Yello im Interview: „In diesem gigantischen Angebot findet sich niemand zurecht“

Manchmal erlebt man verrückte Sachen. Zum Beispiel, dass man ganz oben auf dem Berliner Funkturm im Restaurant sitzt, während um einen herum einer für diesen Sommer so typischen Stürme niedergeht, der das ganze Ding zum wackeln bringt. Und währenddessen unterhält man sich mit Dieter Meier und Boris Blank, die mit ihrer Band Yello zu den Urgesteinen der internationalen elektronischen Musikszene gehören. Und weil man sich in Anbetracht von so viel Erfahrung (wir reden hier von 40 Jahre Bandgeschichte) ganz ehrfürchtig fühlt, ist man erst ein bisschen eingeschüchtert. Um dann festzustellen, dass man sich mit den Herren Meier und Blank wirklich ganz hervorragend, entspannt und vor allem überaus interessant unterhalten kann. Das Unwetter überlebt haben wir auch. So können wir uns alle auf die Yello Live Shows 2017 freuen, denn das Live spielen ist etwas, das die beiden, erstaunlicherweise, erst im letzten Jahr entdeckt haben. Sie haben auf jeden Fall so richtig Lust drauf!

Wie geht es euch? In Anbetracht der vielen spannenden Sachen, die gerade mal wieder auf euch zukommen?

Boris Blank: Wunderbar, fantastisch!

Dieter Meier: Es ist eine große Freude, jetzt auf Tournee zu gehen. Nach der ersten Erfahrung letztes Jahr in Berlin, da haben wir ja viermal gespielt. Wir haben gelernt wie toll es ist auf der Bühne zu stehen und den unmittelbaren Kontakt mit dem Publikum zu haben. Das ist etwas völlig anderes als im Studio zu spielen. Dieses Hier und Jetzt, das Unmittelbare. Und auch das Gefühl, hoffentlich jemandem eine Freude zu bereiten. Wir haben wirklich Spaß daran bekommen. Die nächsten 20, 30 Jahre werden wir das jetzt machen.

Boris Blank: Die ersten 40 Jahre sind rum, die nächsten 40 stehen an.

Dieter Meier: Ja klar. Ich habe ja früher immer im Witz gesagt, mein Lebensziel sei es, mit 90 in Las Vegas aufzutreten. Deshalb treibe ich viel Sport, damit das auch klappt… (überlegt) Das sind ja nur 18 Jahre bis da hin, das ist ja beängstigend! Ich bin 72.

Boris Blank: Deshalb haben wir angefangen als wir ganz jung waren.

Dieter Meier: Ich hatte natürlich großes Glück als ich jung war. Da war dieser irische Wahrsager auf einer englischen Kirmes. Prince Gypsy Lee hieß der. Der hat für fünf Pfund aus der Hand gelesen. Ich hab ihm von Anfang an zehn Pfund gegeben und er hat gesagt, sowas habe er ja noch nie gesehen, ich werde 127 Jahre alt. Ich habe also gute Chancen 127 Jahre alt zu werden, Wahrsager haben ja meistens recht.

Da kann man noch ein paar Jahre Musik machen.

Dieter Meier: Na sicher, klar.

Das heißt, das was ihr macht wird euch auch überhaupt nicht langweilig?

Dieter Meier: Nein, es ist quasi ein Elixier. Jeden Abend wenn man auftritt ist es eine große Anspannung und macht unglaubliche Freude. Es ist die Challenge, sich in einer Extremsituation zu spüren. Wie ein Bergsteiger. Wir sind ja auch noch nicht wirklich gewöhnt daran, vor ein paar tausend Leuten unsere Lieder zu singen. Hoffen wir, dass sie auch kommen!

Wie wichtig ist für euch auch auf der Bühne das Gesamtkonzept? Als das man euch ja auch als Band empfindet. Die visuelle Seite war bei euch schon immer sehr wichtig.

Dieter Meier: Wir haben glaube ich ein interessantes Bühnenbild. Das besteht aus Filmmaterial von Yello Videos und neu gedrehten Sachen. Man könnte sagen Kollagen unter dem Titel „To the future through the past“. Wir verwenden Reminiszenzen der eigenartigen Videos, die wir über die Jahre gemacht haben und verfremden das. Es ist alles ein Ganzes. Es ist nicht so, dass wir eine Show machen und einer macht dazu die Videos und ein anderer das Licht. Das kommt schon alles aus einer Hand. Aus vier Händen sozusagen.

Ist das nicht völlig verrückt, wenn man schon 40 Jahre in dieser Branche tätig ist? Da muss sich um einen herum mit den Jahren doch wahnsinnig viel verändert haben.

Boris Blank: Rund um uns herum hat sich viel geändert, kann man sagen. Wir selber, wir können ja nicht viel mehr anderes als das was wir können. Ich zumindest kann nichts anderes. Ich bin ein Musiker der lebt wie ein Mönch, abgeschieden jeden Tag in meinem Studio. Wie ein Maler eher, der jeden Tag Bilder malt und wenn das Atelier voll von Bildern ist und kein Platz mehr ist, dann gibt es eine Ausstellung. Das Umfeld und das was musikalisch rund um mich passiert ist, das kriege ich schon mit. Sicher bleibe ich da nicht stehen und werde mich mit der Technik mit entwickeln. Alles ist komfortabler was das Handling neuer Technologien in der Musik betrifft. Aber ansonsten kann ich mich nicht verändern. Oder wie Dieter so schön sagt, einen chirurgischen Eingriff machen um uns anzupassen. Gucken was angesagt ist und denken, jetzt müssen wir aber ein anderes Jackett anziehen. Das war nie unsere Welt, weil wir uns selber in diesem Sinne gefunden haben und unser Gesicht bewahren.

Dieter Meier: Man kann sagen, nach drei Takten Musik von Boris Blank weißt du, du bist im richtigen Film. Dieses musikalische Gesicht, das ist Ausdruck einer ganz tiefen Erfahrung im Umgang mit Klängen, die Boris in den letzten 40 Jahren erfahren hat. Jeder große Komponist, ich will das jetzt nicht direkt vergleichen, aber ich höre viel Musik im Radio, von dem kennst du die Stücke. Auch wenn du sie noch nie gehört hast, da weißt du sofort das ist Brahms oder das ist Dvořák, das ist Beethoven und das Rachmaninov. Weil die eben wie auch ein Schriftsteller ihr Gesicht gefunden haben. Und da rede ich von den großen Schriftstellern, nicht den reinen Beschreibern, die es heute gibt. Aber das Urteil über ein Kunstwerk ist ja etwas sehr subjektives. Es ist ein lächerliches, kleinbürgerliches Statement wenn man über Kunst redet, als sei es ein Aggregatzustand. Ich habe meine ganz eigene Definition, die ist abgeleitet von einer Bierreklame. Es gab in den 80er Jahren in New York eine Bierreklame: „Heineken reaches parts of your body other beer’s don’t.“ Die Abwandlung davon ist, Kunst ist, „when it touches parts of my mind other thing’s don’t“. Aber das ist wie gesagt subjektiv.

Gibt es in der derzeitigen modernen Szene, sei es Musik oder Literatur, Dinge die euch inspirieren? Beziehungsweise hat sich das, woraus ihr Inspiration bezieht, mit den Jahren geändert?

Boris Blank: Ich glaube Sachen, die einen berühren, das ist wie eine Intuition. Oder etwas das man gerne riecht. Musikalisch sind es für mich Sachen, die sich in meinem Gedächtnis fest setzen und sich irgendwann in etwas reflektieren, sodass ich gar nicht mehr unmittelbar sagen kann, das kommt jetzt von da. Dass ich etwas höre und denke, das möchte ich auch genau in die Richtung machen, das geht gar nicht. Diese Definition davon was Kunst ist oder was einen anspricht, das finde ich von Dieter sehr schön gesagt.

Dieter Meier: Ich habe das Glück, mein ältester Sohn macht auch Musik. Ich bin jetzt kein Nerd auf diesen Geräten, aber alle paar Wochen spielt er mir etwas vor, das ihn interessiert. Neue Sachen, von denen ich meistens wieder die Namen vergesse, aber da gibt es unglaublich interessante Sachen. Mischformen aus verschiedenen Stilen, die eine völlig neue Musik ergeben. Das ist extrem in Bewegung. Der Unterschied zu früher ist, dass man diese Sachen entdecken muss. Die werden überhaupt nicht gespielt. Ich sage immer, wenn man eine Band wie Yello heute antreten würde, kein Radio, kein Fernsehen, kein MTV würde das spielen. Durch das Überangebot kommt es zu einer Einfalt der Auswahl. Die Aufgabe dieser Sender ist es, ein Produkt an den Mann zu bringen. Und so klingt dann eben auch die Musik.

Boris Blank: Ich glaube aber, das ist nur eine Form von Medium, Dieter. Im Netz, auf YouTube oder wo immer finden so viele Sachen statt. Du hast neulich gesagt ein Leben würde nicht reichen um alles zu hören, was an einem Tag released wird, auf allen Medien. Da gibt es viele wunderbare Künstler, die tolle Sachen machen aber die nie wirklich das Tageslicht erblicken. Wir haben das Glück, dass Yello ein bekannter Brand ist, dass wir eine Fangemeinde haben, die immer noch funktioniert. Aber wie kann man heutzutage quasi aus dem Untergrund hervortreten? Wann kommt die Zeit, wo man all diese neuen, modernen Formen von Kunst und Musik heute noch entdecken? Wie wird das weiter gehen? Pro Woche kommen alleine in England 500 CDs raus. Wo will man das alles kanalisieren?

Dieter Meier: Die größte Illusion ist, dass man sagt, der Auftritt der Musik sei durch das Internet demokratisiert worden. Das ist natürlich völlig verkehrt. In diesem gigantischen Angebot findet sich niemand zurecht. Es wird jetzt immer mehr darauf hingearbeitet, dass, wenn du dich mit gewissen Vorlieben zu erkennen gibst, dann irgendwelche Algorithmen ausrechnen, was du sonst noch hören möchtest.

Boris Blank: Ja, total! Das kann ich dir hier sofort zeigen.

Dieter Meier: Es ist ja auch eine Aufgabe der Plattenindustrie, für die durch die Streamingportale die Verbreitung von Musik extrem einfach und kostengünstig geworden ist, ihre Bedeutung zurück zu gewinnen. Wenn ich jetzt jung wäre, ich würde eine Musikfirma gründen und mir einbilden, dass ich ein Entdecker sein kann, der interessante Dinge auf diesen neuen Wegen verbreitet. Ohne dass du die Probleme hast von früher, mit Herstellungen, mit Retouren und so weiter. Das ist ein unglaublicher Fortschritt. Das Problem ist, dass es komplett undurchsichtig ist. Man weiß nicht, was die mit Werbung verdienen. Die Schallplattenfirmen sind ja alle beteiligt an Spotify aber man weiß nicht, was da abgerechnet wird. Für eine Million Stream kriegst du 50 Dollar, das ist ein Wahnsinn.

Wie wichtig ist euch Social Media? Das nimmt ja auch immer mehr Bedeutung ein beim Vertrieb von Musik.

Boris Blank: Sicher, da sind wir schon dabei.

Dieter Meier: Aber sehr bescheiden.

Boris Blank: Bescheiden, klar. Nicht so bewirtschaftend wie zum Beispiel Depeche Mode. Es gehört mit dazu, aber da sind wir dann doch alte Hasen, bei denen die Musik im Vordergrund steht.

Dieter Meier: Ich sage immer: wenn der Boris mal stirbt, der wird noch das Geräusch samplen, wenn der Nagel in den Sarg geschlagen wird und da was draus machen. Der hört niemals auf mit dem Musik machen!

YELLO live:

31.08.2017 Konzerte unter dem Funkturm
IFA Sommergarten, Messe Berlin

29.11.2017 Frankfurt, Festhalle Frankfurt
30.11.2017 CH-Zürich, Hallenstadion Zürich
03.12.2017 Hamburg, Barclaycard Arena
05.12.2017 München, Olympiahalle München
06.12.2017 A-Wien, Wiener Stadthalle, Halle D
08.12.2017 Stuttgart, Porsche Arena
09.12.2017 Köln, LANXESS Arena

Interview: Gabi Rudolph & Kate Rock

www.yello.com