Pannen und Pleiten, und trotzdem schwelgt man in Erinnerungen!
Es sollte das Festival-Ereignis des Sommers werden, das Greenville Festival 2012. In ganz Deutschland konnte man bereits Monate zuvor Plakate in allen Größen und Formen mit dem massiven Line-Up bestaunen. Dann war es schließlich soweit, und alle guten Hoffnungen waren irgendwie davon geblasen. Es war die Premiere des von Creative Talent veranstalteten Festivals, und wahrscheinlich war es auch genau das, was man als Besucher schnell zu spüren bekam. Auf einem schönem Gelände zeigten sich immer wieder organisatorische Probleme, zum Beispiel bei der Bändchenausgabe oder in Form von oftmals überforderten und unfreundlichen Mitarbeitern. Die Security war zum Teil mehr damit beschäftigt, sich anderen Dingen zu widmen. Der dadurch geradezu herzlichen Einladung in den Backstage-Bereich kam so der ein oder andere Festivalbesucher nur zu gerne nach. Der geringe Ticketverkauf und der somit mäßige Besuch schienen die Katastrophe perfekt zu machen. Lediglich 3000 von 10.000 Eintrittskarten gingen im Vorverkauf über die Ladentheke. Dennoch zeigten sich die Veranstalter äußerst zufrieden und kündigten während des laufenden Festivals ein Wiedersehen im Jahre 2013 an. Um allen Frust, vielleicht hier und dort auch etwas Ärger zu vergessen: Am Ende ging es dann doch um die Musik, und davon gab es an diesem Wochenende reichlich geboten.
So war’s am Freitag, mit u.a. Bodi Bill, The Flaming Lips und Deichkind
Petrus segnete uns am Freitag zumindest tagsüber mit wundervollsten Festivalwetter. Es brauchte dennoch etwas Zeit, um über den Schock hinwegzukommen, um sich trotz der wenigen Besucher und damit oft fehlenden Stimmung auf die Auftritte einzulassen. Bei Bands wie Bodi Bill fiel das noch schwer, und das eindeutig nicht nur dem Zuschauer. Die Hitze und das Tageslicht schienen sowohl der Band als auch dem Publikum nicht gut zu stehen. So richtig Stimmung kam einfach nicht auf, so richtig war man noch nicht angekommen auf dem Greenville Festival 2012. Ein ähnliches Bild zeigte sich auch bei den Flaming Lips, die noch im letzten Jahr eine ausverkaufte Show im Londoner Alexandra Palace spielten und dort mit einer eindrucksvollen Show Presse und Publikum für sich gewannen. Auch in Paaren am Glien sollte sich die Nacht in Wayne Coyne’s verrückte Welt aus Glitter, Riesenballons und Konfetti einhüllen. Bei einem Versuch, das Publikum dabei für sich einzunehmen, sollte es allerdings bleiben. Lediglich eine Minute verbrachte Wayne in seinem aufblasbaren Ball und ließ sich in diesem von den rund tausend anwesenden Besuchern tragen. Dann war der Spaß auch schon wieder vorbei. Das ausgefallene Programm wurde dennoch weiter durchgezogen und konnte sich auch wirklich sehen lassen. So richtig gewürdigt wurde es aber irgendwie nicht, oder es ging einfach irgendwie unter. Etwas Festivalstimmung kam schließlich beim Auftritt der Gypsy-Punk-Band Gogol Bordello auf, die es ausgezeichnet verstand, den spärlich besuchten Platz vor der zweiten Bühne in Ekstase zu versetzen. Dem Treiben auf der Bühne konnte man sich dann doch nicht mehr entziehen, und so wurde eifrig getanzt und gehüpft. Geht doch! Spätestens zu Deichkind war dann klar, wie sich die Zielgruppe des Festivals zusammensetzte. Und die Hamburger Hip-Hop-Elektropunk-Kombo wusste genau, wie sie den Rest des Publikums auch noch voll und ganz auf ihre Seite ziehen konnte. Als die Jungs in einem riesigen Fass zu „Roll das Fass rein“ durch die Zuschauer glitten oder Ferris MC aus einem Schlauchboot einen Sack Federn in die Zuschauer goss, tobte das Greenville. Völlig zu Recht! Mit einem Knall auf der Bühne und am Himmel endete schließlich der erste Festivaltag. Die Besucher wurde in die tiefe Nacht und einem aufziehenden Gewitter entlassen. Die Gefühle waren gemischt.
So war’s am Samstag, mit u.a. Kettcar, The Roots und Scooter
Am Samstag gab es die von einigen sehnlichst herbeigewünschte Abkühlung in Form von immer wiederkehrendem Nieselregen. Dennoch schafften es zum Auftritt von Kettcar rund tausend Festivalbesucher vor die Bühne. Trotz des überschaubaren Andranges lieferten die Hamburger ihre altbekannte Show ab, animierten mal die Herren, mal die Damen im Publikum zum mitsingen, und überzeugten auch sonst mit einem schönen Set, das aber insgesamt für eine eher entspannte Atmosphäre sorgte. Ausgelassene Stimmung herrschte auch bei den Schotten um Young Rebel Set, deren ruhige Folk-Songs es kaum was anzuhaben schien, dass es sich der Großteil der Zuschauer auf der Wiese bequem machte. Ein trauriges Bild hingegen zeigte sich bei We Invented Paris auf der Indoor Bühne. Lediglich zwei Duzend Menschen schienen sich vor der Bühne eingefunden zu haben. Zu einer leidenschaftlichen Hingabe traute sich dadurch keiner, weder unter den Zuschauern, noch auf der Bühne. Zumindest versuchte sich die aus Basel stammende Band nicht beirren zu lassen. Die Enttäuschung war dem Quartett jedoch buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Auch The Roots zeigten sich zunächst etwas irritiert über das überschaubares Publikum, machten aber schließlich das Beste draus und vor allem, ihrem Ruf als ausgezeichnete Live-Band alle Ehre. Durchweg schaute man in lächelnde Gesichter, niemand konnte sich dieser energiegeladenen Show entziehen, niemand konnte die Füsse still halten. „We had so much fun“, berichtete Sänger Black Thoughts im Anschluss. Den hatten wir auch, und verneigen uns hochachtungsvoll vor The Roots und damit der Rettung des Tages! Nach einer Ewigkeit Warten war es dann endlich soweit. Der langersehnte Auftritt der Hamburger Technolegende Scooter stand auf dem Programm. Und die trumpften ordentlich auf. Zwischen den beiden Pulten seiner Kollegen sprang ein wild gewordener H. P. Dexter herum. Mit im Gepäck hatte er neben zwei im Boxenluder-Stil gekleidete Tänzerinnen sowie einer imposanten Pyrotechnik natürlich auch die Songs, für die wir Scooter so sehr lieben – oder eben auch nicht. Mit unter anderem „Hyper, Hyper“ oder „How Much Is The Fish“ haben sie noch so manch einen Festivalbesucher zum Tanzen animieren können. Wenigstens kann man nun behaupten, Scooter einmal live erlebt zu haben. Auch wenn es niemand offen zugeben mag, am Ende ist wohl jeder mit einem „Faster, Harder, Scooter“ im Ohr ins Bett gegangen.
So war’s am Sonntag, mit u.a. Cro, Dizzee Rascal und Iggy & The Stooges
Auf einmal schien sie unterzugehen, die Welt. Es regnete wie aus Eimern, aus Kübeln, wie aus Badewannen. Und während alleine beim Gedanken an das Festivalgelände schon die Schweißperlen herunter kullerten, wurde man am Ende eines Besseren belehrt und fand einen Festivalboden vor, der den extremen Bedingungen bestens stand hielt. Am Nachmittag kam die Sonne dann auch wieder hervor, so dass wir die Gummistiefel getrost zu Hause lassen konnten. Pünktlich zum Auftritt von Cro haben sich zwar schon der Großteil der Festivalbesucher auf dem Gelände eingefunden, diese zeigten sich allerdings eher teilnahmslos und wenig beeindruckt von dem, was der junge Rapper zum Besten gab. Dem Befehl von Cro wollte keiner so recht folgen. So wurden eher beschaulich viele T-Shirts über den Köpfen propellert und auch bei der Aufforderung zum Mitsingen verstummte alles zu einem lauen Lüftchen. Bei den Donots begaben sich lediglich eine Hand voll eiserner Fans in die erste Reihe der zweiten Bühne und versuchten einen Moshpit ins Leben zu rufen. Einige der Besucher ließen sich bereitwillig dazu überreden, insgesamt machte sich jedoch eher Sonntagsstimmung breit, da half auch kein ständiger Hutwechsel von Sänger Ingo Donot. Auch die Anti-Hipster-Parolen mögen ja bei dem einen regelrechte Euphorie ausgelöst haben, bei manch anderem konnte man dafür allerdings ein entnervtes Augen-Rollen wahrnehmen. Im Laufe des Tages konnte man immer mehr der anreisenden Turbojugend sehen, die sich dann am Abend vor der Hauptbühne einfand, um die Helden zu huldigen, auch ohne Hank von Helvete. Auch hier übte man sich mehr in Zurückhaltung. Während sich die Band auf der Bühne ordentlich ins Zeug legte, kam davon nicht viel im Publikum ab. Zu sehr schien man sich in der geringen Masse zu genieren, und so blieb man brav auf seinem Platz stehen, nickte eifrig mit dem Kopf und wippte dazu mit dem Bein. Auf der zweiten Bühne schafften im Anschluss Dizzee Rascal wohl das, worauf hier jeder zu warten schien. Es bedarf nicht viel Überredungskünste, um die Festivalbesucher vor die Bühne zu ziehen und zum Tanzen, Springen und was sonst noch zu animieren. Bereitwillig folgten sie dem Duo, und spätestens als „Bonkers“ aus den Boxen dröhnte, gab es auf dem Greenville Festival kein Halten mehr. Da war sie also endlich, die Festivalatmosphäre. Schade nur, dass wir diese lediglich zu einem weiteren Auftritt mitnehmen konnten. Dafür taten wir dieses für Iggy & The Stooges nur zu gerne! Der Platz vor der Hauptbühne schien voller als zuvor. Ein paar Tagestickets wurden wohl doch noch an den Mann gebracht. Bereuen sollte das hier zumindest keiner. Denn Iggy Unser Herz schlägt immer noch wie verrückt, wenn wir uns an diesen herausragenden Auftritt zurück erinnern, an die Energie, die dieser 65 Jahre alte Mann auf der Bühne präsentiert. Es ist wie Magie, die er auf das Publikum ausübte. Jeder wollte ihm ganz nahe sein, ihn einmal berühren. Als er die Zuschauer zu sich herauf bittet, drängen sich zahlreiche Fans in Richtung Bühne. Die Security wurde wohl das erste mal an diesem Wochenende etwas nervös und versuchte die Menschen zurückzuhalten. Etwas vermisste man Songs wie „The Passanger“ oder auch „Lust For Life„, aber übel nehmen konnte man Iggy und seinen Stooges am Ende ja doch nichts. Und so schwelgen wir nun doch noch in Erinnerungen an ein Wochenende, das Iggy Pop hat unvergesslich werden lassen. Sollten die Veranstalter auch im nächsten Jahr wieder so ein hochkarätiges Line-Up auffahren, werden sie den ein oder anderen Besucher wohl wieder für sich gewinnen können. Bleibt dann nur noch zu hoffen, dass dann mehr Festivalgänger den Weg nach Paaren am Glien finden und die organisatorischen Probleme bis dahin beseitigt sind.
Mehr Infos zum Greenville Festival gibt es hier: www.greenvillefestival.com
Von Jessica Franke