Interview mit Bosse: Engtanz trotz O-Beinen

Bosse 4 ©Benedikt Schnermann Vertigo BerlinIrgendwie plaudert es sich mit Axel Bosse immer besonders schön. Da muss man mitunter richtig aufpassen, dass man die Zeit nicht vergisst und den Grund, warum man ursprünglich überhaupt gekommen war. Es ist unsere zweite Begegnung und bei heißem Kakao und Keksen, mit Panoramablick auf die Warschauer Straße, reden wir über Bosses neues Album „Engtanz“. Über erwachsen sein und gleichzeitig pubertär. Über Abzweigungen im Leben. Zwischendrin über unsere Kinder. Also, genau genommen war das so:

Wann hast Du denn mit der Arbeit an „Engtanz“ begonnen? Hast Du Dir zwischendrin eine Pause gegönnt?

Unmittelbar nach der Masterabgabe von „Kraniche“ war ich schon wieder in Italien und hab das neue Zeug aufgenommen. Beim letzten Mal hatte ich nämlich schon das Gefühl, je länger ich das hier mache, umso länger brauche ich bis ich wirklich zufrieden bin. Ich hätte das Album schon 2014 fertig machen können, aber dann hat sich auf die letzten paar Meter noch so viel ergeben. Das heißt, ich habe mich dieses Mal wirklich zwei Jahre drum gekümmert. Nicht durchgängig natürlich, weil ich zwischendrin auch gespielt habe und anderes zu tun hatte. Das war ein schlaues Timing. Beim sechsten Album muss man nämlich schon genauer gucken. Was will ich denn jetzt noch? Ich habe schon so viel gesagt, da war mir klar, textlich muss sich irgendwas ändern. Also habe ich wahnsinnig viel drüber nachgedacht und am Ende habe ich es einfach gemacht. Mit „Steine“ habe ich angefangen – das war ein glatter Durchschuss. Ich wusste irgendwie genau so machen wir’s. Ein bisschen dunkler. Es geht auf dem Album darum, sich sich selber zu stellen. Seinen Problemen, seinen verpassten Chancen, dem Alter. Dem Punkt, dass man nicht mehr 20 ist und das so tief, so positiv und negativ wie es geht zu beschreiben. Das war so meine Idee. Musikalisch habe ich versucht mir ein paar Leute einzuladen, bisschen mehr Gitarre zu spielen und es im besten Falle voller zu machen als früher.

Das geht auch gut nach vorne, das Album.

Da hatte ich total Bock drauf.

Steht Dir aber gut!

Ich glaube, nach „Kraniche“ und der „Leise Landung“ Tour wäre das, was die Leute erwartet hätten, wahrscheinlich das poppigste Bosse Album ever gewesen. Das wollte ich aber nicht. Eigentlich wollte ich lieber ein Arcade Fire Album machen.

Ahhhh!

Das sagen ja immer alle Deutschen und niemand kriegt’s hin (lacht). Ich hatte auf jeden Fall Bock was zu machen, das auch ein bisschen an den Nerven zerrt. So ein Song wie „Insel“ zum Beispiel. Das sind mir die liebsten. Ein bisschen mehr Attacke. Über jede Gitarre, die man auf dem Album hört, habe ich mich richtig gefreut. Das habe ich ja bei „Kraniche“ fast komplett außen vor gelassen. Vielleicht ist es rein strategisch nicht der beste Schachzug. Aber für mich selber als Tänzer, Musiker und Musikhörer wollte ich es genau so.

Aber machst Du Dir tatsächlich Gedanken darüber, ob so etwas die Leute vor den Kopf stoßen könnte?

Ja und nein. Wenn ich schreibe versuche ich mich davon komplett frei zu machen. Wenn ich es mir hinterher anhöre und weiß das ist jetzt fertig, dann fange ich an mir darüber Gedanken zu machen. Ich hab aber einfach keinen Bock auf dieses Korsett Gemache. Von der Erwartungshaltung, was aus meiner Erfahrung raus funktioniert, muss man sich glaube ich komplett lösen. Sonst wiederholt man sich. Man sollte immer wieder bei Null anfangen und sich nicht von sich selber, der Erwartungshaltung der anderen und den Medien verrückt machen lassen. Ich mach das ja in erster Linie für mich und meine Band. Und dann kommen die Leute die darauf steil gehen, die das berührt, die das scheiße finden oder irgendwas anderes.

Bosse 1 ©Benedikt Schnermann Vertigo BerlinIch glaube aber dass dadurch, dass Dein Anspruch der ist in erster Linie Dir selbst zu gefallen, so ein Album wie „Engtanz“ deshalb trotzdem wieder total nach Dir klingt. Auch wenn es anders ist als die anderen.

Total. Genau. Das hat auch ein bisschen was mit Mut zu tun. Ich kenne einen Haufen Bands, auch enge persönliche Freunde, die vom Musikexpress oder was weiß ich, irgendwann mal total verrissen wurden. Und weil sie das immer gelesen haben und toll fanden, sind sie jetzt total davon zerstört. Die haben Angst davor sich zu öffnen oder ein wahres Wort zu sagen – die haben schlichtweg Angst davor Musik zu machen! Bei mir ist das ja so: „Schönste Zeit“ war bisher die einzige Nummer, die überhaupt mal richtig im Radio lief. Ich weiß natürlich, dass mir das geholfen hat, für mich selber weiß ich aber auch, dass das nicht die stärkste Nummer auf „Kraniche“ ist. Ich glaube, dass die Leute, die sich wirklich für mich interessieren ein Album wollen von dem ich sagen kann: So, das habe ich die letzten zwei Jahre gemacht, bitte. Das bin ich jetzt. Natürlich könnte ich mir auch über den Musikexpress und radioeins Gedanken machen. Aber wenn ich das in dem Moment mache, dann breche ich zusammen. Dann schreibe ich irgend nen Scheiß.

Aber ist es noch schwerer sich davon frei zu machen, wenn das letzte Album das man veröffentlicht hat, zufällig das bis dato erfolgreichste war?

Der Druck ist größer. Aber eigentlich stimmt das auch nicht. Mein erstes Album hat sich 8000 mal verkauft. Bei meinem zweiten waren es 3200. Das weiß ich ganz genau. Das sind Zahlen, die kann ich mir gut merken, weil sie so klein sind (lacht). Das ist natürlich schrecklich, wenn man vom zweiten 4800 weniger Alben verkauft als vom ersten. Für die Plattenfirma. Für mich war das ok, ich fand das damals immer noch viel. Aus so ’nem Misserfolg heraus was Neues zu schreiben kann natürlich auch schwer sein. Oder man sagt sich fuck you all, jetzt kann’s eigentlich nur noch besser werden. An diesem „Fuck you all“ Punkt sollte man wie gesagt eigentlich immer sein. Vielleicht hat es auch was mit dem Alter zu tun, dass es mir zunehmend erst mal egal ist, wie was ankommt. Oder es ist so wie mit der Frisur von ’nem Pubertierenden. Dem ist es auch scheißegal ob alle es doof finden wenn er jetzt Pumuckl Haare hat, Hauptsache er findet’s gut. Genau so sollte man Alben schreiben.

Mit der Pubertät bringst Du einen interessanten Aspekt rein. Ist es nicht genau die Mischung um die es geht? Eine gewisse Reife gepaart mit einem Hang zum pubertären Unsinn? Mir fällt auf, dass „Engtanz“ gerne als Dein bisher „reifstes“ Album bezeichnet wird.

Das stimmt, man könnte es auch als mein „pubertierendstes“ bezeichnen (lacht). Inhaltlich geht es aber schon um Dinge, die ich mit 20 so nicht hätte schreiben können. Deswegen wäre es auch gelogen, wenn ich heute nochmal einen Song wie „Drei Millionen“ schreiben würde, wo jemand auf der Suche nach nem guten Bums, der ersten Liebe oder ein Euro fünfzig durch die Stadt rennt. Es geht viel um verpasste Chancen und darum, dass man sich mit Abschieden abgefunden hat. „Blicke“ zum Beispiel ist ein Song, den finde ich erwachsen, obwohl das eigentlich ’ne junge Nummer ist. Das kennt bestimmt jeder in unserem Alter, dass es da jemanden gibt, den man ab und zu sieht und denkt guck mal, hätten wir beide vor 13 Jahren ’ne andere Abbiegung genommen, dann wär das mit uns jetzt ziemlich super. Aber so ist es doch auch super. Du hast jetzt drei Kinder und schon zwei Männer durch, ich hab ’ne tolle Tochter und ’ne super Frau. Und trotzdem ist es irgendwie ’ne verpasste Chance und man darf schon einen Hauch wehmütig sein. Für eine Sekunde, ohne es jemandem zu sagen, aber dann ist auch wieder gut. Ich finde, über sowas kann man nur berichten, wenn man schon ein paar Jahre länger gelebt hat.

„Immer so lieben“ ist ja auch so ein Fall. Das ist ja eins meiner Lieblingsstücke.

Ja? Meins auch. Aber den hatte bis jetzt noch niemand so richtig auf’m Schirm.

Ehrlich?

Ja. Aber der kommt! „Ich werd dich immer so lieben als wärst du gestern gegangen“, der Satz ist ja fast schon eine Fortsetzung von „Vier Leben“. Man ist ja oft so durchgebumst im Gehirn, dass man die guten Sachen nicht sieht. Warum muss man denn immer so viel verpassen, wenn man es direkt vor sich liegen hat? Dann ist es gut wenn man eine Vorstellung davon hat wie es wäre, wenn derjenige jetzt nicht mehr da wäre. Das lässt sich auch auf vieles andere im Leben übertragen. Wenn ich drei mal die fette Halle gespielt habe heißt das nicht, dass ich es beim vierten mal nicht auch noch geil finden kann. Weil, das ist ja nicht normal was wir hier machen. Wir wissen ja noch wie das war, als wir vor zehn Jahren in Buxtehude vor niemandem gespielt haben und jetzt sind hier alle am Tanzen. Dann hast du dir das gefälligst nochmal zu überlegen und das richtig zu schätzen. Darum geht’s. Dass man an die guten Dinge des Lebens mit einem gewissen Demutsgedanken ran geht. Dann kann man ein gutes Leben führen.

Da haben wir ja letztes Mal schon drüber geredet. Ich finde das ist ein ganz starker Teil Deiner Persönlichkeit, dass Du nicht vergessen möchtest die Dinge zu schätzen.

Am Ende ist es ja so: Es ist gut wenn man drüber spricht und sich ab und zu selber drauf aufmerksam macht. Ich bin natürlich auch nicht immer so. Deshalb habe ich den Song ja geschrieben, um mir das selber zu sagen. Den Grundgedanken finde ich aber gut.

Womit wir wieder bei einer Deiner Stärken wären: Gedanken bei denen man ganz schnell andocken kann. Die Idee, das Leben als „Krumme Sinfonie“ zu beschreiben ist auch so einer.

„Der Dirigent ist dement, immer dieselben Patzer…“ (lacht) Casper und ich haben da auch doll drüber gelacht. Also bis der mal was feiert was ich mache… na gut, macht er schon, aber mit dem Bild habe ich ihn sofort gekriegt. Da habe ich mich auch ein, zwei Wochen drüber gefreut. Wenn es so einen Song nicht auf dem Album gäbe, wäre mir das alles viel zu schwarz. Ich bin ja kein komplett unlustiger Typ. Ich will die Tiefe, aber die Mischung macht’s. „Krumme Sinfonie“ sagt aus, dass die Suche nach dem roten Faden, nach dem Plan, den wir Deutschen wahrscheinlich besonders brauchen, völlig unnötig ist. Das kann man knicken (lacht).

Ich hör jetzt auch gleich auf Dich zu feiern, aber mich hattest Du ja  schon beim Albumtitel.

Ja? Das ist schön. Die jungen Leute gehen ja jetzt auch wieder mehr engtanzen. Ich find das gut.

Kannst Du Dich noch an Deinen ersten Engtanz erinnern?

Definitiv. Das war auf jeden Fall zu dem Song „Easy“ mit Miriam im Partykeller nach dem Flaschendrehen. Und Du?

Ich glaube das war der Sohn meiner Tanzlehrerin. Er war einen halben Kopf größer als ich, hat die ganze Zeit Kaugummi gekaut und mir damit die Schläfe massiert.

Man, was für ein Idiot. Aber Engtanz ist was Schönes. Ich hab schon oft eng getanzt. Trotz O-Beine! Die halten mich da auch nicht auf, wenn die Maschine erst mal am Rollen ist.

Interview: Gabi Rudolph

Fotos: Benedikt Schnermann