Kaum ein musikalisches Phänomen ist seit Beginn diesen Jahres derart ausgiebig beleuchtet und einhellig belobhudelt worden wie die 23 jährige Britin Anna Calvi. Mit ihrem im Januar erschienenen Debütalbum eroberte sie sowohl die Herzen der anspruchsvollen Indie-Hörerschaft als auch die Radiostationen im Sturm. Auf der Bühne entspinnt sich eine Liaison zwischen Anna Calvis ungewöhnlicher Stimme und dem Spiel auf ihrer geliebten Telecaster Gitarre. Die Haare streng zusammen gebunden, die Lippen blutrot, packt sie gleich einem wollüstigen Dämon die Herzen der Hörer mit eisernem Klammergriff – um sie nach knapp 50 Minuten ausgewrungen, verstört aber glücklich wieder frei zu geben.
Im Gespräch ist Anna Calvi ein zartes, junges Mädchen, das blonde, lange Haar kringelt sich in unschuldigen Löckchen über ihre Schultern. Sie sitzt ein wenig verfroren an der Heizung und spricht in sparsamen, aber wohl gewählten Worten darüber, wie sie diese zwei gegensätzlichen Seiten in sich entdeckt hat. Und dabei auch diese unglaubliche Stimme.
Für die Aufnahmen an deinem Debütalbum hast du dich ja sehr lange von der Außenwelt abgekapselt. Wie fühlst du dich jetzt, da es veröffentlicht ist und du so unglaublich viel Aufmerksamkeit bekommst?
Es ist schön zu wissen, dass die Leute mein Album mögen. Ich habe alles was ich geben konnte hinein gesteckt. Jetzt ist es draußen und macht sein eigenes Ding, ohne dass ich es kontrollieren kann. Das ist toll. Über den Rest versuche ich einfach nicht nachzudenken.
Du hast ursprünglich als Gitarristin begonnen. Wie hast du deine Stimme entdeckt?
Ich habe früher nie gesungen, noch nicht einmal unter der Dusche. Vor fünf Jahren habe ich dann die Entscheidung getroffen, meine Stimme zu entdecken. Also habe ich mich dem sehr gewidmet und sechs Stunden am Tag geübt. Ich habe ein großes Geheimnis daraus gemacht, sobald alle aus dem Haus waren habe ich die Vorhänge zu gezogen und gesungen. Und ich habe mir Sängerinnen angehört, die mich inspiriert haben, wie Edith Piaf und Nina Simone, habe versucht herauszufinden was sie haben, das mich so sehr bewegt und dabei meinen eigenen Weg zu finden. Das war harte Arbeit, es ist nicht einfach so zu mir gekommen. An manchen Tagen hat es gar nicht funktioniert. Es war eine harte Reise, aber ich bin sehr froh, dass ich sie gemacht habe, denn heute fühle ich mich sehr wohl damit, mich auf diese Weise auszudrücken. Sogar noch viel besser als ich jemals geahnt hätte. Früher habe ich immer gedacht es muss ein wahnsinnig gutes Gefühl sein, so offen zu sein und singen zu können. Und das ist es! Ich kann es jedem nur empfehlen (lacht).
Meine Tochter ist fünf Jahre alt. Sie war mit mir zusammen bei deinem Showcase. Hinterher hat sie drei Dinge über dich gesagt: „Ich finde sie kann sehr gut Gitarrespielen. Sie guckt sehr ernst.“ Und: „Sie trägt sehr schöne Schuhe.“
Wow. Das ist süß!
Aber sie hat recht, finde ich. Auch damit, dass du immer sehr ernst auf der Bühne wirkst.
Ich weiß was du meinst. Das ist irgendwie seltsam, ich weiß nicht warum… aber das ist einfach der Zustand, in den ich mich auf der Bühne begebe, sehr intensiv und leidenschaftlich. Das kommt einfach so aus mir heraus. Aber auch auf der Bühne gibt es Momente, in denen Mally und ich lachen müssen. Ich brauche einfach die Kraft und die Energie, die ich auf diese Weise aus meinem Körper nach außen bringe. So muss ich einfach sein. Aber es ist nicht so, dass ich unglücklich auf der Bühne bin!
Nein, das denkt man auch nicht.
(als wolle sie ihr Publikum animieren) Come on, everybody! (lacht) Vielleicht sollte ich das heute Abend mal probieren.
Es wird viel darüber geredet, dass du privat so anders bist als auf der Bühne. Verstehst du das? Oder ist das nicht bei den meisten Musikern so?
Ich weiß nicht. Man ist ja auf der Bühne in einer völlig anderen Situation – wie könnte man in diesem Moment genau der gleiche Mensch sein, der man privat ist? Trotzdem denke ich, dass ich auf der Bühne ganz ich selber bin, aber die Situation in der Öffentlichkeit zu sein und Musik zu spielen bringt einfach eine andere Seite von mir zum Vorschein. Das ist ganz natürlich. Eine Person hat ja nicht nur eine Seite. Vielleicht wirkt es bei mir etwas extremer, weil meine verschiedenen Seiten doch recht unterschiedlich sind.
Hast du eigentlich das Gefühl, dass der Erfolg schnell für dich gekommen ist? Nach außen hin wirkt es ja so, als wärst du quasi aus dem Nichts auf der Bildfläche erschienen.
Ich arbeite schon mein ganzes Leben an meinem Handwerk, von daher habe ich nicht das Gefühl, dass es schnell gegangen ist. Das Album zu machen hat sich auch nicht schnell angefühlt. Es hat zweieinhalb Jahre gedauert, ich habe mir viel Zeit dabei gelassen. Dass die Leute davon erfahren haben, das nehme ich an ist schnell gegangen.
Und wie geht es dir mit dem Album, wenn du es heute hörst? Nach der vielen Zeit und Energie, die es dich gekostet hat?
Ich höre es mir eigentlich nicht an. Manchmal den einen oder anderen Song. Aber ich kann es nicht mehr anhören. Ich habe es so oft angehört und so viel Arbeit hinein gesteckt, ich kann jetzt einfach nicht mehr dorthin zurück gehen. Aber ich fühle, dass ich das Beste gegeben habe, das ich zu der Zeit geben konnte. Und ich bin gespannt, wo es als nächstes hingehen wird.
Den Großteil des Jahres wirst du auf Tour sein. Ich nehme an das ist sehr anstrengend. Wie bewahrst du deine Energie?
Es ist anstrengend. Es ist wirklich anstrengend. Ich muss sehr auf meine Stimme achten, mich immer gut aufwärmen. Ich gebe mir Mühe, ordentlich zu essen. Man muss einfach versuchen, auf seinen Körper zu achten. Singen, trainieren, alles was ich tue ist körperlich sehr anspruchsvoll. Man fühlt sich auf eine Art fast wie ein Athlet. Wenn dein Körper in Form ist, wenn du deine Stimme, deine Muskeln, deinen Magen und deine Hände aufwärmst, dann kannst du alles damit tun. Wenn etwas nicht richtig in Ordnung ist, bremst dich das. Aber ich genieße es auf Tour zu sein.
Ich persönlich bin ja ein großer Elvis Fan. Deshalb habe ich mich auch sehr gefreut, dass du sein „Surrender“ Live spielst. Was ist deine früheste Kindheitserinnerung, die mit Elvis Presley verbunden ist?
Ich erinnere mich, wie mein Vater mir „I just wanna be your teddy bear“ vorgespielt hat. Das ist seltsam, ich habe mich lange Zeit gar nicht so sehr für Elvis interessiert. Das kam erst im letzten Jahr. Er ist so berühmt, dass man ihn fast nicht mehr wirklich sehen kann… verstehst du was ich meine? Man kann ihn gar nicht mehr richtig schätzen. Aber ich hatte diesen Moment, in dem ich ihm wirklich zugehört habe und alles vergessen habe, diesen Mythos, der an ihm dran hängt. Da dachte ich nur: Oh mein Gott, er ist ein unglaublicher Sänger! Er singt jedes Wort mit so viel Leidenschaft. Und ich habe so viel daraus gelernt, ihm zuzuhören. Als ich an „Surrender“ gearbeitet habe, kam ich an den Punkt an dem ich dachte ich verstehe, was Singen bedeutet. Das kam nur dadurch, dass ich diesen Song gehört habe und wie er ihn singt. Nur dieses Gefühl: Entweder du gibst dich ganz der Sache hin oder nicht. Es geht nicht darum jeden Ton zu treffen oder die richtige Technik zu haben. Die Frage ist: Bist du wirklich da? Oder bist du irgendwo anders? Und er ist voll und ganz da. Das habe ich von ihm gelernt und deshalb konnte ich irgendwann sagen: Jetzt bin ich eine Sängerin. Also… Elvis sei dank!
Interview: Gabi Rudolph