Interview mit Elliphant

PR_Shot_1_Photog_Dan_Monick_76835687„Provocative Pop“ nennt Elliphant ihre Musik. Die junge Schwedin ist irgendwie eine imposante Erscheinung, groß, hübsch, mit aufgeweckten Augen, sie begrüßt mich mit einer warmherzigen Umarmung, trinkt ein Bier und spielt beim Reden mit ihrer überdimensionalen Zöpfchenfrisur, die sie zu beiden Seiten ihres Kopfes aufgetürmt hat. Sie ist stolz auf das, was sie erreicht hat, dass sie jetzt wieder in Berlin sitzt, wo sie zuletzt mit Major Lazer aufgetreten ist und jetzt an diesem Abend vor ihrem eigenen Publikum ihre eigenen Songs aus ihrem Album „Living Life Golden“ spielen darf. Es macht Spaß mit ihr zu reden, über ihre Definition von Pop und Kunst und darüber, auf welcher Ebene sie mit ihrer Musik provozieren möchte.

Geht’s dir gut? Du wirkst sehr fröhlich.

Ja, mir geht es gut! Ich versuche möglichst gesund zu leben. So gesund wie es mir möglich ist. Nicht dass ich Sport mache und früh ins Bett gehe. Aber für meine Verhältnisse halte ich mich gut. Ich bin ja in dieses ganze Popstar Universum eher zufällig rein gestolpert. Davor war ich einfach ein komplett verrückter Mensch. Jetzt muss ich mehr leisten, aber trotzdem bin ich immer noch wer ich bin. Ich kann nicht aufhören zu rauchen oder zu trinken. Das ist es mir nicht wert, ich möchte immer noch ich selbst sein und trotzdem mein Bestes geben. Ich habe es versucht, aufzuhören zu rauchen, zu trinken, das ist aber nicht so einfach. Jetzt versuche ich wenigstens mich gut zu ernähren. Auch das im Rahmen meiner Möglichkeiten. Ich habe zum Beispiel nie ordentlich gefrühstückt, weil ich nie in meinem Leben, schon als kleines Kind nicht, derartige Routinen gelernt habe. Inzwischen gebe ich mir Mühe etwas zu essen, bevor ich morgens mit dem Kaffee anfange und esse möglichst gesunde Sachen. Ich fühle mich tatsächlich besser seitdem. Es funktioniert!

Ich stelle es mir insgesamt sehr schwer vor, auf Tour gesund zu bleiben.

Ja, aber das Schlimmste für mein Immunsystem ist der Stress, der Druck den ich mir selber mache. Da kann man nichts gegen tun, man muss einen Weg finden, mit dem Stress zurechtzukommen. Für mich funktioniert es am Besten wenn ich versuche möglichst viel Spaß zu haben. Als Elliphant versuche ich, mich so ehrlich wie möglich zu reflektieren anstatt zu versuchen jemand anderes zu sein als die die ich bin. Selbst wenn es gut läuft, geht es immer noch darum mich als Person und die Reise, die ich in meinem Leben mache zu repräsentieren. Ich habe nicht die unglaublichste Gesangsstimme…

Na ja… ich fahre wahnsinnig auf deine Stimme ab.

Weißt du, langsam gewöhne ich mich selber dran. Inzwischen mag ich sie auch. Ich mache seit vier Jahren Musik und langsam habe ich das Gefühl zu wissen was ich tue. Aber ich denke dass das, was mich von anderen Künstlern unterscheidet nicht mein Können ist, sondern meine Geschichte. Die ehrliche Geschichte, dass man mitten im Leben stehen und immer noch die Möglichkeit haben kann, sich komplett zu ändern. Es ist offensichtlich nie zu spät davon zu träumen ein Popstar zu werden. Ich selber hätte es nie für möglich gehalten. Ich war bereits 26 als ich angefangen habe und alle mit denen ich gearbeitet habe waren viel jünger und haben das bereits seit Jahren gemacht. Am Anfang dachte ich, das wäre meine Schwäche, aber es hat sich herausgestellt dass es genau andersrum ist. Ein Mädchen das perfekt singt, perfekt tanzt und immer gute Haut hat, das entspricht doch nicht der Realität. Ich habe immerhin den Mut mich so zu zeigen wie ich bin. Ich interessiere mich nicht besonders für Mode, eigentlich höre ich noch nicht mal wahnsinnig viel Musik, aber ich kann sagen, dass ich mein Leben vom ersten Tag an zu hundert Prozent gelebt habe.

Du bezeichnest dich ja auch selber gerne als Amateur.

Ehrgeiziger Amateur! (lacht) Tapferer Amateur. Aber natürlich werde ich mit der Zeit besser, als Persönlichkeit und als Künstlerin. Ich habe gelernt mir auszusuchen mit wem ich arbeite, ich weiß etwas mehr wo ich als Elliphant hin will. Diese zehntausende von Stunden, die ich inzwischen investiert habe, zahlen sich auf jeden Fall aus. Am Anfang war ich einfach nur glücklich dass ich die Möglichkeit hatte, in diese verrückte Welt zu springen. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich hier wirklich hin gehöre. Trotzdem glaube ich immer noch daran dass es gut ist, ein ehrgeiziger Amateur zu sein. Für mich kommt alle bedeutende Kunst von der Straße. Sie ist nicht das, was Leute auf Kunsthochschulen lernen. Kunst muss sich entwickeln. Das Problem mit einer künstlerischen Ausbildung ist, dass Kunst nicht etwas ist das man lernen kann, sondern das man sein muss. Und man muss immer offen sein für Veränderungen. Ich hatte einmal die Vision, dass ich Fotografin oder Autorin werden würde oder etwas mit meinen Illustrationen machen würde. Wenn ich mich nicht den Veränderungen in meinem Leben gestellt hätte, wäre ich jetzt nicht hier und würde dem nachgehen, was sich letztendlich für mich als die dankbarste Kunst herausgestellt hat. Und die lukrativste! Als ich noch als Fotografin tätig war musste ich Leute dafür bezahlen, dass sie meine Werke ausstellen. Mit Elliphant war es von Anfang an so, dass die Leute es wollten. Ich musste mich nie jemandem aufdrängen, geschweige denn jemanden dafür bezahlen mich anzuhören. Das hat mir Selbstvertrauen und Kraft gegeben, es durchzuziehen.

Würdest du auch sagen, dass Kunst und Perfektion sich widersprechen? Ich persönlich fühle mich mehr von Dingen angezogen, die nicht glatt poliert sind.

Das ist das absolute Paradoxon in der Kunst. Sie ist dazu da, alles auf den Kopf zu stellen. Etwas kompliziertes kann plötzlich einfach werden und umgekehrt. Das kann man doch fast auf das gesamte Universum übertragen. Ohne die kleinen Dinge die falsch laufen passiert nichts. Das kleine Molekül, das in die falsche Richtung läuft, kreiert etwas Neues. Es ist falsch, stellt sich aber mit der Zeit als richtig heraus. Das ist etwas Universelles, das sich auch auf die Menschheit an sich übertragen lässt. Ich stelle mir diese Frage sehr oft: warum sind die Menschen die einzige Spezies auf Erden, die nicht instinktiv das tut was gut für sie ist? Warum zerstören wir alles, selbst die Dinge die wir selber zum Überleben brauchen, obwohl wir so große Gehirne haben? Das ist sehr seltsam. Vielleicht ist die Antwort dass wir selbst eine Kunstform sind, die die Natur sich ausgedacht hat. Und unsere Aufgabe ist es, alles kaputt zu machen, damit am Ende etwas Neues entstehen kann und im ewigen Kreislauf waren wir nur ein kleiner Moment. Es ist eine sehr dunkle Welt, in der wir leben. Da muss man sich manchmal dran erinnern, dass wir hier einfach durch die Gegend schwirren. Und nichts ist wirklich falsch und nichts wirklich richtig.

Warum hast du dir letztendlich von allen verfügbaren Künsten die Popmusik ausgesucht hast um dich auszudrücken?

Das ist wie alles andere eher zufällig passiert. Wenn ich früher in meinem Leben darüber nachgedacht habe Musik zu machen… Kennst du CocoRosie?

Ja.

Als ich zum ersten Mal CocoRosie gehört habe, mit 16, 17 Jahren, das war der Moment als ich zum ersten Mal das Gefühl hatte, ich könnte auch Musik machen – diese Homestudio Produktion mit seltsamen Sounds. Oder Portishead, Massive Attack, die ganze britische Trip Hop Szene, das ist der Soundtrack meines Lebens, deshalb dachte ich auch wenn ich jemals Musik machen würde, dann so etwas. Aber wie gesagt, ich bin da eher zufällig rein gerutscht, und am Anfang war ich bestimmt so etwas wie ein Sklave für anderer Leute Vision. Das habe ich aber nicht zwingend als etwas Schlechtes gesehen. Ich fand es spannend, dass ich als Instrument für anderer Leute Ideen dienen kann. Sie hatten die Visionen und die Ideen, sie hatten den Sound und sie fanden ich wäre perfekt dafür. Dadurch hatte ich aber auch die Möglichkeit mich zu den Tracks, die sie fertig für mich produziert hatten, total auszuleben. Das hat mich als Künstlerin auch wieder sehr frei gemacht. Es ist doch auch eine Herausforderung einen Song zu machen, der am Ende so viele Leute wie möglich erreichen soll aber immer noch eine ehrliche Message hat. Er muss nicht unbedingt den cleversten Text haben, es geht um die Energie und, wieder einmal darum dass es nicht perfekt ist. Es gibt einen roten Faden bei Elliphant, aber es geht mir mehr um den Ausdruck als um den Style des Songs. Ich habe so viele verschiedene Musikrichtungen durchprobiert, von Pianopop bis Techno und Drum n Base. Ich wollte mir bewusst alle Türen offen lassen. Das ist das Schöne an meinem Projekt. Leute, die zufällig über mich stolpern, denen gefallen vielleicht ein, zwei Songs. Aber von denen, die Elliphant von Anfang an folgen weiß ich, dass es ihnen Kraft gegeben hat mitzuerleben, was man erreichen kann. Meine ersten Performances als Elliphant waren die ersten in meinem Leben, ich habe vorher nie vor Leuten gesungen. Sprich alles was ich gelernt habe, habe ich vor meinen Fans gelernt. Die, die diese Geschichte nicht kennen und nicht miterlebt haben, verstehen es vielleicht nicht. Ich weiß in meinem Herzen, dass ich wichtig bin. Und natürlich hatte ich das Glück, früh auf meinem Weg Leute wie Diplo und Skrillex kennenzulernen, die zu 600 Prozent hinter mir stehen.

Jetzt haben wir über Kunst und über Popmusik gesprochen. Die Meinungen dazu, ob Pop Kunst ist, gehen ja sehr auseinander. Wie siehst du das?

Hm. Gute Frage. Der Ursprung des Pop ist schon eher fies. Aber diese Dinge werden ja immer wieder aus dem Kontext genommen und werden dadurch etwas Neues. Das, was die Leute ursprünglich unter Pop verstanden haben ist schon schrecklich. Die Dinge entwickeln sich. Ursprünglich gab es auch nur das Label Rock, inzwischen haben sich daraus so viele verschiedene Stilrichtungen entwickelt. Die Art von Popmusik die ich mache hat ihren Ursprung im klassischen Hip Hop. Ich habe überhaupt kein Problem mit diesem Label, ich bin definitiv eine Popkünstlerin. Aber nicht in dem Sinne dass ich das Produkt eines Plattenlabels bin. Pop bedeutet auch, die Schubladen zu verlassen und Dinge miteinander zu vermischen. Ich nenne meine Musik „Provocative Pop“. Nicht provokativ im Sinne von dem was ich sage, ich provoziere mehr damit, dass man nie genau weiß, was bei mir als nächstes kommt. Manche Leute ärgert das, sie mögen einen Song und hassen den nächsten. Ich lache darüber. Ich finde, ich bin das glücklichste Mädchen auf der Welt. Ich kann die Leute glücklich machen oder sie ärgern, wonach mir gerade ist (lacht).

Letzte Frage: welche Eigenschaften bewunderst du an anderen Menschen?

Das mag etwas absurd klingen, aber ich empfinde es als große menschliche Qualität, wenn man es schafft durchs Leben zu gehen ohne ständig einen Plan zu haben. Die Gesellschaft will uns anerziehen dass man einen Plan haben muss, wenn man es im Leben zu etwas bringen will. Ich glaube das ist Bullshit. Wenn ich mich in meinem Leben immer an das gehalten hätte, wovon ich geglaubt habe ich würde es einmal tun, wäre ich jetzt nicht hier. Das Leben ist das, was in den Pausen dazwischen passiert, wenn man gerade nicht weiß wohin mit sich. Ich glaube, wenn ich einmal jemanden treffen würde, der 95 Jahre alt ist und sagt, ich habe keine Ahnung was ich mit meinem Leben anstellen soll, ich würde ihn grenzenlos bewundern.

Interview: Gabi Rudolph

www.elliphant.com