Es ist der 23. April 2014. Am späten Nachmittag zieht eine Gewitterfront über Berlin. Daumengroße Regentropfen zerplatzen im Sekundentakt auf dem Asphalt, hinterlassen sich weitende Kreise. Menschentrauben warten in Häusereingängen auf das Ende des Wetterunmuts. Doch im Kellergeschoss des Imperial Clubs merkt man von all dem nichts. Stunden, Minuten, Fortbewegung und das Draußen spielen hier keine Rolle. Ich sitze mit Finn Andrews, dem Sänger von The Veils, in einem kleinen, dunklen Raum und spreche mit ihm über die Vergangenheit in Form des 2013 erschienenen Albums „Time Stays, We Go“ und über das, was die Zukunft bringen mag.
Ist es bereits möglich für dich die Ereignisse und Emotionen, welche du seit dem letzten Jahr durchlebt hast, auf eine profunde Art und Weise zu reflektieren?
Es ist ein komisches Gefühl, wenn ich daran denke, dass das Album schon ein Jahr alt ist. Wir sind seitdem eigentlich nur auf Tour gewesen. In Nordamerika, Europa, Australien, Neuseeland… Der Lauf der Zeit ist ein ganz anderer, wenn man so lange unterwegs ist. Man kann sich schnell darin verlieren. Und bei zwölf Konzerten hintereinander fühle ich mich mittlerweile ziemlich… hirntot. (lacht) Aber ich möchte auch nicht wirklich nach Hause. Wir haben gerade die beste Zeit unseres Lebens! Ich schätze jedoch, dass ein bisschen Abstand zum Tourleben notwendig ist, um alles wieder ein bisschen leichter zu nehmen und einen Neustart angehen zu können. Ich freue mich auch schon sehr auf das, was da auf uns wartet. Wir sind nämlich in der glücklichen Position, dass wir unser eigenes Studio in London haben, in dem wir bald rund um die Uhr arbeiten können. Erst einmal muss es noch renoviert werden, aber dann mache ich mich an das Komponieren von einer Musik für ein Memoriam zum Ersten Weltkrieg in Belgien, welches im nächsten Jahr stattfinden wird. Das ist eine ziemlich aufregende Sache, weil ich so etwas in der Art noch nie zuvor gemacht habe. Es ist schon so, dass das Touren ziemlich auslaugt, aber trotzdem kann ich mir nicht vorstellen mit dem Musikmachen eine Pause einzulegen. Es fühlt sich schließlich nicht wie Arbeit an. Wieso also aufhören?
Was ist jetzt dein Eindruck von „Time Stays, We Go“?
Die Gefühle zum Album haben sich mit der Zeit verändert. Erst war ich vollkommen zufrieden, aber nach einer Weile wurden Risse sichtbar. Es ist nicht so, dass ich die Songs nicht mehr mag. Nur hatten wir schon immer ein Problem damit gehabt auf einem Album das einzufangen, was wir auf der Bühne machen. Auf Platte schimmert es nur manchmal durch. Erst wenn man die Lieder immer wieder live spielt, bekommt man ein Gefühl dafür, wie man sie eigentlich hätte aufnehmen müssen. Denn so fokussiert man sich stärker auf die einzelnen Stücke, weiß wie man sie verbessern kann. Ich liebe die Songs auf „Time Stays, We Go“ jetzt mehr als je zuvor. Das passiert mir oft. Wenn sie erst einmal eine Distanz zum Album haben, werden sie für mich besser. Bei „Nux Vomica“ ging es mir beispielsweise mit „Not Yet“ wie auch „Jesus For The Jugular“ so und auf „Sun Gangs“ mit „Sit Down By The Fire“. Ich habe erkannt, dass die Stücke gar nicht viel brauchen, um zu funktionieren. Wenn ich an ein nächstes Album denke, dann glaube ich auch, dass da die Reise für uns hingeht: nur wir Fünf in einem Raum, ohne viel Drumherum. Das reicht völlig aus.
Welchen Stellenwert nimmt Kontinuität für dich ein?
Kontinuität ist mir sehr wichtig. Ich wünschte, dass sich niemals etwas ändern würde.
So wie sich das Musikbusiness verändert, sehe ich das genauso.
Ja, ich denke wir sind die, die am meisten davon an der Nase herumgeführt werden. Aber auch wenn alles ziemlich kompliziert geworden ist, so scheinen wir immer noch irgendwie im Sattel zu sitzen. Schließlich hat man immer noch ein Ziel: ein weiteres Album machen. Daran denke ich die ganze Zeit. Obwohl es für mich eigentlich nicht mal das Wichtigste ist etwas Neues zu veröffentlichen. Es wäre auch in Ordnung für mich, wenn es nicht so wäre. Nur läuft es perverserweise immer so weiter, als würde man sich in einem Hamsterrad befinden.
Wann ist eine Lüge legitim?
Das ist schwierig… Lügen haben ihren Platz, wie auch die Wahrheit. Jedoch glaube ich, dass es in der Musik gar nicht möglich ist jemanden eine richtige Lüge aufzutischen. Mit Musik kann man niemanden zum Narren halten. Das ist doch auch das Schöne daran, dass man damit so etwas unglaublich Ehrliches erschafft. Interviews mit Musikern sind hingegen etwas völlig anderes. Da denke ich, dass gerne das gesagt wird, was man selbst hören möchte, auch wenn es nicht unbedingt der Wahrheit entspricht.
Was ist Luxus für dich?
Es war ein ziemlicher Kampf für uns bergauf zu kommen. Deshalb ist es am schönsten, wenn man mal einen Moment des Gleitens erfährt und nicht wieder versuchen muss einen Berg hinaufzukriechen. Auch wenn man sich nur für ein paar Tage federleicht fühlen kann, ist das ein echter Genuss. Wir hatten einige solcher Augenblicke auf dieser Tour. Es ist zum Beispiel ein fantastisches Gefühl, wenn man in Städten größere Venues bespielen kann und sieht wie sie sich auch tatsächlich füllen. Aber dann gibt es auch Momente, die weniger angenehm sind… Unser Tourbus hat erst neulich seinen Geist aufgegeben. So konnten wir nicht pünktlich zum nächsten Venue kommen und steckten am Flughafen von Milan fest. Nach Berlin sind wir jetzt mit dem Zug gekommen. Ich mag Zugfahrten. Von mir aus könnten wir immer so touren. Also ja… Für mich ist Luxus das, was Zerstreuung von dem täglichen Kampf bietet. Andere Arten von Luxus finde ich meist prätentiös und langweilig. Ich mag es nicht an Stränden herumzuliegen. Ein weiches Bett ist jedoch ein Luxus, den ich schon schätzen kann. (lacht) Doch ansonsten kann ich nur in der Musik voll und ganz aufblühen. Die Leute, die ich dabei um mich herum habe, sind alles für mich. Das ist schon komisch… Ich liebe Menschen, ich genieße es sehr sie um mich zu haben und gleichzeitig habe ich auch eine ziemlich misanthropische Attitude, was viele an mir hassen. Doch je älter ich werde desto mehr kann ich es genießen Menschen zu kennen und kennenzulernen. Früher ging das gar nicht für mich. Das war das Schlimmste. Ich mochte nur die Leute, die ich durch Zufälle bereits kannte. Das sind aber auch immer noch meine engsten Freunde. Ich glaube, es ist erst ein paar Jahre her, dass ich neue Freunde machen konnte. Nur ist es eben so: wenn ich eine Sache mag, dann kann ich mich nur mit dieser einen Sache für Ewigkeiten beschäftigen, da brauche ich nichts anderes.
Interview und Fotos: Hella Wittenberg