Kasabian im Interview: „Am Ende des Tage ist es unser Humor, der uns zusammen hält“

Man möchte Hurra schreien, dass sich eine Band endlich mal wieder traut ein gepfeffertes Rock Album hinzulegen, das sich nicht vor eingängigen Melodien scheut. Mit ihrer neuen Platte „For Crying Out Loud“ hauen Kasabian ein Album raus, das einen buchstäblich von den Socken haut. Wer bei so viel Wums noch ruhig auf dem Stühlchen sitzen bleibt, ist selbst schuld. Man möchte wirklich laut weinen, allerdings vor Glück, dass es Bands wie Kasabian gibt, die den Mut haben kraftvolle Hooks zu basteln, die einfach nur gute Laune machen und einen dabei durch Mark und Bein fahren. Melodien, die einem ein Lächeln aufs Gesicht zaubern und man sich vom ersten bis zum letzten Ton nur noch tanzend fortbewegen möchte, egal wo man sich gerade befindet. Ich hatte das große Vergnügen, mich mit Sergio Pizzorno unterhalten zu dürfen. Er hat mir verraten, wie man es schafft, so viel Feelgood in feinste Rockmusik zu verpacken.

Gratulation zu eurem neuen Album. Da habt ihr ja ein echtes Brett hingelegt – und das sage ich jetzt nicht, weil ich nett sein will.

Oh wow, vielen Dank. Das nehme ich natürlich gerne als Kompliment.

„For Crying Out Loud“ hört sich einerseits nach ganz vielen Einflüssen an, wie Marc Bolan, The Beatles, auf der anderen Seite klingt es total nach Kasabian. Wie habt ihr diese Gradwanderung hinbekommen?

Ich glaube das liegt daran, wie wir die Songs angegangen sind. Wir haben viel von dem flamboianten Groove reingepackt, den Songs in den 70ern hatten, mit besonders kraftvollen Gitarren. Wir haben viele Elemente genommen, die die Songs in dieser Zeit hatten und unsere ganz eigene Version daraus gemacht. Mein Ziel war es von Anfang an, ein totales „Feelgood“ Album zu machen. Mir war wichtig, dass ein paar richtige Popsongs dabei sind. Ich meine jetzt nicht so einen ganz klassischen Popsong aber im Vergleich dazu, was wir in der Vergangenheit gemacht haben, sind wir schon zum Teil sehr poppig.

Ich finde das Album insgesamt sehr mutig, da ihr extrem eingängige Melodien verwendet, ohne dabei kitschig zu klingen. Eine ganz schöne Gradwanderung.

Das ist ganz genau der Punkt. Ich fand es aufregend „Back to the Roots“ zu gehen und Musik zu machen, wie zum Beispiel T Rex. Einerseits total gute Melodien, anderseits total cool. Selbst wenn du die Stooges und die Ramones nimmst, haben die eigentlich Pop gemacht. Dabei haben sie den richtigen Ton getroffen und etwas Brillantes geschaffen.

Ich habe bei eurem Album das Gefühl, dass ihr eine Art von Rock wiederbelebt, den man schon fast verloren geglaubt hat. Besonders in England hatte diese Art von Musik mal eine große Tradition und wird heutzutage immer noch abgefeiert. Aber keiner traut sich mehr, einen Refrain zu komponieren, den du auch noch in 10 Jahren mitsingen kannst.

Du sprichst mir aus dem Herzen (lacht). Genau das Gefühl hatte ich, ich wollte etwas machen, was irgendwie ein bisschen in Vergessenheit geraten ist. Dabei haben solche Songs so eine gute Qualität. Ich mag das Wort „Hymne“ nicht so richtig aber es geht in die Richtung. Ein Song, der einen guten Chorus hat, den man aus ganzem Herzen mitsingen kann. Das ist doch fantastisch, ich liebe dieses wunderbare Gefühl, das dabei entsteht.

Interessant, dass du Hymne sagst. Ich hatte bei dem einen oder anderen Song so ein Stadion Gefühl, vielleicht sogar Fußballstadion. Auf jeden Fall ganz viele Menschen, die zu euren Songs singen und Spaß haben.

Ach Wahnsinn, du triffst es genau auf den Punkt das ist exakt die Atmosphäre, die wir erzeugen wollen. Wir haben als Band viel live Konzerte vor riesigem Publikum erlebt. Wenn man es dann schafft, alle mit den Songs mitzureißen, so dass alle singen, das ist echt das Größte.

Bei dem letzten Interview, das ihr uns gegeben habt, zu euer Platte „48:13“, ging es darum, in welcher Situation man sie am besten hört, da habt ihr gesagt im Auto. Was ist für „For Crying Out Lound“ der beste Ort?

Wow! Der beste ultimative Ort? Ich glaube das wäre morgens um vier Uhr. Mit den Menschen, mit denen du am allerliebsten zusammen bist. In einem Raum, der nicht größer ist als dieser hier (zeigt durch das Hotelzimmer). Jemand macht die Musik an und die Stimmung wird ganz wild und ausgelassen und alle verlieren sich total in der Musik. In so einem Moment hat man so ein unglaubliches Zusammengehörigkeitsgefühl.

Oh ja, diese Momente kenn ich! (lachen) Das ist das Schöne an dem Album, weil es einen sofort eine unglaublich gute Energie gibt.

Ja, weißt du, wir leben in so einer verrückten Zeit. Ich kann mich kaum erinnern, wann das mal so krass war. Alles ist auf den Kopf gestellt, nicht nur in England, auch in Europa, von den USA gar nicht erst zu sprechen. Viele Bands haben das Gefühl, dass sie diese Stimmung jetzt aufnehmen und kommentieren müssen. Wir haben das in der Vergangenheit auch oft getan. Unsere Reaktion mit diesem Album ist genau das Gegenteil. Wir wollen einfach für einen Moment ein bisschen positive Energie und Hoffnung vermitteln. Wir hatten das Gefühl, dass die Menschen einfach mal ein etwas Spaß brauchen. Alle haben dieses bittere Gefühl, dass gerade verdammt noch mal etwas nicht stimmt, das muss man nicht auch noch verstärken. Wir wollen mit unserer Musik einfach einen Moment Freude und Unbeschwertheit schenken. So banal das vielleicht klingen mag.

Habt ihr das Album mit dieser vollen Absicht geschrieben?

Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich merke aber rückblickend, dass das genau der Auslöser für mich war. Ich wollte eine Gegenbewegung mit der Musik schaffen. Ich habe in Leicester im Studio mit der Gitarre gesessen, es war fast wie eine Intuition. Ich habe nicht mit einem Plan geschrieben, sondern mit einem Instinkt.

Das erinnert mich an das Flaming Lips Konzert, auf dem ich neulich war. Es war so eine unglaubliche Happy Show mit Glitter und Einhörnern, man ist mit einem fetten Grinsen rausgegangen. Wayne Coyne sagt über die Shows, er möchte die Menschen für einen Moment alles Schlechte vergessen lassen und einfach nur ein bisschen Freude verbreiten.

Oh toll, ich liebe diese Band. Ist das nicht fantastisch, wenn Musik solch guten Gefühle in dir wecken kann, obwohl du vielleicht noch fünf Minuten vorher schlecht drauf warst!? Ich liebe so was! Daran sieht man, welche Macht die Musik hat.

Mit Titeln wie „The Party Never Ends“ und „Bless This Acid House“ steht das Thema Feiern im Vordergrund. Ich kann mir euch allerdings gar nicht auf einer Acid House Party vorstellen, wurdet ihr in den 80ern und 90ern davon beeinflusst?

(lacht lauthals). Ich wollte damit eher eine Referenz schaffen. Ein bisschen wie bei den Ramones oder Buzzcocks, die über Rock n Roll singen, weil sie in den 50ern aufgewachsen sind. Sie haben diese Verbindung genutzt, um Songs zu schaffen wie „God Gave Rock n Roll To You“ (singt). Genau so wollten wir einen Song über die Musik machen, mit der wir aufgewachsen sind, ohne gleich einen Acid House Track zu machen. Es war mir wichtig, dass es ein Gitarren getriebener Song wird, der aber das Gefühl von damals vermittelt. Der Kontrast macht den Song aus.

Ich finde es erstaunlich, wie konsequent ihr Gitarren einsetzt und doch unglaublich tanzbare Songs fabriziert. Das hätte man ja eigentlich eher von eurem letzten Album erwartet, bei dem ihr wesentlich mehr mit Keyboards gearbeitet habt.

Ja das stimmt, wir haben aber auch in einem ganz engen Rahmen gearbeitet. Alles Songs mussten einen guten Groove haben, der dich in die Musik rein zieht. Alle Songs, die das nicht erfüllt haben, wurden in die Schublade gepackt. Es heißt ja nicht, dass die nicht gut sind, sie haben einfach nur nicht ins Konzept gepasst. Ich hatte ein starkes Bedürfnis nach unseren ganzen Gigs Musik zu machen, die einen in Bewegung versetzt, zu der man tanzen will.

Aber komischerweise gibt es solche Musik immer seltener.

Ja aber das ist doch absolut schade. Weil so eine Art von Musik einfach unglaublich viel Spaß macht. Ich kann es kaum erwarten, die neuen Songs live zu spielen. Wir haben damit so viele tolle Momente geschaffen, bei denen es auf einem Konzert total abgehen kann. Einfach alles raus lassen. Das ist doch großartig. Für die Band und die Fans.

Ihr seid eine ausgesprochene Live Band und berüchtigt für eure energetischen Konzerte. Habt ihr beim Schreiben schon im Kopf, wie sich die Songs live spielen lassen?

Wir lieben es live zu spielen. Die neuen Songs wurden am Piano und der Gitarre geschrieben, daher sind sie recht einfach zu lernen. Da gibt es keine komplizierten Algorithmen, die man erst mal austüfteln muss, um sie auf der Bühne zu spielen. Die Songs sind total straight, die meisten davon hatten wir in einer halben Stunde drauf. Das macht so ein Spaß, wenn man merkt, wie gut das funktioniert. Zu dieser Einfachheit zu kommen, ist allerdings ganz schön kompliziert. Trotzdem passen auch unsere alten Songs gut dazu. Ich bin besessen davon, einen guten Flow für eine Setlist zu kreieren. Da tüftle ich ewig daran rum. Das ist für mich wie in einem Hitchcock Film, bei dem man ganz genau jede Szene auswählt, für die perfekte Dramaturgie. Ich bewundere Bands wie Chemical Brothers, die wahnsinnig brillante Setls kreieren. Da sitzt jeder Song an der perfekten Stelle. Ich kann das nicht leiden, wenn eine Band meint, sie müsste total kreativ sein, und vor 80.000 Fans eine B-Seite spielen. Hey Fuck it, das funktioniert doch nicht. Das kann man in einem kleinen Club machen, dann ist das super, aber nicht bei einem riesigen Konzert. Wenn ich dann den richtigen Flow gefunden habe, ich kann dir gar nicht sagen, was ich dann für Glücksgefühle habe. Ich bin da wirklich besessen von.

Das heißt du würdest niemals eine Setlist während einer Tour ändern, wie das zum Beispiel Bands wie Arcade Fire, Radiohead oder Jack White machen?

Oh doch, das bekommen wir auch hin, vielleicht nicht so extrem wie andere Bands. Wir haben etliche Songs, die wir auf unterschiedliche Weise spielen können. Das heißt, wir spielen zum Beispiel ein Ende anders, trotzdem bleibt in sich die Dramaturgie perfekt. So haben wir auch Flexibilität und können uns der Stimmung anpassen. Ich mag das total, wenn man mehrmals ein Konzert sieht und es ist immer wieder anders. Vielleicht spielen sie beim zweiten Mal genau diesen einen Song, auf den du gewartet hast und du bis tota überrascht und denkst, Fuck ist das Geil.

Du sagtest eure Songs haben ganz einfache Strukturen.

Ja, sie sind wie Motown Songs aufgebaut.

Das heißt aber, dass sie nicht nur opulent instrumentiert funktionieren sondern auch akustisch?

Das funktioniert 100 % mit den Songs. Ich würde wahnsinnige gerne ein paar Akkustik-Sessions machen, ich glaube das wird ganz wunderbar funktionieren. Es ist so faszinierend, wie man mit den gleichen Songs so ganz unterschiedliche Atmosphären kreieren kann. Da hast du mich jetzt auf eine Idee gebracht. Da hätte ich absolut Lust zu.

Habt ihr eure erste Single „In Love With A Psycho“ gewählt, weil sie symbolisch für das ganze Album ist?

Ja, die Nummer fühlt sich einfach super an. Ein toller Chorus, der ganze Song hat Größe. Ich weiß, das hört sich jetzt ein bisschen arrogant an, so etwas über seine eigenen Nummer zu sagen. Ich habe aber jedes mal ein fettes Grinsen auf dem Gesicht, wenn ich den Song höre. Es ist genau diese fröhliche Stimmung, die das Album ausstrahlen soll. Wir machen uns ein bisschen über Beziehungen lustig.

Wer genau ist dieser Psycho?

Das ist genau das Ding (lacht). Jeder kennt jemanden, mit dem er den Song assoziieren kann. Freunde haben mich sogar gefragt, „hey, meinst du mich?“ Das ist das Tolle, jeder hat sofort seine eigene Assoziation.

Du hast das Album genau wie das letzte auch wieder produziert? Ist das nicht anstrengend und kompliziert alles in Personalunion zu machen?

Es war dieses Mal überhaupt nicht notwendig mit einem Produzenten zu arbeiten. Ich hatte so eine klare Vision, wie das Album klingen soll. Ich wusste ganz genau, was ich zu tun habe und habe mich mit dem Prozess total wohl gefühlt. Jemanden in den Prozess rein zu bringen, wäre in diesem Fall reine Zeitverschwendung gewesen. Vielleicht macht es beim nächsten Album wieder Sinn, mal schauen.

Für dich war 2016 ein tolles Jahr. Du hast unter anderem geheiratet und hast dich einfach gut gefühlt, wie du mal gesagt hast. Für Tom hingegen lief es nicht so gut. Er hat einen ganz engen Freund verloren und hatte nach eurer letzten Tour mit Depressionen zu kämpfen. Wie schafft man es in so unterschiedlichen Situationen eine gemeinsame Linie für ein neues Album zu finden? Dazu noch eins, was so positiv ist?

Für mich hat es meine Gefühle widergespiegelt und Tom hat es geholfen, seine schwierige Phase zu überwinden. Tom hat das Album gerettet, ich glaube er wäre sonst noch tiefer gefallen und immer weiter in seine düstere Welt abgetaucht. Das Album und die Art der Musik hat ihm geholfen.

Wow, da bekomme ich Gänsehaut. Musik hat, zumindest in diesem Fall, also einen heilenden Effekt?

Absolut! Daran glaube ich ganz fest. Daher hat das Album für uns beide eine ganz besondere Bedeutung. Auch wenn wir uns beide in ganz unterschiedlichen Welten befunden haben, hat uns das Album noch enger zusammen gebracht.

Wie schafft man es überhaupt über so einen langen Zeitraum und allen Höhen und Tiefen eine Freundschaft zu erhalten?

Am Ende des Tage ist es unser Humor, der uns zusammen hält. Wir schaffen es, uns gegenseitig zum Lachen zu bringen.

Ein schöneres Schlusswort kann man gar nicht finden. Vielen Dank für das tolle Gespräch und viel Erfolg für das tolle Album.

Man sollte sich auf keinen Fall diese fulminante Live Band entgehen lassen, daher am besten jetzt schon mal Termine eintragen und Tickets sichern.

30.10.2017 München, Tonhalle
31.10.2017 Berlin, Columbiahalle
01.11.2017 Hamburg, Mehr! Theater am Großmarkt
07.11.2017 Köln, Palladium

VÖ: 05.05.2017

Interview: Kate Rock

Foto © Sony Music

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