OMD im Interview: „Unsere bescheuertsten Ideen waren schon immer unsere besten“

Irgendwie herrscht an diesem Tag in den Räumen von Sony Records besonders gute Stimmung. Kein Wunder, Andy McCluskey und Paul Humphreys, die legendären Electro-Könige namens OMD sind im Haus. Man hört ihr Gelächter schon hinter verschlossenen Türen. Das ist auch die Erinnerung an mein erstes OMD Interview, als ich sie vor sieben Jahren zu ihrem damaligen Album „History of Modern“ getroffen habe: wenn man mit OMD spricht, wird ein Großteil der Zeit gelacht. Dank des neuen, bereits 13. OMD Album „The Punishment of Luxury“, ist es also wieder Zeit für eine Gute Laune Infusion.

Ich bin immer beeindruckt wenn ich euch treffe. Von draußen konnte man schon hören, wie gut ihr drauf seid und wieviel Spaß ihr habt an dem, was ihr tut.

Paul Humphreys: Es macht uns im Moment mal wieder einfach sehr viel Spaß, OMD zu sein.

Andy McCluskey: Wir sind begeistert von dem was wir tun und stecken viel Energie rein. Wir wollen Platten machen, wir wollen dass die Leute sie hören und wir wollen darüber sprechen.

PH: Wir sind sehr stolz auf das, was wir erreicht haben.

Nächstes Jahr wird OMD 40 Jahre alt…

AM: Ich weiß. Scary!

PH: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es schon 40 Jahre sind. Dass es 40 Jahre her ist, seitdem wir auf die Bühne gegangen sind als Vorband von Joy Division. Was unsere erste Show war. In mancher Hinsicht wirkt es wie 40 Jahre, in vieler aber auch nicht.

Kann man sich nach so langer Zeit noch an all die Verrücktheiten erinnern, die man so erlebt hat?

AM: An alles natürlich nicht, aber es gibt viele Schlüsselmomente. An das erste Konzert erinnern wir uns noch, weil es eigentlich das einzige bleiben sollte.

PH. Ja, es sollte wirklich eine einmalige Sache sein. Ein bisschen wie eine Mutprobe. Können wir wirklich auf die Bühne gehen und das durchziehen? Wir waren ja eigentlich in einer anderen Band, einer Indie Rockband. Da waren wir nicht besonders glücklich. Nach den Bandproben sind wir immer noch zusammen geblieben und haben unsere eigenen, experimentellen Sachen gemacht. Im Hinterzimmer bei meiner Mutter haben wir diese elektronischen Soundexperimente gemacht. Irgendwann dachten wir, es gibt doch gerade diese elektronische Bewegung, wir sollten einfach mal raus auf die Bühne gehen und sehen, ob das auch funktioniert.

AM: Interessant ist, dass bei diesem Konzert mit Joy Division am Ende 25 Leute da waren. Maximal. Donnerstag Abend, Eric’s Club in Liverpool, freier Eintritt für Mitglieder. Es gab keine Gage.

PH: Nur Bier.

AM: (ruft) Nein! Wir haben noch nicht mal Bier gekriegt! Ich erinnere mich an das erste Freibier das wir bei Eric’s gekriegt haben, das war schon unsere vierte Show! Ich dachte, wir haben’s geschafft, wir kriegen Freibier! (Gelächter) Aber auf jeden Fall sagte der Typ von Eric’s Club nach unserer ersten Show hey, wir haben Freunde in Manchester, ihr solltet mal bei denen im Club spielen. Also dachten wir gut, spielen wir halt zwei Shows. Und haben eine Show gespielt in einem Club namens „The Factory“ und dort Tony Wilson getroffen, den wir kannten, weil er damals im Fernsehen war. Wir hatten ihm ein Tape geschickt, weil er manchmal Bands in seiner Show hat auftreten lassen. Es hat ihm nicht gefallen aber er hat es im Auto vergessen und seine Frau ist die ganze Woche durch die Gegend gefahren und hat es sich angehört. Sie meinte zu ihm: „Was ist das für ein Tape, das du im Auto gelassen hast? Das ist großartig. Du startest doch ein Plattenlabel, du solltest sie unter Vertrag nehmen.“ Als wir ihn treffen sagt er also zu uns, der Band, die er nicht mochte: „Ihr seid die Zukunft der Popmusik“. (Gelächter) Die Geschichte dahinter haben wir erst Jahre später erfahren.

PH: Und plötzlich waren wir eine Band, die Platten aufgenommen hat. Was für eine bizarre Geschichte.

Und jetzt stellt euch vor, damals wäre eine Zauberfee um die Ecke gekommen und hätte gesagt übrigens, in 40 Jahren werdet ihr das noch genau so machen.

PH: Wir hätten es niemals geglaubt.

AM: Ich hätte mich zu Tode gefürchtet bei der Vorstellung! Alte Männer, niemals! Ihr solltet aufhören Musik zu machen, sobald ihr älter als 25 seid!

PH: Andy hat mal zu mir gesagt: Wenn wir das hier mit 25 immer noch machen, erschieß mich! (Gelächter)

AM: Das habe ich gesagt, stimmt. Zum Glück hat er nicht getroffen. Fakt ist, wir haben das alles nicht angefangen, weil wir Popstars sein wollten. Es war eine verrückte Mutprobe, einen Gig zu spielen. Deshalb haben wir uns auch den blödsten Bandnamen der Welt gegeben.

Als ich euch vor sieben Jahren getroffen habe, wart ihr gerade nach einer langen Pause wieder zusammen gekommen und habt „History of Modern“ veröffentlicht. Wenn man so frisch wieder zusammen kommt, ist es bestimmt leicht, euphorisch zu sein. Umso schöner dass es euch, sieben Jahre und zwei weitere Alben später, immer noch genauso geht.

AM: Sagen wir so: wir sind gute Schauspieler (lacht). Nein, jetzt mal im Ernst. Vor vier Jahren gab es ein Erlebnis, das uns in unserem Bandgefühl noch einmal stärker zusammen geschweißt hat. Unser Schlagzeuger hatte einen Herzinfarkt. Er hat es überstanden und lebt jetzt glücklich in Hannover… okay, ob man in Hannover glücklich und lebendig sein kann sei dahin gestellt… (Gelächter) Wir haben ein Jahr lang Pause gemacht, hauptsächlich um ihm keinen Druck zu machen. Aber dieses Jahr haben wir selber genutzt uns daran zu erinnern, was wirklich wichtig ist. Musik ist eine sehr seltsame, egoistische, eindimensionale Welt. Tatsächlich gibt es noch andere Dinge in unserem Leben, an denen wir uns erfreuen können. Unsere Familien… unsere Freunde… unsere Kinder…

PH: Hatten wir Kinder? Stimmt, hatten wir!

AM: Die sind Zuhause und geben das verdammte Geld aus, das wir mit Interviews wie diesem verdienen (Gelächter). Das war auf jeden Fall ein Moment des Reflektierens. Malcolm wird leider nicht mehr mit uns spielen können, aber das hat uns ein Gefühl gegeben von wegen: was haben wir doch für ein Glück. Wir sind nicht nur am Leben, wir können auch Dinge tun, die uns Spaß machen. Wir können uns durch die Musik ausdrücken und die Leute wollen es hören und mit uns darüber reden. Wir können auf die Bühne gehen und die alten Songs spielen, die die Leute lieben. Wir können aber auch neue Songs spielen und sie müssen okay sein, weil nicht alle auf die Toilette gehen, während wir sie spielen (lacht).

PH: Es ist ein Geschenk. Wir haben unser Schicksal selbst in der Hand. Es ist wunderbar, dass Sony uns unter Vertrag genommen haben, aber wir haben niemanden der uns sagt, wie etwas sein soll oder klingen soll. Wir sind ins Studio gegangen und haben das Album gemacht, das wir machen wollten und danach versucht, ein Zuhause für es zu finden. Künstlerisch sind wir völlig frei. Wir haben es geschafft, OMD zu einem weltweit bekannten Namen zu machen, durch die Welt zu reisen und Konzerte zu spielen. Es geht uns sehr gut.

Nach diesem Jahr Pause, das ihr euch genommen habt – wie kamen dann die Arbeiten am neuen Album in Gang?

AM: Ich glaube, wenn man lange Zeit kreativ tätig ist, egal welcher Kunst man nachgeht, verfällt man irgendwann in Gewohnheiten und verpasst ab und zu das, was eigentlich wichtig ist: in Kontakt mit sich selbst zu treten. Ich würde es nicht Therapie nennen, aber man hat die Möglichkeit, etwas aus sich heraus zu nehmen und es auszudrücken. Und dann ein Gefühl dafür zu kriegen, was andere interessieren könnte, wenn man jetzt diese Melodie und diese Drums benutzt. Man drückt seine innersten Gedanken und Gefühle aus. Wenn man davon eine Weile eine Pause nimmt, fühlt es sich seltsam an.

PH: Man braucht diese Ausdrucksmöglichkeit, man ist süchtig danach. Ich werde wahrscheinlich Songs schreiben bis ich umfalle, egal ob sie jemand hören will oder nicht.

Ich stelle es mir auch wahnsinnig spannend vor, diese ganzen Veränderungen mitzukriegen, wenn man schon so lange dabei ist wie ihr es seid. Alleine die technischen Entwicklungen beim Produzieren elektronischer Musik.

PH: Es hat sich komplett geändert. Wir haben die Technologien der modernen Welt aber schon immer gerne angenommen. Es gibt ja auch elektronische Bands, die heute am liebsten noch die analogen Synthesizer aus den Achtzigern benutzen. Wir schätzen alles Neue sehr. Es gibt einem so viele Möglichkeiten! Manchmal zu viele, die Qual der Wahl sagen wir immer. Man kann sich in seinen Möglichkeiten verlieren und vergessen, was man ursprünglich wollte. Deshalb ist es wichtig, dass man auch lernt sich selbst zu beschränken, sich Grenzen zu setzen. Allein wenn man eine Schlagzeugspur aufnimmt, hat man heutzutage 2000 Kickdrums und 4000 Snaredrums zur Verfügung. Man könnte einen ganzen Tag darauf verwenden sich zu entscheiden, welche Kickdrum man möchte. Aber dann verliert man das Gesamtbild aus den Augen und vergisst, was man ursprünglich wollte.

Man legt „The Punishment of Luxury“ ein und freut sich als erstes über diesen verrückten Beat, der los legt. Das klingt so anders, so modern. Dann kommt das Keyboard hinzu und plötzlich weiß man sofort, dass es OMD ist. Das ist doch bestimmt auch eine Gratwanderung, wie man Neues wagt und sich trotzdem selbst treu bleibt.

PH: Man kann auf jeden Fall sagen, dass wir als OMD einen gewissen „Signature Sound“ haben. Ich könnte noch nicht mal wirklich meinen Finger drauf legen, was genau diese Signatur ist. Die Soundpaletten, die wir dieses Mal gewählt haben, sind komplett anders als bei unserem letzten Album. Aber wie wir sie zusammen stellen, gekoppelt mit Andys markanter Stimme und die Keyboards, die ich dazu beitrage, ich denke das macht OMD aus.

AM: Aber… der einzige Grund den es überhaupt gibt, eine Platte zu machen ist, weil man etwas Neues ausprobieren will. OMD existiert, weil wir von Anfang an den Anspruch hatten, zu klingen wie niemand anders. Tu etwas Neues, das ist immer unser Grundsatz. Es kann aber auch nicht der einzige Ansatz sein, dann wäre man ja nur noch experimentell um des Experimentieren Willens. Jeder kann experimentieren. Aber wenn ich einfach das und das und das zusammen packe, dann klingt es am Ende scheiße. Am Ende ist es auch die Musikalität, die zählt. Etwas, wo die Leute andocken können, das sie mögen. Neun von zehn Ideen, die man im kreativen Prozess entwickelt, funktionieren nicht. Zuerst einmal wollten wir auf diesem Album nicht klingen wie das tausendste Achtziger-Revival, mit den gleichen Drums und den gleichen Keyboards, die man schon bis zum Erbrechen gehört hat. Dann wollten wir nicht immer über die gleichen Dinge singen und auch mit den Vocals an sich experimentieren, andere Effekte benutzen. Die Drums sollten etwas schmutziger, abgründiger klingen. Aber man kann es quasi mit dem Lernen einer neuen Sprache vergleichen: wenn ich mit dir Spanisch spreche, klinge ich immer noch wie Andy McCluskey. Wenn wir also etwas Neues versuchen, wird unsere Persönlichkeit immer durchklingen. Warum sollte sie auch nicht? Wir fangen an einen Song zu spielen. Er spielt Keyboard, ich fange an zu singen, die Leute rufen: OMD! (lacht) Das ist doch wunderbar. Und seien wir mal ehrlich. „Punishment of Luxury“ ist kein Album, das sich millionenfach verkaufen wird. Aber die Leute die es hören, vielleicht werden sie ein paar Durchgänge brauchen, aber sie werden zumindest wissen wollen, was da passiert. Es mag eine Herausforderung sein, aber es hat das Potential etwas zu werden, das sie lieben. Leute die uns lieben, vertrauen uns auch. Sie werden denken, das einiges etwas seltsam ist, aber sie wissen, dass sie auch die Popsongs kriegen, zu denen sie tanzen können. Ich persönlich liebe diesen seltsamen Scheiß, den wir dazwischen gestreut haben (lacht).

PH: Wir haben schon immer Musik für uns selber gemacht. Und die Erfahrung gemacht dass, wenn sie uns gefällt, sie anderen auch gefällt. Wenn wir gezielt versucht haben etwas zu erfüllen, zum Beispiel bewusst einen Hit zu schreiben, das ist immer nach hinten los gegangen.

AM: Unsere bescheuertsten Ideen waren schon immer unsere besten. „Maid of Orleans“ hätte 1982 niemals die meistverkaufte Platte in Deutschland sein dürfen. Es hat nicht ein einziges Kriterium einer Hitsingle erfüllt. „Sailing On The Seven Seas“ war eine total verrückte Idee aber ein riesiger Hit. Was sind wir doch für clevere Jungs! (lacht)

Clevere Jungs mit einem guten Gespür für Melodien.

PH: Das ist das Ding, wir hatten schon immer ein Faible für gute Melodien. Aber wenn uns jemand fragt: Seid ihr jetzt ABBA oder Stockhausen, dann können wir ganz lässig sagen: wir sind beides!

Interview: Gabi Rudolph

Foto: Oten Photography

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