Diesen Monat kommt MIKA im Rahmen seiner Europa-Tournee nach Deutschland. Wir haben in London schon einmal Mäuschen gespielt.
Ein Uhr nachts. Im Hammersmith Apollo, einem Konzertsaal im Westen Londons, sind die Saallichter inzwischen wieder erloschen. Ans nach Hause gehen ist in dieser Nacht aber noch nicht zu denken, zumindest nicht für die Lichttechniker, die MIKA auf seiner aktuellen Europa-Tournee begleiten. Die sind immer noch damit beschäftigt, die technischen Probleme des Abends zu beheben. Die Atmosphäre in einem leeren Raum, in dem vor vier Stunden noch 5 000 begeisterte Zuschauer ekstatisch um die Wette getobt haben, ist unbeschreiblich. Der Fußboden ist noch bedeckt mit einer Schicht Glitter. Es war mal wieder ein sehr goldener Abend.
Zu diesem Zeitpunkt erleben wir dann doch noch die Lichtshow, die wenige Stunden vorher eigentlich hätte stattfinden sollen. Leider hatte MIKA an jenem Abend mit seiner Technik kein Glück. Über fünfzig Prozent des Equipments verließen ihn während der Show und ließen den Rampenlicht gewöhnten Popstar zunehmend verzweifelt wirken. In einer sehr emotionalen Version von „Happy Ending“ machte er sich schließlich Luft und bat sein Publikum weiter mitzumachen, trotz einer Show, die er laut eigenen Angaben eigentlich hätte abbrechen müssen. Es war wie ein kleines, selbst heraufbeschworenes Showbiz-Wunder: In dem Moment, in dem die Mitsingchöre ihren Höhepunkt erreichten, gingen die Lichter wieder an. Und MIKA konnte endlich zu alter Form zurück kehren und seinem Publikum zu Nummern wie „We Are Golden“ und „Grace Kelly“ noch einmal alles abverlangen.
Konzerte in London sind Heimspiele für MIKA, vor allem wenn sie im Hammersmith Apollo stattfinden, in unmittelbarer Nähe der Gegend, in der er einen Großteil seiner Jugend verbracht hat und heute noch lebt. Da ist es natürlich verständlich, dass er seine Ansprüche an sich selbst und seine Show besonders hoch steckt. Der durchschnittliche Konzertgänger dürfte höchstens bemerkt haben, dass die Bühne, fast reduziert auf weißes Licht und einen Verfolger, etwas karg wirkte. Der Begeisterung an MIKAs Performance tat dies jedoch keinen Abbruch.
Nennen wir es beim Namen: Während die Allgemeinheit hier in Deutschland sich noch nicht so recht dazu durchringen kann, in MIKA mehr als ein One-Hit-Wonder zu sehen („Grace Kelly“ belegte 2007 Platz 4 der deutschen Single-Charts), ist er in England und Frankreich zum Beispiel ein absoluter Superstar. Das Privileg, seine Show im ausverkauften Hammersmith Apollo aus der ersten Reihe genießen zu dürfen, ohne dafür anstehen zu müssen, weiß ich auf heiligste Weise zu schätzen. Immerhin okkupierten die ersten Anhänger den Platz vor dem Theater bereits in den frühen Morgenstunden. Selten habe ich so viele „I Love You“-Rufe aus dem Publikum vernommen. Und der blaugerüschte Schlüpfer, der rechts an mir vorbei auf die Bühne flog, konnte sich auch sehen lassen.
Ein männlicher Freund von mir findet es unverschämt, wie man mit X-Beinen in Röhrenjeans reihenweise Frauen wie Männer schwach machen kann. Ich werde nicht müde, es immer wieder zu erklären: MIKA ist definitiv einer der besten Live-Performer unserer Zeit. Für seine Europa-Tournee inszeniert er die besten Songs seiner beiden Alben vor einem LED-Screen in Form eines überdimensionalen Tagebuchs. Die Grenzen zwischen großer Show und intimem musikalischen Erlebnis verschwimmen bei ihm immer noch mit der gleichen Leichtigkeit wie bei seiner ersten großen Tournee, die ihn zuletzt 2007 nach Deutschland geführt hat. Ich bin mir sicher, wir werden auch in den Genuss der kompletten Lichtshow kommen. Wen interessieren da schon X-Beine.
MIKA has left the building. Anstatt sich mit dem Auto direkt am Bühnenausgang abholen zu lassen, ist er mal wieder zu Fuß zur Straße vor gelaufen, um den geduldig in der Kälte wartenden Fans Autogramme zu schreiben. Lange sitzen wir noch im Rang des Hammersmith Apollo und hören halblaut die Aufzeichnung der Show, zu der die müden Techniker das Licht einrichten. Erstaunlich, wieviel Magie ein gutes Live-Erlebnis in einem leeren Raum zurücklassen kann. Inzwischen ist es drei Uhr morgens. Zeit nach Hause zu gehen. Aber wir kommen wieder. Ganz bestimmt.
Foto (c) Michaela Marmulla