The National, 05.06.2014, Zitalle Spandau, Berlin

„Trouble Will Find Me“, der Titel des aktuellen Albums, scheint an diesem Abend Programm zu sein. Der Trouble fängt an, als uns das Navi zunächst zum falschen Juliusturm leitet. Endlich angekommen, führt uns der Pfeil auch noch in den Wald und nicht zum Gästelisten-Häuschen. Zu diesem Zeitpunkt ist klar, dass wir die Vorgruppe St. Vincent verpassen werden. Rechtzeitig zum ersten Song „Don’t Swallow The Cap“ schaffen wir es dann aber doch noch ganz nach vorne an die Bühne.
„…Gold light breaks behind the houses …“ singt Matt Berninger mit seiner tiefen Baritonstimme, in der immer ein Hauch von Sehnsucht und Verzweiflung mitschwingt. Man ahnt jetzt schon, dass das goldene Licht der Dämmerung oder ein kleiner Club atmosphärisch weit besser zu The National passen würde als das weitläufige Areal der Zitadelle Spandau bei Tageslicht.
Seit „High Violet“ haben sich The National mit ihrem melancholisch-sehnsuchtsvollem Indie-Rock eine immer breiter werdende Fan-Base erobert. Sie sind längst nicht mehr nur der Geheimtipp für Poeten, Denker und Kritikerlieblinge – trotz allem sind sie vom Mainstream noch weit entfernt. Zum Glück!
In seinem Lieblings-Outfit, einem dunklen Anzug mit Weste, wirkt Matt immer ein wenig wie ein Geschichtslehrer, der sich für den Abi-Ball schick gemacht hat. Die schwarze Nerd-Brille tut ihr Übriges. Man sagt Berninger nach, dass er gern mal ein Gläschen trinkt. Vor allem vor Konzerten, um lockerer zu werden. Auch heute Abend greift er zwischen den Songs immer wieder fast panisch zum Glas und ringt sich höchstens mal ein kurzes „Thank You“ ab.
Er wirkt launig und rastlos. Man ist sich nicht ganz sicher, ob er sich das Mikro aus Gram am Sound (der gar nicht so schlecht klingt) immer wieder an den Kopf haut, oder ob das einfach nur zu seiner leicht verschrobenen Art gehört. Immerhin hat er erst kürzlich in einem Interview mit Bret Easton Ellis zugegeben, dass ihn das Album „The Boxer“ aus seinen Depressionen geholfen hat. Vielleicht liegt sein Missmut aber auch einfach nur daran, dass der Funke nicht so richtig überspringen will. Ein Grund dafür, dass die Songs aus dem letzten Album beim Publikum nicht so richtig ziehen, könnte der immer noch viel zu helle Abend sein. Erst bei „Bloodbuzz Ohio“ kommt ein wenig Bewegung in die Menge.
Bei „Squalor Victoria“ hadert Matt so sehr mit dem Mikro, dass er es mit einem lauten „Fuck!“ in Richtung Graben schmeißt. Die zwei Mädels neben uns erklären irritiert, dass Bon Jovi so etwas Unprofessionelles nie machen würde. Nun ja…
Bei „Abel“ kann er dann seine ganze Verzweiflung rausschreien. Seine sonst so warme Stimme überschlägt sich fast: Mit ganzer Intensität schmeißt er sich in den Song und das Mikro von sich. Endlich kommt mein Lieblingssong „England“. Diese Stimme geht einfach unter die Haut. „ …You must be somewhere in London, you must be loving your life in the rain …“. Irgendwie wäre mir jetzt auch Regen lieber. Einfach so, für die Atmosphäre. Das Gleiche muss sich Berninger auch gedacht haben, denn beim nächsten Song wirft er seinen Wasserbecher in die Luft. Zumindest auf seine Band-Kollegen regnet es jetzt.
Langsam wird es dunkler, die Musik wirkt im dämmrigen Abendlicht sofort um einiges besser. Und dann springt auch der Funke über. Pünktlich zu den Zugaben ist sie plötzlich da – die Magie von The National. Matt bittet die wunderbare Annie Clark der befreundeten Vorgruppe St. Vincent auf die Bühne. Mit ihr performt er eine absolut großartige Version von „Sorrow“, bei der sich die beiden außergewöhnlichen Stimmen perfekt ergänzen und fast mystisch wirken.
Und dann passiert es: bei „Mr. November“ springt er plötzlich von der Bühne. Er läuft mitten in die Fans und singt voller Inbrunst. Spätestens da hat er das Publikum wieder auf seiner Seite. Das Mikrokabel schwebt über der Menge, aus der Matt gar nicht mehr aufzutauchen scheint. Dieser Einsatz scheint ihm so gut gefallen zu haben, dass er bei „Terrible Love“ gleich wieder den Kontakt sucht. Auf dem Absperrgitter stehend, lässt er sich von den Fans tragen, um plötzlich wieder mitten in die Menge zu springen. Er zerrt das Mikrokabel hinter sich her, rennt er auf mich zu, und dann stoßen wir zusammen. Ich bin beseelt. Das ist Rock ’n’ Roll. Indie Rock ’n’Roll.
Mittlerweile ist es auch mehr oder weniger dunkel. Genau richtig für den letzten Song „Vanderlyle Crybaybe Geeks“ in einer wunderbaren Version mit Aaron und Bryce Dessner an der Akustik-Gitarre und dem Rest der Band als Chor.
Das Publikum singt begeistert mit. Und schließlich schleudert er es wieder weg, das Mikro. Jetzt singen nur noch Matt und das Publikum – lautstark vereint. Dafür braucht man kein Mikro und jetzt gibt es auch keinen Grund mehr, um sich damit an den Kopf zu klopfen. Alles ist gut, denn nun ist auch endlich die Atmosphäre da. Doch leider ist nach fast zwei Stunden das Konzert zu Ende.
Gerüchten zufolge will Matt Berninger in die Hotelbranche einsteigen. Ein Rock-Hotel in Brooklyn soll es werden. Vielleicht hat ihn das Michelberger Hotel in Berlin dazu inspiriert. Es ist ein bei Musikern sehr beliebtes Hotel, in dem die Band schon mehrmals aufgetreten ist. Da sie zu den „guten Freunden“ zählen, dürften Matt für sein Vorhaben also kompetente Berater zur Seite stehen. Und ich buche schon mal vorsorglich das Groupie-Zimmer und hoffe, dass Matt mir als Extra-Service jeden Abend „England“ als Gutenacht-Lied auf der Gitarre vorspielt.

War dabei: Kate Rock
Fotos (c) Dörte Heilewelt