Was könnte ein schönerer Übergang von der Festival- in die Konzertsaison sein, als ein Club-Festival? Da fällt uns kaum was Besseres ein als das Reeperbahnfestival. Also waren wir auch dieses Jahr wieder dort, um uns mit einer fast überfordernden Menge von Konzerten, Kunst und Aktion vom Sommer zu verabschieden und auf den Konzerte-Winter einzustimmen. Wie jedes Jahr gab es auch dieses Mal jede Menge Newcomer zu sehen und spannendes Rahmenprogramm.
Nicht mehr ganz so neu und unbekannt sind DŸSE. Ich muss gestehen, ich habe es ganz knapp nicht zu ihrem mitternächtlichen Konzert im Kaiserkeller geschafft. Macht nichts, dachte ich, hab ich ja schon mal gesehen. Aber letztendlich ist das ein Verpasser, über den ich mich wohl noch lange, lange ärgern werde. Grrr! Ist das ein Konzert oder eine Performance? Fragt man sich angesichts der extremen und abrupten Rhythmus- und Tempiwechsel, die Drummer Jarii und Gitarrist Andrei, begleitet von ausuferndem Körpereinsatz, auf die Bühne bringen. DŸSE sind laut und verwirrend und schockierend und unterhaltsam und dabei auch noch unheimlich witzig. Insgesamt weit davon entfernt langweilig zu sein.
Ganz im Gegensatz zu meinem Alternativprogramm: Hollie Cook interessierte mich ihrer Beschreibung im Festival-Guide wegen:“Wo Hollie Cook ist, geht die Sonne auf“, stand da. Ihre Aufmachung auf dem beigefügten Foto sah ein bisschen nach Pin-Up und ein bisschen nach Minnie-Mouse aus. Ich hatte die Hoffnung, mich doch noch nicht so ganz vom Sommer verabschieden zu müssen und stellte mir unter der Beschreibung „Tropical Pop“ elanvolle, soulige Musik vor. Die Stimme der ca. 1,60 m großen Britin ist gewaltig und an sich schon ein Instrument, das es verdient auf der Bühne zu stehen. Die begleitende Musik ist stimmungsvoll und gekonnt. Auch sind Hollie und ihre jungen Mitstreiter insgesamt ein ziemlicher Hingucker: Soviel Schönheit in einer Person kann unter Umständen schon Programmpunkt genug sein. Doch waren die Gesänge gedehnt, der Bass unheimlich tief, das Schlagzeug zurückgenommen, die Stimmung von Stück zu Stück dieselbe und alles andere als das was ich glaubte erwarten zu können. Statt Sommer, Sonne und Cocktail fand ich mich eher in einer „Mittagsschläfchen-in-der-Hängematte-und-dann-schwerer-Rotwein-im-Sonnenuntergang-Stimmung“ wieder. Gut, das ist auch Sommer. Und Sommer ist immer schön. Aber es ist nicht unbedingt der Teil vom Sommer an den man sich zurück denkt, wenn es regnet und graupelt und die Gelenke vor nordischer Feuchtigkeit anfangen zu knacken.
Schlagzeug, Bass, Synthies. Das sagt noch nicht viel und kann eigentlich immer noch fast alles sein. Gibt man noch Licht und Nebel ohne Ende, exzentrische, elegante Kleidung, auf Seiten des Sängers partielle Nacktheit und Falco-esque abgehackte Bewegungen auf einer ziemlich theatralischen Basis hinzu, hat man sowas wie Tüsn. Ein Berliner Dreiergespannt, das man im Rahmen des Reeperbahnfestivals bestaunen und entdecken konnte. Entdecken ist hier tatsächlich eine ziemlich angebrachte Vokabel, denn man wird mit so viel Exzentrik und Extravaganz konfrontiert, dass man als Betrachter mit Seh- und Hörgewohnheiten, die quasi dem Standard-Pop-Geschehen entsprechen, ständig zwischen Faszination und Flucht schwankt. Sie wollen anders sein und sind es auch. Man könnte meinen, sie beziehen sich auf NDW und deren früheren Avantgarde-Charakter und setzen mit exaltiertem Gesang und eingängigen Texten dem restlichen Popgeschehen ordentlich was an Kitsch und Intensität entgegen. Ich kann nicht umhin, immer wieder an Falco zu denken und freue mich auf alles, was von dem Berliner Trio noch so kommen mag und dass mich die Wege des Reeperbahnfestivals ausgerechnet in dieses schlecht besuchte, neblige Konzert im Grünen Jäger getrieben haben. Es lohnt sich jedes Jahr wieder.