Joe Goddard im Interview: „Eine neue Bassline macht mich glücklich“

Gleich neben dem großen Studio mit unzähligen Sport- und Tanzkursen für Jugendliche im Angebot hat Joe Goddard heute in Berlin seinen Interviewraum. Besser gesagt: sein Zimmerchen. In dem winzigen Quadrat lässt der Brite sich zu seinem Soloalbum „Electric Lines“ kluge Antworten entlocken, kurz bevor es im anliegenden Prince Charles auf die Bühne geht. Eingemummelt im hellblauen Jogging-Ensemble erzählt er von seiner Herangehensweise an neue Musik, von seinem musikalischen Background, seinen Sorgen und Hoffnungen.

Wie läuft die Tour bisher?

Ich merke gerade, dass Touren mehr eine Junge-Menschen-Sache ist. Ich stecke vieles nicht mehr so weg. Aber ich liebe es die Songs jede Nacht live zu spielen, weil das eine ganz neue Wertschätzung möglich macht. Ich kann die Songs jetzt mehr genießen. Sie bekommen teils sogar neue Bedeutungen. Auf jeden Fall aber mehr Tiefe. Bei manchen Tracks fehlte auf Platte einfach noch etwas.

Bei einem Konzert hast du die Zügel in der Hand und kannst spontan intervenieren, wenn du glaubst, dass an einer Stelle noch etwas hinzufügt werden müsste, richtig?

Genau, das ist schon ein Vorteil, dass ich die Shows hauptsächlich alleine bestreite. Mit Hot Chip wäre bereits eine kleine Songveränderung mit viel Proben, Nachdenken und Diskutieren verbunden. Wir würden nicht einfach loslegen, sondern mehrere Tage damit verbringen, verschiedene Versionen auszutesten. Alleine kann ich dagegen einfach während eines Fluges ein bisschen remixen. Und auf meiner Festplatte warten auch immer wieder ältere, halb beendete Sachen darauf, dass ich sie hervorhole und endlich mal nutze, beziehungsweise fertig mache.

Wann hast du angefangen so gestückelt zu arbeiten?

Das habe ich schon immer so gemacht. Früher habe ich mich auf meinem 4-Track-Kassettenrekorder an der Gitarre aufgenommen und damit experimentiert.

Was hat dich damals inspiriert?

Vor allem Mogwai, Stereolab und Pavement. Ich wollte unbedingt auch diesen Lo-Fi-Sound hinbekommen. Dann bin ich irgendwann dazu übergegangen am Computer herumzubasteln und mehr HipHop einfließen zu lassen. Und dann fing ich auch schon an mit Alexis direkt nach der Schule zu mir nach Hause zu gehen und dort in meinem Zimmer an Hot Chip zu arbeiten.

Das klingt so, als seid ihr lange Zeit ziemlich indie unterwegs gewesen.

Wir waren da nicht so festgefahren. Wir hörten genauso viel Folk, HipHop und mit 16 kam bei mir dann auch noch Drum and Bass dazu. Aber so wie wir uns anzogen, dachte man, wir seien komplett im Grunge hängen geblieben. Wir waren diese typischen Nirvana-Typen, mit kaputten Jeans, Flanellhemden und langen Haaren.

Und wo kam diese musikalische Offenheit her?

Ich habe mich immer von Freunden beeinflussen lassen. Einer meiner Kumpels stellte mir oft Kassetten mit dem neuesten HipHop zusammen. Und Kieran Hebden von Four Tet war in der Schule nur zwei Jahre über mir. Er nahm mich zu Konzerten mit und brachte mir generell sehr viel über Musik bei. Kieran zeigte mir als Erster UK Garage.

War Musik bei dir jemals eine Art der Rebellion gegen deine Eltern?

Kaum, sie waren immer ziemlich entspannt. Mein Vater hat einen wirklich guten Musikgeschmack. The Velvet Underground ist seine allerliebste Band und die hat er mir schon früh vorgespielt. Und sie ließen mich auch abends problemlos weggehen. Ich habe höchstens mal gelogen, wenn ich mit meinen Freunden in einen Pub gehen wollte. Und wenn sie herausfanden, dass ich geflunkert hatte, war das keine große Sache. Ich denke, genau so sollte man ein Kind großziehen.

Das sehe ich auch so. Wenn man es schafft, entspannt zu bleiben und ein Kind einigermaßen angstfrei zu erziehen, ist das eine Menge wert.

Aber für mich selbst ist das wirklich schwer vor meinen Kindern immer den glücklichen, positiven Dad zu geben. Weil ich ständig Angst habe, vor allem, weil gerade so viel Schlimmes in der Welt passiert. Diese Angst nicht zu zeigen, verlangt mir alles ab.

Was machst du, um dich nicht von den Sorgen überrollen zu lassen?

Musik hilft mir. Ich weiß genau, was ich anmachen muss, um meine Laune zu heben. Trotzdem fällt es mir schwer positiv zu bleiben. Mir fehlt da noch ein richtiges Rezept zum Glücklichsein.

Deine Musik klingt überhaupt nicht so negativ, wie du dich gerade darstellst.

Ich nehme nicht den Radiohead-Weg und gehe in meiner Traurigkeit auf. Ich bevorzuge den Ansatz von Reggae. In der Musik gibt es immer dieses Vertrauen, dass man aus jeder noch so schlimmen Situation einen hoffnungsvollen, schönen Song machen kann. Ich mag die entlastende Wirkung von Musik. Eine neue Bassline kann nun mal enorm glücklich stimmen.

Was lässt dich selbstbewusst fühlen?

Ich habe sehr selten dieses Gefühl. Gerade mal als Produzent denke ich, dass ich das schon so lange mache, dass ich inzwischen ganz gut darin bin. Aber sonst ist für mich alles ziemlich unklar und ungewiss. Was kommt als nächstes? Wer weiß das schon, wenn man sich die aktuellen, schlimmen Nachrichten anschaut.

Ist es gerade so schlecht um uns Menschen bestellt?

Naja, nicht nur. Die Lebenserwartung ist besser denn je. Wir kümmern uns mehr um unsere Gesundheit. Wir kämpfen gegen Armut an. Und der technologische Fortschritt trägt auch dazu bei, dass wir ganz gut dastehen. Ich denke, wir sind momentan an so einer Schwelle, an der wir alles zu etwas wirklich Gutem machen könnten. Wenn wir nur diese alten Idioten loswerden könnten, die noch an so etwas wie fossilen Brennstoffen hängen. Diese Typen haben viel zu viel Kontrolle über unsere Regierungen. Wenn die endlich weg wären und die jüngere Generation an die Macht ließen, wäre das super. Junge Leute sind insgesamt viel positiver und leben gesünder. Sie machen sich mehr Gedanken um ihre Umgebung. Ich habe also schon auch Hoffnung für unsere Zukunft.

Was hältst du von der Zukunft der Musik?

Immer mehr Leute machen wirklich gute, futuristische Musik mit ihrem Computer. Denke da mal nur an Arca! Diese Explosion an Künstlern finde ich aufregend. Es ist allein schade, dass so viel Musik im Schlafzimmer bleibt. Jeder macht sie nur für sich an seinem Laptop. Da fehlt die Möglichkeit der Kooperation. In den 70er- und 80er-Jahren gab es diese großartigen Studios, mit ihren Produzenten, Musikschreibern und -spielern und Soundmixern. Zusammen probierten sie alle möglichen Genres und Stile aus. Aber nun ist nur noch eine Person übrig und das finde ich nicht gut. Dadurch gehen so viele tolle Chancen verloren. Es macht mich traurig, dass zig Studios schließen müssen, weil keiner mehr Budget dafür hat.

Und das Clubsterben ist auch ziemlich real.

Das merke ich auch in London. Jemand hat mal zu mir gesagt, dass man früher in Clubs gegangen ist, um dort jemanden für sich zu finden. Und jetzt würden die Leute dafür nur noch Tinder nutzen. Ich denke, da ist was dran. Da werden Clubs als erste Begegnungsstätte überflüssig. Außerdem leben die Menschen jetzt um einiges gesünder und da ist die Idee, im Club super betrunken zu werden, nicht mehr so ansprechend. Man ist sich bewusst, was Alkohol mit einem macht, und wie viele Kalorien er hat.

Ist das Musikbusiness so, wie du es dir früher vorgestellt hast?

Ich hatte gar keine richtige Vorstellung davon. Als wir mit Hot Chip anfangen, schauten wir auf das Musikbusiness immer aus so einer Independent-Perspektive und irgendwie ist es immer noch so. Vor allem bedeutet das harte Arbeit. Man kann nie aufhören zu arbeiten. Wir haben mit Hot Chip nie einen Punkt erreicht, an dem wir so erfolgreich waren, dass wir machen durften, was wir wollten. Es war noch nie drin, mal für ein Jahr Pause zu machen. Aber zum Glück liebe ich es immer an Musik zu arbeiten. Das eigentliche Business ist das, was ich nicht mag. Aber ohne Musik könnte ich keinen einzigen Tag.

Interview und Fotos: Hella Wittenberg

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