Interview mit Ingrid Michaelson


Ingrid Michaelson
’s neues Album „Lights Out“ ist da und irgendwie anders als die fünf Vorgänger: persönlicher, offener und dunkler. Die Sängerin wagt sich in die eigene Tiefe. Trotzdem bleibt der rote Alles-wird-gut-Faden, denn Ingrid schafft es, diese Dunkelheit mit Leichtigkeit zu vereinen. Die fröhlichen Pop-Songs sind nicht verloren gegangen. Im Red Room vom Soho-House lässt Ingrid nach einem Fernsehinterview offensichtlich die Anspannung und sich selbst aufs Sofa fallen, schlürft ein bisschen Tee und erzählt von ihrem neuen Album, neuen Erkenntnissen nach einer schweren Zeit und philosophiert ein bisschen übers Leben.

Vor deinem neuen Album war es dir immer sehr wichtig, so viel wie möglich selber in die Hand zu nehmen, Do It Yourself auf allen Ebenen: vom Komponieren bis hin zur Promotion. Bei „Lights Out“ ist das auf einmal anders. Elf Co-Writer, sechs verschiedene Produzenten. Wie war es, auf einmal von so vielen Leuten Einfluss zu bekommen?

Also, dieses Album war wirklich anders. In der Vergangenheit habe ich alle Songs selber geschrieben und es gab nur einen einzigen Produzenten. Letztes Jahr hat mich meine chronische Schilddrüsenkrankheit auf einmal sehr stark überwältigt. Meine Gesundheit hat darunter sehr gelitten. Durch Nervenschädigungen meines Rachens konnte ich nicht singen. Zusätzlich sind meine Eltern schwer erkrankt und unser Familienhund ist gestorben. Es waren insgesamt echt dunkle sechs Monate. Mit Hilfe von meiner Familie und von meinen Freunden bin ich aus dieser Dunkelheit heraus gekommen und diese Idee hat sich auch in mein Songwriting geschlichen. Ich wollte einfach etwas komplett anderes machen. Es war eine lebensverändernde Zeit, die mich total geprägt hat. Eine Krankheit lässt dich alles einmal überdenken, also habe ich die bewusste Entscheidung getroffen, mit so vielen Leuten wie möglich zu arbeiten. Ich habe mit vielen Freunden geschrieben, elf Co-Writer und sechs Produzenten, bin nach Nashville gereist, um dort aufzunehmen, und ich habe in L.A. und New York gearbeitet. Jeder sagt, dass sein letztes Album sein liebstes Album ist und das ist auch bei mir der Fall. Ich denke es ist einfacher das zu sagen, wenn du etwas zusammen mit anderen kreiert hast, weil man dann den Stolz teilen kann. Wenn du für dich alleine sagst: Oh, ich liebe meine Musik, dann ist es nicht das gleiche.

Fandest du es aber schwierig die Kontrolle abzugeben, weil du es gewohnt warst ganz anders zu arbeiten?

Wenn du mich das vor einem Jahr gefragt hättest, hätte ich definitiv ja gesagt. Aber es hat sich ein Schalter in mir umgelegt, wie so ein Sinneswandel und plötzlich wollte ich das Gegenteil von vorher: Ich wollte Hilfe. Ich wollte etwas schaffen, was größer ist als ich alleine. Ich wollte andere Stimmen. Auf allen anderen Platten habe ich alle meine Harmonien selber gesungen, dieses Mal allerdings hatte ich eine Gruppe von acht Frauen, befreundete Musikerinnen. Auf der Hälfte meiner Songs gibt es diese starken weiblichen Stimmen, die gehören nicht mir. Ich wollte Kollaborationen, ich wollte Duette, ich wollte, dass es sich anfühlt wie eine familiäre Zusammenarbeit. Ich liebe das Ergebnis. Ich weiß, dass es nicht mehr möglich sein wird, genauso ein Album zu kreieren, weil ich nicht mehr die gleiche Mentalität habe, aber ich werde nie wieder einfach nur alles alleine machen. Ich habe zwar schon vorher mal mit anderen Leuten gearbeitet, aber niemals für meine eigenen Projekte. Songwriting empfinde ich als etwas so Intimes.
Jemanden in diesen Prozess mit einzubeziehen hat mich vorher eher gestört, deswegen war ich immer so dagegen. Aber wie gesagt, irgendetwas in mir hat sich verändert. Ironischerweise ist es letztendlich noch viel persönlicher, denn wenn man mit einem guten Songwriter schreibt, dem man vertraut, dann holt diese Person Dinge aus dir raus, die du nie vorher gesagt hättest. Man entdeckt neue Seiten und erzählt von Sachen, über die man vorher nie gesungen hätte. Die paar Lieder auf dem neuen Album, die ich selber geschrieben habe, sind außerdem stark von meinen Co-Write Erfahrungen beeinflusst. Es ist fast so, als hätte ich sie gar nicht alleine geschrieben, weil es ja alles in der gleichen Phase passiert ist. Meine Art zu denken und alles Tiefe auszugraben kam durch den Einfluss der Anderen.

Es waren alles Leute, denen du sehr nah stehst?

Die meisten ja. „Afterlife“ habe ich allerdings mit zwei komplett Fremden geschrieben, mit denen ich jetzt aber befreundet bin. Ich weiß noch wie ich in den Raum kam und gesagt habe: „Ich bin krank, mein Hund ist gestorben, meiner Familie geht es nicht gut, Ich will nicht mehr über Tod schreiben, denn das ist alles was ich in letzter Zeit gemacht habe. Es ist viel zu überwältigend und keiner will ein komplett morbides Album hören. Ich möchte jetzt über etwas Schönes schreiben, das Leben feiern!“ Der Witz dabei ist, dass der Titel ja „Afterlife“ heißt, also geht es ja doch um den Tod. (lacht)

Aber es geht ja darum das Leben zu feiern, das Hier und Jetzt.

Genau. Wenn man das macht, dann lebt man nämlich für immer.

Da du jetzt so positive Erfahrungen mit Kollaborationen gesammelt hast, gibt es jemanden bestimmtes, mit dem du gerne einmal arbeiten würdest?

Ich hätte da einen Favoriten… Justin Vernon. Ich liebe ihn. Gerade gestern war ich auf einem Flug und habe Bon Iver gehört und gedacht: mit diesen Liedern in den Ohren fühlt es sich an, als wäre man Teil eines Kinofilms. Ich gucke aus dem Fenster und fühle mich so überwältigt. Es ist wie der Soundtrack zu einem Film. Einem sehr, sehr traurigen Film. Seine Musik ist so wunderschön. Die Hälfte der Zeit verstehe ich noch nicht einmal worüber er singt und gerade das beeindruckt mich so sehr. Dass die Musik so eine Tiefe und so einen Einfluss auf dich hat, auch wenn man gar nicht weiß worum es geht.

„Handsome Hands“ ist das experimentellste neue Lied von dir, es scheint auch so düster und anders als deine bisherige Musik. Es geht damit ein wenig gegen das ganze „Popsweetheart“-Image, das sehr mit deinem Namen verbunden zu sein scheint.

Was mich nervt ist, dass Leute einen als eine Sache definieren und das war’s dann. Aber ich verstehe, dass die Köpfe der Leute so funktionieren und man muss in eine Schublade gesteckt werden. Ich bin allerdings froh, dass überhaupt über mich geredet wird, also kann ich mich nicht beschweren (lacht).  Aber das ist eben genau der Grund, warum mir das Lied so wichtig ist. Jeder hat mir davon abgeraten es zu veröffentlichen. Mein Manager, meine Freunde, Leute, die an dem Album mitgearbeitet haben, alle haben gesagt: Wir lieben dieses Lied, aber bist du dir wirklich sicher, dass es auf das Album soll? Es passt einfach nicht. Ich habe darauf bestanden, denn für mich ist es ein so wichtiges Lied, weil es eben eine andere Seite von mir zeigt, die aber auch existiert. Ich habe es selber geschrieben, es war kein Co-Write. Der Song kam aus einem tiefen, dunklen Ort, an dem man nach etwas Größerem sucht. Der Hörer kann daraus machen was er will: es kann über Gott sein, über eine Beziehung, was auch immer. Für mich war es wie ein Hilferuf ans Universum. Darum geht es also, die Mitteilung, der Sound, die Art wie es produziert wurde. Mein Bandmitglied Chris Kuffner hat es produziert, er spielt eigentlich Bass bei mir. Er ist gerade dabei ein großer Produzent zu werden und ich war so aufgeregt über die Zusammenarbeit, da ich ihn schon seit der High-School kenne. Er hat „Warpath“, „Home“ und „You Got Me“ und ein paar Bonustracks produziert und hat echt alles auf eine andere Ebene gebracht. „Handsome Hands“ habe ich auf einem Omnichord geschrieben und Chris hat jeden Sound drum herum gebaut.

Der Albumtitel „Lights Out“ bezieht sich ja wortwörtlich auf die Dunkelheit. Wie repräsentiert das dein ganzes Album?

Bei all meinen anderen Alben habe ich immer einen Textteil aus einem Lied genommen. „Girls & Boys“ ist von dem Song “ Breakable“, bei dem es heißt: „We’re all breakable girls and boys“. „Everybody“ war mein zweites Album, ganz einfach nach dem Lied „Everybody“ genannt. Meine EP „Be OK“ kommt von dem gleichnamigen Lied und mein vorheriges Album „Human Again“ wurde nach dem Teil in dem Song „Palm of your Hands“ benannt, in dem ich singe: „You make me want to be human again.“ Somit bin ich für dieses Mal wieder in den Texten auf die Suche gegangen, ohne richtigen Erfolg. „Lights Out“ war ein Witz in unserem Tourbus. Letztes Jahr wollte ein Typ immer vor allen anderen schlafen gehen und hat ewig erfolglos gerufen: Lights out, lights out! Das ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. In „Handsome Hands“ singe ich: „When the lights go out where do we all go“ und in „One Night Town“ geht der Refrain so: „When the lights go out the sun burns down“. Natürlich ist da die Verbindung zwischen den Lichtern ausgehen und Tod, Leben, darum geht es doch auf dem ganzen Album. Die Freude trotz all der Dunkelheit zu finden. Es ist ein bisschen wie eine Erinnerung, dass unsere Zeit hier begrenzt ist. Wie „Afterlife“ schon dafür steht in dem Moment zu leben und dein Leben zu genießen während du hier bist, denn wer weiß wie lange….
Alles läuft darauf hinaus: Lebe dein Leben bevor das Licht ausgeht.

Während deiner gesundheitlichen Problem konntest du nicht singen und deine Zukunft als Sängerin stand damit auf dem Spiel. Wie hast du es da durch geschafft?

(Pause) Ich habe es fast nicht geschafft. Aber trotzdem wusste ich irgendwo tief drinnen, dass irgendwann alles OK sein wird. Es ist sehr leicht zu denken, dass man immer krank bleibt, wenn man einmal krank ist. Ich bin zu unendlich vielen Ärzten gegangen, jede Woche. Ich hatte viel mehr schlechte als gute Tage, aber ich habe mich an den guten Tagen festgehalten. Ich habe nicht geschrieben, nicht gesungen, nichts gemacht. Nur inhaliert, Fernsehen geguckt, Spaziergänge gemacht, unter Bäumen gesessen, meditiert. Irgendwie habe ich es geschafft. Meine Freunde, mein Mann, meine Familie und gute Ärzte waren für mich da. Es war so schwer als Sängerin seine Stimme zu verlieren. Ein schrecklicher Zustand. Aber ich wusste es wird irgendwann alles wieder gut. Jemand hat mir mal gesagt ich sei wie meine Songs. Sie haben immer diese dunklen Elemente, aber trotzdem ist es immer leicht. Im Sinne von: Die Welt geht unter…

…aber am Ende wird alles gut.

Genau! Ich dachte das ist eine interessante Beobachtung meines Bekannten über meine Persönlichkeit. Er hat es bemerkt bevor ich es selber gesehen habe. Dann habe ich es überall gefunden, vor allem eben in meinen Texten. Verdammt, er hat Recht! Wie konnte ich das nicht selber rausfinden! Total interessant. Meiner Meinung nach verkörpert „Lights Out“ all das. Die Dunkelheit zu verstehen und sie zu akzeptieren, trotzdem zu wissen, dass Freude und Leben überall zu finden ist. Eine meiner besten Freundinnen hat vor kurzem ihren Bruder verloren und das hat mich auch sehr mitgenommen. Wir haben so viel darüber geredet und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass jeder eine bestimmte Traurigkeit in sich trägt. Jeder hat schlimme Sachen, die einem passieren. Natürlich ist das meine First-World Perspektive, es passieren ja so viele schlimmere Dinge auf der Welt, jenseits allem Verständnis. Aber was ich meine ist diese allgemeine Traurigkeit, die man entweder wie einen Tresor um seinen Hals tragen kann oder eben wie ein Amulett. Es ist einfach die ganze Zeit da und das ist ok. Wenn man lernt damit zu leben und trotzdem Freude finden kann. Darum geht es für mich im Leben: Freude zu finden trotz der ultimativen Dunkelheit, die Leben auch bedeutet. Genau davon erzähle ich auf meinem Album. Leben zu leben.

Also sind deine Songs ein bisschen wie Therapie?

Therapie für mich! (Gelächter) Das Alles-wird-wieder-gut-Motto scheint sich durch alle meine Songs zu ziehen.

Alles andere als ernst scheint auch dein Promo-Foto zu sein. Kannst du bitte erklären, wieso du nackt mit Super-Ingrid Schürze bekleidet Pommes in der Hand hältst, während dein Hund neben dir steht?

Ich bringe so gerne Leute zum Lachen. Deswegen wollte ich zwar einerseits schöne, sexy Fotos haben, aber andererseits sollte es auch lustig sein. Es sollte mehr von meiner Persönlichkeit rüber kommen. Ich bin eben keine ernste Headshot Frau. Wir haben so viele verrückte Bilder gemacht, die zum Glück niemals veröffentlicht werden. Aber hier guck mal auf meinem Telefon, da bin ich als Mona Lisa mit Brille und Schnurrbart. (Lacht) Ich liebe mein Album-Cover! Es ist so merkwürdig, keiner hat mich gestylt, alles sind Second-Hand Sachen und ich habe meine zerkratzte Brille auf und trotzdem sieht es so gut aus. Ernste Bilder geben mir immer das Gefühl, dass ich das gar nicht bin.

Interview: Christina Heckmann
Fotos (c) Universal