Paolo Nutini singt sich im Berliner „Astra“ die Seele aus dem Leib. Ein Versuch herauszufinden, warum meine Augen dennoch trocken geblieben sind.
„Sunny Side Up“, das aktuelle Album von Paolo Nutini, war für mich eine der großen musikalischen Überraschungen dieses Jahres. Vor zwei Jahren hat mir ein Freund bereits das Debutalbum „These Streets“ in die Hand gedrückt, aber so richtig begeistert hat es mich nicht. Da ist schon ein guter Sänger am Werk, das hört man gleich, und die Lieder sind sehr hübsch, aber so ganz ist der Funke bei mir damals nicht übergesprungen.
Und dann kommt „Sunny Side Up“ daher, mit seinen Soulbläsern und diesen vielen entzückenden Melodien irgendwo zwischen Solomon Burke, Cat Stevens und Johnny Cash, und verdreht mir völlig den Kopf. Langsam aber sicher arbeiten sich Songs wie „Pencil Full Of Lead“, „High Hopes“ und „No Other Way“ in der Top 25 Playliste meines iPods nach oben. Da kommt nicht jeder rein, das kann ich Euch sagen.
Sonntagabend im Astra teilt diese Meinung mit mir offensichtlich nicht jeder. „Play some fuckin old stuff!“ ruft jemand neben mir nach den ersten Songs aus dem aktuellen Album. Gut, der Typ nervt die ganze Zeit schon, aber dass bei Liedern wie „These Streets“ lauter mitgesungen wird als bei den neueren Stücken, ist nicht zu überhören. Dabei steigt Paolo Nutini mit dem herrlich beschwingten „10/10“ auf hohem Spaß- und Mitwackelniveau ein. Die Menge freut sich und wippt mit den Köpfen, es gibt ordentlich Gejohle und Applaus – aber dann im Lauf des Abends nicht wirklich eine Steigerung. Von meinem Platz an der Seite habe ich einen guten Ausblick auf die Gesichter in der ersten Reihe, und dort wird zwar geklatscht und wie immer viel fotografiert, aber auch der eine oder andere Kopf in die Hände gestützt.
Trotz der, von einer sehr gutlaunigen Band mit großer Spielfreude vorgetragenen, an sich mitreißenden Nummern, weiß auch ich nicht so ganz, was ich fühlen soll. Nach anfänglicher Freude verliere ich den Draht zu Paolos Darbietung. Eine Freundin hatte mich ja vorgewarnt, er sei auf der Bühne ein wenig schräg. Wie er sich zu seiner Musik bewegt, das hat etwas von Quasimodo, den Kopf weit nach unten, den Po nach hinten und die Arme in großen Gesten in die Höhe gereckt. Etwas gewöhnungsbedürftig, aber erst einmal unterhaltsam. Leider erschließt sich mir mit der Zeit nicht, wieviel Paolo von seinem Publikum wahrnimmt. Er wirkt sehr bei sich, stimmlich absolut top und durchaus mit Leidenschaft, gibt er sich voll seiner Musik hin. Zwischenansagen gibt es kaum, und die wenigen die es gibt verstehe ich nicht, weil er noch schlimmer nuschelt als einst Julian Casablancas beim ersten Konzert der Strokes in der Berliner Columbiahalle. Leider vermittelt er nicht das Gefühl, dass die Reaktionen des Publikums irgendetwas in ihm bewegen, weshalb ich von Nummer zu Nummer automatisch etwas klatsch- und tanzfauler werde.
Im Internet kursieren Konzertberichte, in denen Fans und Journalisten sich gleichermaßen fragen, ob Paolo Nutini auf der Bühne betrunken gewesen sei. Für einen kurzen Moment ziehe auch ich das in Erwägung, so ganz glauben will ich es aber nicht. Seine Art, sich vorne übergebeugt am Mikrofonständer festzuhalten, erweckt durchaus den Eindruck, er versuche sich selbst vor dem Umfallen zu bewahren. Ich vermute aber, dass das nunmal seine Art ist, in seiner Musik aufzugehen. Wenn er Gitarre spielt, scheint er sich übrigens leichter zu tun, dann steht er aufrechter und wendet sich offener dem Publikum zu. Vielleicht braucht er einfach etwas, woran er sich festhalten kann. An Seele mangelt es ihm nicht, im Gegenteil. Es scheint fast, als sänge er so leidenschaftlich, dass er alles um sich herum vergisst – eben auch sein Publikum.
Zum Schluss gehen wir ganz nach hinten, um uns die Bühne noch einmal aus der Ferne anzusehen. Die ist nämlich sehr gemütlich ausgestattet, mit Stehlampe, Teppichboden und einem überdimensionalem Raffrollo im Hintergrund, welches je nach Stimmung in verschiedenen Farben angestrahlt wird. Zur Zugabe wird es dann doch noch einmal richtig schön. Bevor Paolo erwartungsgemäß mit „Last Request“ schließt, überrascht er uns mit „Time To Pretend“, einer Nummer der Band MGMT. Diese Coverversion singt er an diesem Abend zum ersten Mal, wie er sogar so erklärt, dass wir es verstehen. Zu übersehen ist das nicht, denn den Text singt er vom Blatt ab. Irgendwie charmant, und die Version seiner Band knallt voll rein.
„I wanna get ten out of ten“, singt Paolo Nutini in „10/10“. Dafür hat es leider nicht ganz gereicht. Vielleicht war es auch die Atmosphäre im vollgepackten Astra, die dem Ganzen den Charme genommen hat. Am liebsten hätte ich mich in die Wohnzimmerdekoration auf die Bühne gelümmelt und mir Paolo in Ruhe angehört. Dann wäre es sicher sehr gemütlich geworden.
Fotos: (c) Michaela Marmulla