Phoenix im Interview: „Wir haben nach dem Licht gesucht“

Phoenix sind in love. Die französische Erfolgskombo hat gerade ihr sechstes Studioalbum „Ti Amo“ raus gebracht, eine Liebeserklärung an die Musik und das Leben. Der krasse Gegenentwurf zu dem, was sonst in der Welt so passiert, das unpolitischste Statement, das eine Band heutzutage von sich geben kann. Es war keine bewusste Entscheidung, aber eine gute, erklären mir Christian Mazzalai und Deck D’Arcy im Gespräch. Sie sind stolz auf die geballte Menge positiver Energie, die sie in die Welt hinaus senden. Und wir dankbar, dass wir sie entgegen nehmen dürfen.

Ihr habt euch eine Zeitlang richtig zurück gezogen aus der Öffentlichkeit. Auch eure gesamte Social Media Präsenz war still gelegt – das fällt in den heutigen Zeiten ja richtig auf. Jetzt seid ihr wieder da. Nach so vielen Jahren im Business, macht man sich da immer noch Gedanken, ob die Leute sich noch für einen interessieren werden?

Christian: Natürlich. Man weiß es nie, die Reaktionen der Leute sind nicht vorhersehbar. Und ja, es war eine ganze Weile. Wenn wir ein Album machen, vergessen wir die Welt draußen vor der Tür. Dieses Mal ein bisschen weniger, aber es waren nur wir vier, in einem Raum, drei Jahre lang.

Ihr habt euch Zeit gelassen. Und ich habe gelesen, dass ihr in der Zeit sehr viel Musik aufgenommen habt.

Christian: Das stimmt. Wir haben noch nie so viel Musik aufgenommen. Total verrückt. Am Ende mussten wir uns für zehn Songs entscheiden.

Wie macht man das, sich bei so einer Fülle an Songs am Ende auf zehn zu begrenzen?

Christian: Es ist eine lange Reise. Tausende von Entscheidungen. Und die treffen nur wir vier. Wir haben die volle Kontrolle über alles was wir tun, nicht nur die Musik.

Deck: Wir sind dem Rat von Philippe Zdar gefolgt, der unser voriges Album produziert hat. Wir haben den Titel des Albums wenige Wochen bevor es fertig geworden ist gefunden. Wir hatten ein paar Optionen für Songs und er hat gesagt: Euer Album heißt jetzt „Ti Amo“, also müsst ihr die Songs auswählen, die „Ti Amo“ sind. Es stimmt, wenn man erst einmal den Albumtitel hat, wird es einfacher die Songs auszuwählen. Wir hatten Songs, die auch gut waren, aber nicht so richtig in den Vibe gepasst haben.

Es ist schön, dass ihr so denkt, ein Album als Gesamtkunstwerk seht. Heutzutage sagt man ja, dass einzelne Songs eine viel stärkere Bedeutung haben als ein Album als Ganzes.

Christian: Besonders dieses Album hat eine in sich geschlossene Energie. Aber die Betonung einzelner Songs ist nicht wirklich eine neue Entwicklung. In den fünfziger Jahren zum Beispiel hat noch kein Künstler Alben raus gebracht. Das Format Album ist erst Mitte der sechziger Jahre entstanden. Aber es stimmt schon, wir sind mit Alben aufgewachsen. Für uns ist ein Album zehn Songs, zwei Seiten, 45 Minuten. Innerhalb dieser Grenzen ist man inhaltlich total frei. Es ist eine Beschränkung, die wir lieben.

Im Moment könnte man das Gefühl bekommen, die ganze Welt sei verrückt geworden. All das, was da draußen passiert, in Frankreich, in England, in den USA… es gibt vieles, das einen verzweifeln lassen könnte. Ihr habt euch entschieden, ein Album zu machen, das die Probleme nicht benennt, sondern die Menschen von all dem ablenken soll, mit seiner Liebe und positiven Energie.

Christian: Das stimmt, das haben wir getan. Aber auf eine sehr unbewusste Art. Wir haben erst hinterher darüber nachgedacht.

Ich habe gehört, ihr hättet euch fast schuldig gefühlt, als es euch bewusst geworden ist.

Christian: Ein bisschen, ja. Es war seltsam. Was wir geschaffen haben ist sehr weit weg von dem, was wir jeden Tag zu spüren bekommen. Die Spannungen in Paris. Es war nahezu ein heilsamer Prozess. Wir haben nach dem Licht gesucht. Musik ist ein fantastisches Medium dafür.

Deck: Wir sind ja insgesamt eher eine positive Band. Das ist die DNA unserer Musik. „Bancrupt“ war vielleicht ein bisschen dunkler. Warum das so ist, können wir aber nicht sagen. Es ist uns nicht so richtig bewusst. Wir kommen da einfach nicht drum rum, das müssen wir akzeptieren (lacht).

Christian: Es liegt aber auch immer eine gewisse Melancholie dahinter. Nimm einen Song wie „If I Ever Feel Better“. Da steht nicht umsonst ein „if“ am Anfang.

Das habe ich an eurem Album „United“ damals so geliebt. Es hat diese Unbeschwertheit und gleichzeitig diese Ernsthaftigkeit, die man als Teenager fühlt. Alle Emotionen, egal ob positiv oder negativ, haben ein viel stärkeres Gewicht. So hört sich für mich eure Musik an.

Deck: Genauso ist es auch gemeint.

Christian: Die Emotionen, die wir als Teenager haben, sind die stärksten die wir jemals haben werden. Man ist so lebendig. In diesem Alter entdeckt man jeden Tag noch etwas Neues. Mit 15 entdeckt man in einem Monat die unglaublichsten Künstler. Man ist nur noch am staunen. Mit 15 wusste ich zum Beispiel noch überhaupt nichts über Sixties Musik. Zwei Jahre später kannte ich alle Bands, alle Alben, alles was man dazu wissen musste. David Bowie, T-Rex, Beach Boys, Johnny Cash… dieses unglaubliche Gefühl, das man spürt, wenn man etwas zum ersten Mal hört, das richtig etwas in einem bewegt. Diese Kraft versuchen wir in unserer Musik einzufangen. Besonders auf diesem Album. Fast alles, was du darauf hörst, ist ein erster Take. Wir haben auch bei den Aufnahmen versucht uns wie Teenager zu fühlen, die etwas zum ersten Mal tun. Das ist wie der erste Kuss. Etwas, das man nicht kontrollieren kann. Sobald man versucht es zu kontrollieren, ist es tot.

Das heißt, ihr habt alles am Stück aufgenommen?

Christian: Ja, es gab von jedem Song verschiedene Takes, aus denen wir wählen und mit denen wir arbeiten konnten.

Deck: Die Herangehensweise war aber bei jedem Song ein wenig unterschiedlich. Manche haben länger gebraucht um fertig zu werden, bei anderen ging es ganz schnell. Aber selbst die, die länger gebraucht haben setzen sich zusammen aus Teilen, die innerhalb von fünf Minuten entstanden sind. Das Problem ist am Ende, die richtigen Elemente miteinander zu kombinieren. Das kann sehr zeitaufwändig sein. Man schreibt einen Song auch selten chronologisch, vom Intro über die Strophe, über den Refrain, die Bridge bis zum Outro. Manchmal passiert es, aber nicht immer. Dann muss man basteln. Die Art wie wir arbeiten ist eine Mischung aus einer schnellen, hohen Frequenz und… na ja, genau dem Gegenteil (lacht). Aber wir nehmen uns unsere Zeit, das haben wir nie in Frage gestellt. Es ist fertig, wenn es fertig ist.

Wo habt ihr an dem Album gearbeitet?

Deck: In Paris. Wir suchen uns für jedes Album einen neuen Ort. Orte sind wichtig, sie bringen ihren Vibe mit ein. Diesmal haben wir in einer alten Oper aus dem 19. Jahrhundert aufgenommen, die renoviert wurde für solche Zwecke und heute ein Kulturzentrum ist.

Christian: Das Studio befindet sich ganz oben, mit einem unglaublichen Blick über Paris. Wir versuchen immer, besondere Orte zu finden. Unser drittes Album haben wir hier in Berlin aufgenommen. Wir haben unglaublich tolle Erinnerungen an diese Zeit. Wir waren vier Monate hier.

Zu welcher Jahreszeit?

Christian: Im Sommer. Es war perfekt. Wir hatten Räder und sind durch die Gegend gefahren. Es ist das schnellste Album, das wir jemals aufgenommen haben. Wir hatten gar nichts, als wir hierher gekommen sind, nicht einen einzigen Song. Kurz vor Weihnachten war das komplette Album fertig. So würden wir gerne mal wieder arbeiten. So schnell und effektiv (lacht). Aber man kann es nicht vorher sehen.

Es läuft also immer sehr unterschiedlich bei euch. Was würdet ihr sagen ist der Kern eurer Arbeit als Phoenix, der immer gleich bleibt und um den herum sich alles entwickelt?

Deck: Das kann ich gar nicht so wirklich sagen. Es ist auf jeden Fall fester Bestandteil unserer Arbeit, dass wir jedes Mal andere Rahmenbedingungen brauchen, bevor wir anfangen. Wir wissen, dass es viele Dinge gibt, die in unserer DNA sind, aber die sind uns nicht so wirklich bewusst. Wie Christian schon sagte, das Gefühl des Teeanger seins, das ist bestimmt Teil davon. Darüber hinaus versuchen wir, alles so anders wie möglich zu machen. Das sind dann mehr die technischen Vorraussetzungen. Studio, Instrumente. Der Rest ist immer da. Bestimmte Melodien und Akkorde, die immer wiederkehren. Damit schließt sich der Kreis.

Und es entwickelt sich doch auch bestimmt damit, dass man als Band quasi miteinander aufwächst.

Deck: Oh ja.

Habt ihr Kinder?

Christian: Ja. Viele (lacht). Da kommen einige zusammen. Unsere erste Show mit den neuen Songs haben wir vor unseren Kindern gespielt.

Wirklich? Wie toll.

Deck: Wir haben eine kleine Show in dieser Oper gemacht, in der wir aufgenommen haben. Es gibt da auch einen Saal, in dem man auftreten kann.

Christian: Wir haben alle eingeladen, die dort arbeiten, unsere Freunde und alle unsere Kinder.

Deck: Das war sehr cool. Sie haben wild getanzt.

Ihr seid eine Band, die viel in den Menschen bewegt. Wenn man mit Leuten über euch spricht, können sehr viele einen Song, einen Moment benennen, den sie mit euch verbinden.

Christian: Das ist das beste Kompliment. Wir besitzen unsere Songs nicht, wir geben sie den Leuten. Sie können sie zu einem Teil ihres Lebens machen. Das befreit uns. Im Studio entwickeln wir oft eine Hassliebe zu den Songs. Man arbeitet so hart an ihnen. Wenn wir sie abliefern, das ist ein guter Moment.

Könnt ihr nach all diesen Jahren noch Momente benennen, die besondere Phoenix Momente für euch waren? Oder verschwimmt es alles zu einem großen Ganzen.

Christian: So viele Momente! (überlegt) Wir haben einmal mit dem Künstler Richard Prince zusammen gearbeitet. Er hat extra Geldnoten entworfen, die wir während der Shows zum Song „Bancrupt“ in die Menge geworfen haben. Dann sind da tausende von kleinen Richard Prince Kunstwerken durch die Luft gesegelt. Und die Leute wussten noch nicht einmal wie besonders das war! Nach der Show bin ich runter gegangen in den Saal und habe einige der Noten aufgehoben, die überall noch auf dem Boden lagen. Das ist eine besondere Erinnerung für mich.

Deck: Das stimmt, das ist eine sehr gute Erinnerung.

Interview: Gabi Rudolph

Foto: Warner Music

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