Primavera Sound 2017: Überraschungsparty mit Arcade Fire

Plötzlich steht Win Butler neben uns und hat das gleiche Anliegen wie wir. Er möchte zu Steve Mackeys und Jarvis Cockers „Dancefloor Meditation“, die am ersten Abend des Primavera Sound Festivals auf der Heineken Secret Stage stattfindet. Für diese Bühne, zu der ein separater Zugang innerhalb des Festivalgeländes führt, braucht man eins der goldenen Wristbands, die jeden Tag an der Heineken Bude auf First Come First Serve Basis vergeben werden. Oder man muss auf der Gästeliste stehen. Der Herr am Einlass fragt, ob der große Mann in Hut und weißem Jackett dies tut. Ja tut er und nennt brav seinen Namen. Da geht er dahin, der Frontmann unserer aller Lieblingsband Arcade Fire.
Was haben wir uns drauf gefreut, Arcade Fire am Samstag Abend endlich wieder live zu sehen. Dass uns bis dahin noch eine Menge erstaunlicher Überraschungen erwarten sollen, ahnen wir zu diesem Zeitpunkt nicht. Die unverhoffte Begegnung mit Win Butler setzt aber einen vielversprechenden Anfangspunkt.
Am nächsten Tag taucht auf Twitter ein Foto auf. Auf dem gerade geöffneten Festival Gelände sichten Fans brandneue Arcade Fire T-Shirts am Merch Stand. Aber nicht nur das: daneben die neue Single als limited Edition 12“ aus orangefarbenem Vinyl. „Everything Now“ heißt sie. So viel ist damit schon mal klar, spätestens am Samstag werden wir Zeuge der ersten Live Performance der neuen Single werden. Während wir uns in Richtung Festival bewegen, taucht auf YouTube ein Video auf. Jemand spielt „Everything Now“ in einem Plattenladen ab. Man hört nur Bruchstücke, da ständig dazwischen gequatscht wird. Das was man hört, ist allerdings famos und lässt uns mit einem fetten Grinsen zurück. Was ist das? ABBA? Ganz viel Disco? Eine Panflöte? Das Internet explodiert förmlich mit begeisterten Kommentaren zu einem Song, den man wirklich nur unter erschwerten Bedingungen hören kann. Ein Fan, der eine Platte ergattert hat und den wir später persönlich kennen lernen, lamentiert was das doch für ein schrecklicher Moment ist, im Besitz der neuen Arcade Fire Single zu sein aber weit und breit keinen Plattenspieler zu haben. Aber bevor wir das Gelände erreichen, ist alles weg. Die T-Shirts wurden abgehängt, die Platten wieder weg gepackt. Hat da jemand einen Fehler gemacht und alles zu früh heraus gehängt? Oder ist das alles etwa Teil eines großen Plans?

An letzteres glauben wir von Stunde zu Stunde mehr. Irgendwie ist das alles viel zu verrückt, um eine einzige Verkettung von Zufällen zu sein. Schon seit Tagen hält sich das Gerücht, Arcade Fire würden im Rahmen des Primavera Sound eine Secret Show spielen. Am Donnerstag kursiert im Internet plötzlich der Bericht eines Fans, der angeblich auf der geheimsten Arcade Fire Show aller Zeiten war, nur 50 Fans, die per Bus zu einem Gaudi Schloß außerhalb Barcelonas chauffiert wurden und dort einem intimen Konzert bei Kerzenschein beiwohnen durften. Moment mal – gibt es überhaupt ein Gaudi Schloß eine Stunde außerhalb von Barcelona? Und liest sich dieser Bericht nicht eher wie eine Persiflage der seltsamsten Arcade Fire Show, von der man je gehört hat? Und vor allem – haben wir Win Butler nicht gestern zur besagten Zeit noch hier auf dem Gelände gesehen? Da erlaubt sich doch jemand einen Scherz mit uns!
Zack am nächsten Tag, das nächste Foto auf Twitter, diesmal von einem japanischen Account. Angeblich hat jemand auf dem Festivalgelände in einem abgesperrten Bereich eine Bühne gesichtet, auf der ganz offensichtlich die charakteristischen Arcade Fire Instrumente stehen. Führt die Band uns etwa schon wieder an der Nase rum? So richtig Ruhe lässt es uns dann aber doch nicht, sodass wir uns einfach mal lässig, mit dem Foto bewaffnet, auf die Suche machen. Und tatsächlich – da steht sie, die geheimnisvolle Bühne! Eine Hand voll erwartungsvoller Fans drückt sich bereits an der Absperrung herum. Punkt halb neun soll hier etwas passieren. Was genau es ist, will er uns keiner verraten, aber zu dem Zeitpunkt haben wir schon eins und eins zusammen gezählt.
Moment mal… halb neun, spielen da nicht Broken Social Scene nebenan auf der Ray Ban Stage? Das kann doch schon wieder nur ein Witz sein. Da bleibt nur etwas, das wir wirklich nur in äußersten Notfällen tun: uns aufteilen. Aber die Live Premiere der neuen Single „Everything Now“ auf einer kleinen 360 Grad Bühne mit spanischem Sonnenuntergang im Hintergrund können wir uns trotzdem nicht entgehen lassen. Broken Social Scene müssen ein klein wenig warten.

Und was das für eine Live Premiere wird! Die Energie von Arcade Fire, der unbändige Drang der Band endlich wieder live zu spielen, springt einen förmlich an. Da wird gezappelt, geschrammelt, getrommelt und gesungen was die Seele her gibt. Und in den schwarzen Bomberjacken mit dem „Everything Now“ Weltkugel Symbol auf dem Rücken sehen sie obendrein auch noch unfassbar lässig aus. Regine Chassagne sprüht nur so vor Charme, Win Butler steigt mit seinen langen Beinen bis hinunter ins Publikum und sendet wohl dosierte Rockstar-Gesten aus. Will Butler braucht man mit wohl dosiert nicht kommen. Er gibt, wie man es von ihm kennt, einfach alles, mit vollem Körpereinsatz, bei „Rebellion“ klettert er sogar am Rand der Bühne bis zu den Scheinwerfern hoch. Genauso Richard Reed Parry, der seine diversen Instrumente bearbeitet als gäbe es kein Morgen mehr. Und selbst Schlagzeuger Jeremy Gara kriegt das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Mehr als eine Stunde geht der Warm Up Gig, ein komplettes Arcade Fire Konzert mit zwei neuen Nummern und jeder Menge alter Bekannter. All Killer, No Filler.

Mit diesem ganzen Drumherum, und auch nicht zuletzt mit ihrem offiziellen Konzert auf der Mango Stage am Samstag Abend, beweisen Arcade Fire, dass sie in der heutigen Musikwelt eine absolute Sonderstellung einnehmen. Den Indie-Rahmen haben sie längst gesprengt, trotzdem sind sie aber immer noch keine Stadionrockband. Noch nie haben wir erlebt, dass eine Band ihre Präsenz auf einem Festival und den Launch der neuen Single derart geschickt vermarktet und gleichzeitig dem Schrei vom kommerziellen Ausverkauft ferner nicht sein könnte. Arcade Fire vereinen Stil, Können und nicht zuletzt Humor auf unnachahmliche Weise. Wo passen sie überhaupt rein? Nirgendwo, um Arcade Fire abzulegen braucht es eine ganz eigene Schublade. Eine besonders große, bitte. Da muss noch einiges rein passen in nächster Zeit.

Foto Mango Stage: Sergio Albert / Primavera Sound
Fotos Secret Gig: Kate Rock

www.arcadefire.com

www.primaverasound.es