derjenige, der die Armen erschlagen will und es nicht hin kriegt, in der dritten Strophe selber erschlagen wird. Wobei, das ist Auge um Auge, das ist eigentlich auch nicht gut.

Markus: Ich weiß nicht ob dein Junge das schon nachvollziehen kann, aber Armut ist ja etwas, das der Reiche hasst. Weil es ihn in seinem Reichtum herausfordert. Und wenn du selber auf der Straße bist und diese Menschen sieht, dann hat man nicht immer nur Mitleid, wenn man ehrlich ist, sondern manchmal auch Hass. Aus den verschiedensten Gründen, aber in erster Linie, weil es keinen Reichtum ohne Armut gibt. Die Armen machen dich reich. Deswegen ist es so, dass die Aggression und der Hass auf die Armen immer dazu gehört. Darum geht es in diesem Song.

Ekimas: Ich glaube, mit sechs Jahren kann man das schon verstehen. Wir klagen ja auch an, dass es so ist. Dass die Armen die Reichen reich machen. Sie wollen nicht, dass die Armen Macht haben, sie wollen, dass die Armen verschwinden. Wenn die Armen aber verschwinden, dann sind die Reichen nicht mehr reich. Wie schlecht die Welt wirklich ist, das muss dein Sohn aber noch nicht im Detail erfahren.

Man kann auf jeden Fall sagen, dass die Platte etwas mit einem macht. Jeder aus meiner Familie, der sie bis jetzt gehört hat, ist für einen Moment, aus unterschiedlichen Gründen, aus seiner Spur gerutscht.

Markus: Das ist gut!

Ekimas: Dann hoffen wir, dass diesen ersten Moment der Irritation, den du vorhin beschrieben hast, möglichst viele Menschen überwinden. Dass das die Leute nicht abhält. Da haben wir ja jedes Mal Angst vor. Wir wollen natürlich, dass die Platte unter die Leute kommt.

Das neue Erdmöbel Album „Hinweise zum Gebrauch“ erscheint am 20.02.2018 auf Jippie! Industrie.

Interview: Gabi Rudolph
Foto: Matthias Sandmann

www.erdmoebel.de