Young Fathers im Interview

2014 war ein unglaublich aufregendes Jahr für Young Fathers. Nach Erhalt des renommierten British Mercury Prize für das beste Album ging es steil nach oben. Alloysious Massaquoi, Kayus Bankole und ‚G‘ Hastings bleiben trotz alledem bodenständig und ziehen ihr Ding durch. 130 Shows spielen sie weltweit, nehmen dabei ihr Album an verschiedensten Orten auf. In einem Hotelzimmer in Illinois, einem Proberaum in Melbourne, einem Keller in Berlin-Moabit, einem Fotostudio in London und in ihrem eigenen Raum in Edinburgh. Das Ergebnis ist ein Pop-Album wie man es noch nie gehört hat. Spektakulär, konsequent und randvoll mit Rock, Pop, Rap und allem was man will. Im Interview beweisen die drei Musiker erneut, dass sie nicht immer ganz so ernst sind, wie sie sich auf Fotos darstellen. Sondern liebenswürdig, lachend und voller Leidenschaft, für die Musik, die sie machen. Dass der Albumtitel „White Men Are Black Men Too“ ein wenig kontrovers aufgenommen werden kann, ist der Band vollkommen bewusst. In diesem Ausschnitt aus dem Statement in einer E-Mail an das Management erklärt Alloysious wieso der Titel ihnen so sehr am Herzen liegt:


„I’m aware of the points we’ve discussed but all that sounds like to me is, we are trying to cater to what other people might think, as if it’s a negative thing, which it’s not. We came at it from a different angle, a positive angle. it’s got issues of race and so what? Why should alarm bells start ringing, even though in general conversations race, politics, sex and religion are always the subject matter? Why should it be discussed behind closed doors and never confronted head on?How do we help tackle one of the biggest hinderances in people’s lives and the world… by not putting the question forward and not letting people debate positively or negatively about the statement? Motown music helped change the world, made it expectable for blacks to be on radio and seen on tv, MJ did it too. Martin Luther King wanted equality and achieved it to some degree. But, after all that, are things equal in this world? FUCK NO. I still want to ask for it (equality) backed with the best music we’ve ever recorded. (…) When the title was first put forward everybody was excited and 100% there was no fear. That same commitment needs be carried on to make it work despite worries after it’s been digested.” (Alloysious Massaquoi)

Willkommen zurück in Berlin! Es ist noch gar nicht so lange her, da wart ihr hier und habt an eurem Album gefeilt. Euer Plan war das Projekt Plot 27. Einen Monat in einer Residenz in Moabit strikt an der Musik arbeiten. Regelmäßige „Quality Control Meetings“, bei der die unfertigen Songs einer auserwählten Menge an Leuten präsentiert werden. Es klang alles sehr ehrgeizig, aber letztendlich ist es nicht so gelaufen, wie es geplant war.

Alloysious: Kein Wunder! Im Leben läuft doch nichts wirklich nach Plan.

G: Wir haben aber doch geschafft, was wir geplant hatten. Zwar haben wir das Projekt früher abgebrochen, aber wir haben das Album in Berlin fertig bekommen und Videos und andere Kunst gemacht, die wir benutzen werden.

Ich dachte, ihr habt das Album letztendlich in Schottland fertig gemacht?

G: Die Musik war schon hier komplett. Zu Hause ging es nur noch ums Mastering. Dort haben wir es dann einfach laut gemacht. Es dauert ewig, aber darum geht es doch. Es einfach richtig laut machen.

Hat euch Berlin sehr beeinflusst? Ihr wart ja schon eine Weile hier und habt euch speziell diese Stadt ausgesucht.

G: Ja, bestimmt. Aber wir haben Ideen, egal wo wir sind. Wir waren in sonnigen Gegenden, und danach klangen unsere Songs total sonnig und optimistisch. Manchmal ist es gar nicht so gut, sich von einem Ort beeinflussen zu lassen, aber man kommt auch nicht wirklich drum herum. Egal, wo wir sind, tragen wir Aufnahmegeräte mit uns herum. Die Aufnahmen können dann aus verschiedensten Orten kommen, weil wir ständig unterwegs sind. Teile des Albums wurden in Schottland kreiert und dann hier in Berlin gemixt. Oder andersherum. Hat sich das Arrangement in dem einen oder anderen Song dann geändert, weil wir in Berlin waren und es kalt war und das einen Einfluss hatte? Oder wäre das auch woanders passiert? Ich glaube, man kann es letztendlich nicht festlegen.

Ich war stolz Teil eures Quality Control Meetings zu sein. Die unfertige Musik zu hören und Kommentare zu hinterlassen, die euch weiterhelfen sollten. Später habe ich erfahren, dass ihr nichts davon gelesen habt. 

Alloysious: Irgendwie machte es keinen Sinn mehr, nachdem wir mit euch gesprochen hatten. Die Gespräche waren Teil des Prozesses. Es war aufregend und auch irgendwie unangenehm etwas Unfertiges zu präsentieren. Und dabei noch gefilmt zu werden? Das war doch für euch auch sicher unangenehm. Es war uns aber wichtig es auszuprobieren. Uns herauszufordern. Wir wollten lernen, unsere Werke als weniger kostbar anzusehen und sie mit Fremden im empfindlichen Anfangsstadium zu teilen. Irgendwie war es befreiend.

Kayus: Es war total spannend die Reaktionen in den Gesichtern zu lesen.

G: Wir haben die Zettel mit den Kommentaren aber noch. Ich habe nur den allerersten gelesen, der ganz oben  auf dem Stapel liegt. Da stand genau das, was ich gehofft habe. Der Song wurde verstanden. Mission accomplished.

Würdet ihr so etwas noch einmal machen?

G: Eigentlich wollten wir das gleiche Meeting noch einmal mit Leuten machen, die unsere Musik noch nie vorher gehört haben. Keine Journalisten. Einfach mit Leuten von der Straße. Genau, wie es früher bei den Motown Meetings gemacht wurde. Das wäre interessant, die Reaktionen zu sehen.

Dann könntet ihr euch ja auch mal auf die Straße stellen und einfach drauf los spielen und sehen wie es bei den Leuten ankommt.

G: Das haben wir gerade letzte Woche gemacht. In Soweto, in Südafrika. Wir haben mit einem Truck mit Soundsystem mitten auf der Straße ein Konzert gegeben. Das war krass.

Kayus: Die Leute waren sehr neugierig und sind bis zum Ende geblieben. Dieses ehrliche Interesse hat mich am meisten fasziniert. In Europa hätten sich die meisten gar nicht die Zeit genommen.

G: Nach kürzester Zeit konnten die Leute mitsingen. Da hat man gemerkt, wie die Hooks funktionieren und dass Dinge schnell hängen bleiben. Es war wie ein Experiment.

Euer zweites Album „White Men Are Black Men Too“ steht kurz vor der Veröffentlichung. Schon im Voraus wird der Titel stark diskutiert. Auf eurer Website ist ein Statement von Alloysious zu lesen, der eure Beweggründe erklärt. Warum hattet ihr das Gefühl euch da rechtfertigen zu müssen?

Alloysious: Der Titel schreit ja förmlich nach einer Erklärung. Es ist ein bisschen gewagt. Wie immer, wenn es um Rassismus geht. Jeder hat seine eigenen Erfahrung, seine eigene Meinung und hier teilen wir unsere mit.

G: Es ging uns auch darum die Konversation anzukurbeln. Es soll diskutiert werden.

Bevor die Diskussion losging, stand in allen Pressemitteilungen schon, dass dieser Titel provozieren wird und nicht jedem gefallen wird.

Alloysious: Das ist genau das Problem. Dass das Thema um ethnische Nationalitäten so sensibel ist. Dass man nicht weiß, wie man darüber reden soll. Was ist richtig, was ist falsch.

G: Wir haben uns wochenlang den Kopf darüber zerbrochen, ob wir das Album wirklich so nennen wollen. Aber je mehr wir darüber geredet haben und mit anderen Leuten diskutiert haben, ist uns aufgefallen, wie sehr diese ganze Sache diskussionswürdig ist. Ob die Reaktion auf den Titel positiv oder negativ ist, ist egal. Aber es ist ein Titel, der eine Reaktion auslöst. Und man denkt drüber nach. Selbst wenn unsere Musik gar nicht gehört wird. Stell dir vor, das Album wird im Radio angekündigt. Oder steht im Plattenladen. Ohne die Musik hängt der Satz genauso nach. Ich hoffe, dass es viele Leute zum Nachdenken bringt.

Alloysious: So manch einer hat uns besorgt davon abgeraten, vor lauter Angst, dass wir Grenzen überschreiten. Aber genau das wollten wir: diesen Titel in Kombination mit einem Pop-Album! Beim Pop geht es um das Gewicht der Worte, die tiefsinnig sind, kombiniert mit Hooks und Parts, die man leicht mitsingen kann.

G: Viele denken, dass sich das nicht vereinen lässt. Pop und ein tieferer Sinn. Was ist denn Pop? Eine Kultur, die die Masse erreicht. Was sich Leute anhören, ansehen und was sie beeinflusst. Das wollen wir herausfordern.

Alloysious: Denn die Welt wird in der Popkultur gerade nicht repräsentiert, wie sie wirklich ist.

„White Men Are Black Men Too“ ist also ein Popalbum. Beziehungsweise eure Definition eines Popalbums.

G: Wir lieben Popmusik, genau wie die meisten. Ein catchy Song ist immer gut. Selbst wenn kein tieferer Sinn dahintersteckt. Uns war es wichtig, beides zu kombinieren. Um auch Leute zu erreichen, die vielleicht sonst nicht wie wir denken. Was die Lyrics auf diesem Album angeht, könnte man es so zusammenfassen: Less words, but more meaning. Simplify things, and repeat them. Anstatt ständig neue Worte zu finden, die wichtigen wiederholen. Damit genau diese hängen bleiben.

Alloysious: Zuallererst machen wir die Musik für uns. Und dann hoffen wir, dass es die Leute erreicht. Genau so ist es auch bei den Performances. Du tust es, weil du es liebst. Und dann hoffst du, dass die Leute Gefallen daran finden und teilhaben wollen.

Das weiß ich bei euch besonders zu schätzen. Je mehr ich euch kennengelernt habe, desto mehr verstehe ich eure Leidenschaft hinter der Musik. Ihr macht das, was ihr wollt. Egal, was andere denken. Ihr dreht völlig ab auf der Bühne. Ihr gebt 200%. Nehmt euch die Freiheiten, die ihr braucht. Nach dem Mercury Prize habe ich mich gefragt, was das wohl mit euch anstellt. Ob ihr den Druck spürt oder ob es euch mehr Freiheit gibt.

Alloysious: Wir wollten auf keinen Fall genau so ein Album noch einmal machen.

G: Die Idee ein Popalbum zu machen, das simpel, strukturiert und eingängig ist, schwirrt schon lange in unseren Köpfen herum. Von dem Preis und der darauffolgenden Aufmerksamkeit wollten wir uns so wenig wie möglich beeinflussen lassen.

Beschreibt mir die perfekte Szene für euer Albumlistening.

Alloysious: Für mich wäre der perfekte Ort dafür ein riesiger Raum und ich sitze in der Ecke und höre es auf vollster Lautstärke.

G: Für mich im Flugzeug während starker Turbulenzen.

Ich bin sehr froh, dass ich euch vor einer Weile kennenlernen durfte. Wäre das nicht passiert, hätte ich wahrscheinlich Schiss vor diesem Interview gehabt. Ich habe mich nämlich damals immer gefragt, wie ihr wohl drauf seid, mit euren stets ernsten Gesichtern und harten Statements. Persönlich seid ihr so herzlich und verdammt lustig.

G: Die ernsten Gesichter sind uns wirklich immer sehr wichtig. So eine Band wie wir würde doch sonst nicht ernst genommen werden. Guck mal, wie wir aussehen. Damit man uns ernst nimmt, müssen wir ernst sein. Es funktioniert irgendwie. In Südafrika haben wir gerade eine Sängerin gesehen, die die krassesten Gefühle in einem Song transportiert hat und dabei die ganze Zeit ein ernstes Gesicht hatte. Das hat mich sehr beeindruckt.

Alle haben über euch geredet und diese ernsten Gesichter kommentiert, vor allem bei den Mercury Awards.

Alloysious: Aber jetzt mal ganz ehrlich, bei den Awards waren wir einfach nur wir selber. (lacht)

G: Diese Typen dort fragen einen die bescheuertsten Fragen. Da hatten wir echt keinen Grund zu lachen oder nett zu gucken. Das war einfach nur nervig. Was soll’s. wenn die Leute sich danach darüber aufgeregt haben. Ich hätte es schlimmer gefunden ein fake Lächeln aufzusetzen und ihnen vorzugaukeln wie toll ich das alles finde.

Alloysious: Das Ding ist, dass die Journalisten das dann so aufgegriffen haben, als ob wir einen Scheiß drauf geben. Dass uns der Award völlig egal ist. Was wir aber sagen wollten ist, dass es eben mehr um die Musik geht. Natürlich hilft so ein Award und ist toll und positiv in der Hinsicht, dass so mehr Leute Zugang zu unserer Musik haben und uns hören können. Türen werden göffnet. Aber die Musik selber öffnet die meisten Türen.


Interview: Christina Heckmann

www.young-fathers.com