Die neuen Alben von Sóley, Helgi Jonsson und Apparat Organ Quartet.
Sóley heißt die Dame, die, gerne mit überdimensionalem Kassengestell bebrillt, Sindri Mar Sigfússon sowohl als Teil der Band Seabear als auch bei seinem Soloprojekt Sin Fang musikalisch zur Seite steht. Bei meinem Besuch in Reykjavik zur Reykjavik Music Mess im April diesen Jahres ziert das Cover ihrer Debüt EP „Theater Island“ prominent präsentiert die Regale und Auslagen so ziemlich aller Plattenläden der Stadt. Island ist stolz auf seine Musikszene, und die Jungs in den Plattenläden geben gerne Empfehlungen ab zu den aktuellen Releases. Sóley wird dabei mehr als einmal genannt. „Sie ist so anders als das, was man sonst im Moment zu hören bekommt,“ erzählt man mir im 12 Tónar. „Vieles, was aus Island kommt ist gerade sehr fröhlich. Soley dagegen ist todernst. And she don’t give a shit.“ Im Regal steht direkt daneben “Kimbabwe”, das großartige, zurzeit ebenfalls schwer angesagte erste Album der inzwischen Wahlberliner-Band Retro Stefson. Knallig bunt untermauert es diese Behauptung perfekt.
Es stimmt schon, wirklich fröhlich ist Sóleys Musik nicht. Davon kann man sich gut auf ihrem, inzwischen auch in Deutschland erschienenen, ersten Langspieler „We Sink“ überzeugen. Aber macht sie das weniger typisch isländisch? Schließlich haben Downtempo und Melancholie in Island nicht weniger Tradition – und Qualität. Sóley reiht sich da mühelos ein. Mit zarter Stimme haucht sie ihre Lieder über sparsame Instrumentierung, hin und wieder knarzt, klappert und klatscht es gespenstisch schön. Das klingt genauso ansprechend versponnen wie Soley auf dem Cover aussieht. Laufen ihre Ohren oben nicht ein klein wenig Spitz zu…?
Einer meiner Lieblingskandidaten wenn es um gepflegte Melancholie geht, ist und bleibt Helgi Jonsson. Der veröffentlicht diese Woche sein neues Album „Big Spring“. Frühling zum Herbstanfang? Egal, passt trotzdem. Im April schreit Helgi mir, auf Österreichisch natürlich, morgens um drei in einer Kneipe ins Ohr: „Gabi, mein neues Album wird der Hammer!“ Und was soll ich sagen, da hat Helgi nicht zu viel versprochen. Schon mit den beiden Eröffnungstiteln „Melting Point Of“/“Salt“ greift er tief in die Gefühlskiste und sorgt für wohlige Gänsehaut. Im Gegensatz zu Sóley setzt Helgi auf seinem dritten Album auf üppige Arrangements, ohne dabei überladen zu wirken. „Dimma“ zum Beispiel kommt erst zurückhaltend daher und fährt zum Ende zu orchestraler Größe auf. Und ganz nebenbei liefert er mit „Darkest Part Of Town“ eine erste Singleauskopplung ab, die das Zeug zum Radiohit hat.
Wem das am Ende dann doch zu ruhig ist, dem empfehle ich “Pólýfónía”, das neue Album von Apparat Organ Quartet. Die fünf (nicht vier) Isländer machen mit vier Keyboards und einem Schlagzeug so viel Krach, dass es so mancher Rockband zur Ehre gereicht. Das macht beim Opener „Babbage“ direkt Spaß, erschöpft sich beim Hören auf die Dauer jedoch ein wenig. Dennoch sollte man unbedingt die Gelegenheit nutzen, die Band im September live zu erleben. Auf der Bühne wird jede Note von Hand umgesetzt, auf einer Sammlung zum Teil museumsreifer Synthesizer und Heimorgeln. Headbangen garantiert, ganz ohne Gitarren!
Alle drei Alben beweisen auf ganz unterschiedlicher Weise, wie lebendig und vielfältig die isländische Musikszene ist. Ob traurig oder albern oder irgendwo dazwischen. Wer sich zuletzt am Wochenende bei m Auftritt von Retro Stefson dazu hat hinreißen lassen mit der Band synchron zu tanzen und eine Polonaise zu machen, dürfte wissen, wovon ich spreche. Und während der Herbst unaufhaltsam näher kommt, träume ich vom dampfenden, heißen Wasser in der blauen Lagune. Mit dem passenden Soundtrack dazu.
Sóley „We Sink“ – seit 02.09. auf Morr Music
Helgi Jonsson “Big Spring” – ab 16.09. auf Finest Gramophone
Apparat Organ Quartet “Pólýfónía” – seit 02.09. auf Crunchy Frog
Gehört von: Gabi Rudolph
Sóley mit Sin Fang Live
14.09. München – Rote Sonne
15.09. Berlin – Berghain Kantine
16.09. Dresden – Scheune
Apparat Organ Quartet Live
18.9.2011 Volksbühne – Berlin
23.9.2011 Reeperbahn Festival
Helgi Jonsson Live
18.10.11 Dresden – Societätstheater
19.10.11 Erlangen – E-Werk
20.10.11 München – 59to1
21.10.11 A-Lustenau – Carinisaal
22.10.11 A-Graz – PPC
23.10.11 A-Wien – WUK
25.10.11 CH-Zürich – Exil
26.10.11 Heidelberg – Enjoy Jazz Festival @ Karlstorbahnhof
27.10.11 Wiesbaden – Schlachthof
28.10.11 Köln – Studio 672
29.10.11 Münster – Gleis 22
31.10.11 Hamburg – Molotow
01.11.11 Berlin – Roter Salon