Gehört: Sorry Gilberto „Construction Work & Stormy Weather“

Der Herbst gehört den Geschichten. Dem Wind, dem Regen und den frühen Abenden im Halbdunkel der eigenen Wohnung. An manchen Tagen schimmert noch die Sonne durch die Bäume, und die Luft riecht nach Abschied. Ich wohne in Berlin, und es ist Herbst. Für beide Tatsachen gibt es nun einen Soundtrack. Die dritte Platte von Sorry Gilberto. „Construction Work & Stormy Weather“ heißt sie und ist ihre bis jetzt Schönste geworden.
Sorry Gilberto sind die Berliner Anne von Keller und Jakob Dobers und die beiden spielen verschiedenste Instrumente. Gitarre, Bass, Orgel, Ukulele oder kleine Keyboards. Dazu singen beide über Geschichten, die von irgendwo angeweht kommen und nach einer Weile auch wieder ins Nirgendwo verschwinden. Momentaufnahmen aus der Bewegung. Beschreibungen von Innen und Außenansichten. Mal zart, mal fordernd. Mal melancholisch, mal verspielt. Musik, die aus Großstädten Landschaften macht. Urbanfolk im eigentlichen Sinne.
Schon der erste Song „Part Of Me“, verbindet die Elemente, die sich wie ein Faden durch alle Songs ziehen. Ein kindliches Erstaunen über die Seltsamkeiten des eigenen Lebens, ohne zu vergessen, dass all das eine Geschichte hat, und dass diese Geschichte mit jedem Jahr eine längere wird. Eine zarte Gitarre, Annes Stimme, die sich anhört als würde sie direkt neben dir stehen und dir leise ins Ohr singen, halb für sich, halb für dich. Dazu Jakobs viel dunklere Stimme und plötzlich Streicher. Ja, die leisten die beiden sich auf diesem Album neben einem Schlagzeug, das auch in manchen Songs zu Gast ist. Und dann dieser ohrwurmträchtige Refrain: „Oh life, the longer you have it, the stranger it gets…”
Aber auch Beats gibt es zu hören. Mal mit erwähntem Schlagzeug eingespielt wie in „Who Am I Watching“, mal als kleine elektronische Beigabe wie in „New Sensation“ zu dem das nächste Video bereits in Arbeit ist. Tanzend durch die Stadt ziehen. Nicht schnell, nicht gehetzt, aber in Bewegung. Oft aufbauend, anschwellend wie in „Dear Passengers“ oder dem trotzigen „Why Afraid“. Immer mit Melodien ausgestattet, die hängen bleiben. Die man noch eine Weile weiter vor sich hin summen will. Mal wuchtig und mit rumpelnder E-Gitarre wie in „Blockbuster“ das fast schon in den Indierock rutscht. Mal ganz zurückgenommen wie in „Chemical Romance“, wo Jakob seiner absurd erscheinende Vorstellung Ausdruck verleiht, zwei von ihm geschätzte Legenden der Literatur und Filmwelt miteinander tanzen sehen zu wollen. Begleitet von einer Ukulele und einem kleinen zarten Casio.
Ähnlich seltsam auch die Hymne an ein Tier, über das man kaum etwas weiß. “Tapir“. Ein in der Dämmerung lebendes Geschöpf, das von vielem vieles hat aber nichts davon eindeutig. Für mich die perfekte Beschreibung Berlins. Überhaupt scheinen die beiden in einer immer unentschieden bleibenden Art angekommen zu sein in dieser Stadt. Musikalisch und textlich. Aber ankommen in Berlin heißt eben immer auch ankommen in der Veränderung. Ein Berlinalbum. Vertont.
Einmal fehlt auch Annes so ziehende und schubsende helle Stimme und Jakob singt allein. „So Soon“ erzählt zu gezupfter Gitarre und kleinen Tontropfen aus dem Keyboard verträumt von der Frage, wie früh oder spät zu gehen wohl richtig ist. Wunderschön.
Man sollte sich Zeit nehmen für dieses Album und seine 12 Songs, denn es entfaltet sich beim Hören immer mehr. Kommt einem beim ersten Mal manches noch wie nebenbei gehört vor, setzen sich die Song mit der Zeit immer fester. Werden Freunde. Ein Herbstalbum eben. Denn Zeit findet sich in dieser Jahreszeit eben leichter.
Am 12.10.2012 ist die Releaseparty im Marie Antoinette in Berlin und danach geht es auf große Tour durch Deutschland und die Schweiz, die wir präsentieren und für die ihr hier Tickets gewinnen könnt. Und um die letzten Fragen zur neuen Platte und der anstehenden Tour zu klären haben wir ein ausführliches Interview mit den Beiden geführt, das ihr in Kürze bei uns lesen könnt. Wer danach noch immer nicht neugierig geworden ist auf diese kleine und doch so vielseitige Band, dem kann ich dann auch nicht mehr helfen…ein schöner Herbst sei ihm trotzdem gewünscht.

VÖ:26. Oktober 2012 auf GoldrauchRecords

Gehört von: Marcus Reinhardt