Julien Doré im Interview: „Der erste Moment, in dem man einander nackt sieht…“

Julien Doré ist zum ersten Mal in Deutschland. Das ist schon fast ein bisschen erstaunlich, denn in seiner Heimat Frankreich ist er ein echter Superstar. Seit er 2017 die fünfte Staffel der Casting Show „Nouvelle Star“ gewonnen hat, war sein Erfolg in der Heimat kaum aufzuhalten. Eine wirklich erstaunliche Karriere wenn man bedenkt, wie schnell die meisten Gewinner derartiger Formate vor allem hierzulande wieder in der Versenkung verschwinden. Julien Doré hingegen hat in den letzten zehn Jahren vier Studioalben veröffentlicht und füllt bei seinen Konzerten ganze Stadien. Jetzt ist es soweit und wir dürfen ihn auch endlich hier in Deutschland näher kennenlernen. Sein fünftes Album „Vous & Moi“ erscheint am 11. Mai 2018, eine Art Best Of Album im akustischen Gewand. Kürzlich war Julien deshalb im Rahmen einer kleinen Promoreise zum ersten Mal in Deutschland und ich hatte das Vergnügen, mich mit dem liebenswerten Barden unterhalten zu dürfen. Auf Englisch, wohl gemerkt, was ihm laut eigener Aussage noch etwas schwer fällt. Merkt man natürlich nicht, denn auch diese Aufgabe, wie wahrscheinlich so ziemlich alles im Leben, meistert Julien Doré mit seinem ganz besonderen Charme.

In deiner Heimat Frankreich bist du ja ein richtiger Superstar. Ich stelle es mir sehr spannend vor wenn du in ein Land wie Deutschland kommst, wo man dich noch nicht so kennt. Das muss doch sehr aufregend sein.

Ja! Weisst du was, du bist die erste hier in Deutschland, die das so positiv formuliert – es ist neu für dich, also muss es aufregend sein. Die meisten sagen, das muss doch komisch für dich sein, wenn du hierher kommst und niemand kennt dich, wo du doch den großen Erfolg gewöhnt bist. Nein, es ist wirklich sehr aufregend! Wenn du Musik von Herzen machst, dann geht es dir nicht in erster Linie um den Erfolg. Ich schreibe Songs, weil ich es tun muss um zu leben! Du musst immer du selbst sein. Ich glaube, einigen französischen Künstlern würde es gut tun wenn sie sich etwas bewusster machen würden, dass sie ein paar Kilometer weiter einfach niemand mehr kennt. Als Mensch muss ich immer in Bewegung sein, das ist der Motor für mich als Künstler.

Ich denke es kann nur gut sein für die künstlerische Entwicklung, wenn man an einem Ort ganze Stadien füllt und an anderen in kleinen Clubs spielt. Das ist doch auch ein bisschen Luxus.

Auf jeden Fall. Ein Song sollte einem Menschen ein Gefühl geben. Im besten Fall ganz unabhängig davon, wo man ihn hört. Ein guter Song funktioniert überall. Ich schreibe meine Songs auf französisch. Trotzdem können sie auch Leuten ein Gefühl vermitteln, die nicht französisch sprechen. Meine Songs brauchen kein Stadion, einfach nur einen Ort, an dem die Gefühle sich entwickeln können. Das ist alles. Ich muss unbedingt zurück nach Deutschland kommen und Shows spielen. Wir arbeiten daran, es ist der nächste Schritt. Jetzt bin ich erst einmal hier und sage: (auf Deutsch) Hallo, ich bin Julien Doré…

Oh, wie gut du Deutsch sprichst!

Das war dann aber auch mein kompletter Wortschatz (lacht). Ich möchte den Leuten zeigen wer ich bin. Das bin ich, das sind meine Songs. Wenn ich zurück komme hoffe ich auf einer Bühne zu stehen. In einem kleinen Club, in einer Bar, irgendwo! Mit meiner Gitarre und meinem Klavier, vielleicht mit einem Teil meiner Band. Einfach nur das tun, was ich am liebsten tue. Die Bühne ist der perfekte Ort für mich. Dort fühle ich mich am meisten bei mir selbst, es geht mir dort besser als im wahren Leben. Ich kann alle Kleider fallen lassen. Also nicht im wörtlichen Sinne, nackt mache ich mich eher nicht (lacht). Aber im wahren Leben bin ich viel ängstlicher als auf der Bühne.

War das schon immer so?

Ja, so lang ich denken kann. Ich bin sehr sensibel und finde es heutzutage in dieser Welt sehr erschreckend, erwachsen zu sein. Als Kind hat man viele Träume, nichts ist unmöglich. Meine Eltern haben mir als Kind nicht die ganze Wahrheit über diese Welt gesagt – zum Glück! Man muss seine eigenen Gefühle dazu entwickeln. Aber wenn man sehr sensibel ist, dann ist es oft schwierig. Zum Glück habe ich die Musik entdeckt. Durch sie fühle ich mich lebendig, ich kann durch sie das Kind bewahren. Musik schickt einen zurück zu den Glückszuständen, die man als Kind hatte. Das ist etwas seltenes. Nur die Kunst und die Liebe schaffen das.

Erinnerst du dich an ein frühes, prägendes Erlebnis, das mit Musik zu tun hat?

Ja (lacht). Ich schwanke gerade zwischen Charles Aznavour und Michael Jackson. Ok, ich glaube die Michael Jackson Geschichte ist besser. Als ich ein Kind war, hat meine Großmutter die Ballettklassen an einer großen renommierten Tanzschule in Frankreich geleitet. Als Kind bin ich im Sommer immer mit ihr gegangen. Ich habe es geliebt, die ganzen Tanzschülerinnen… (lacht). Ich erinnere mich, dass ich damals eine Michael Jackson Choreografie einstudiert habe, ich war großer Fan. Die Mädchen waren schon Teenager, und eines Tages sagte eine von ihnen: Julien kann wie Michael Jackson tanzen. Macht die Musik an, er soll es uns zeigen! Es waren 20 oder 30 Mädchen… ich war schrecklich schüchtern. Ein sehr wichtiger Moment in meinem Leben. Ich wäre am liebsten weg gerannt, aber ich habe es getan! Ich habe mein ganzes Herz in diesen Moment gelegt. Und am Ende haben alle applaudiert. Ich war so stolz! Selbst heute wenn ich es dir erzähle frage ich mich, wie ich das geschafft habe. Eigentlich geht es mir immer noch so, bevor ich auf die Bühne gehe. Dann erinnere ich mich immer an diesen Moment. Ich glaube, mein Leben wäre nicht so wie es heute ist, wenn ich mich damals nicht überwunden hätte. Und schau dir an, was seitdem alles passiert ist! Ich war in Japan mit meiner Musik. Jetzt bin ich hier in Deutschland, zum allerersten Mal in meinem Leben.

Wirklich, du bist zum ersten Mal in Deutschland?

Zum allerersten Mal! Und ich wollte schon lange her kommen. Deutsche Kunst, deutsche Literatur, deutscher Rock’n Roll, das interessiert mich alles sehr. Deutsche elektronische Musik! Ich schaue viele Sendungen auf Arte. Jetzt bin ich nur ein paar Tage hier, nächstes Mal habe ich hoffentlich mehr Zeit und kann noch andere Dinge machen als mein Englisch trainieren und über meine Musik reden (lacht).

Dein nächstes Album wird eine Sammlung von Akustikversionen deiner Songs.

Ja, ich habe ein paar Songs ausgewählt und sie mir noch einmal vorgenommen. Wenn jemand Zuhause an deiner Tür klingelt möchtest du wissen, wer diese Person ist. Es ist wie gesagt mein erstes Mal in Deutschland und ich habe das Gefühl, dass niemand mich kennt. Ich glaube, auf diese Weise kann ich mich gut den Leuten vorstellen. Nur Klavier, Gitarre und meine Stimme. Wenn es ihnen gefällt, freue ich mich sehr wiederzukommen. Wenn nicht habe ich es zumindest versucht. Aber ich habe mich zumindest so pur wie möglich vorgestellt, ohne unnötige künstliche Filter.

Wie war das, mit diesen Songs noch einmal zu arbeiten? Hast du sie auf diese Weise noch einmal neu entdeckt?

Es war als würde ich sie zum ersten Mal völlig nackt sehen. Auf dem ursprünglichen Album, auf Tour ziehe ich ihnen viele Klamotten an. Als ich sie damals an meinem Keyboard komponiert habe, waren sie wie ein frisch geborenes Baby. Dann nimmt man sie auf, hat Ideen, Ideen, Ideen. Auf Tour verändern sie sich dann noch einmal. Ein Song hat dadurch sieben Leben. Jetzt ist es als würde ich zurück zu meinem Klavier oder zu meiner Gitarre kehren. Es ist wie in der Liebe, man kennt jemanden so gut, man hat das Gefühl man weiß alles von ihm. Aber der erste Moment, in dem man einander nackt sieht… es gibt nichts Größeres. Mit meinen Songs ist es ähnlich. Und gleichzeitig ist es als würde ein Kreis sich schließen. Das Ende einer wunderbaren Geschichte und gleichzeitig der Beginn von etwas völlig Neuem.

Hat man dir eigentlich gesagt, dass du mehr Leute erreichen würdest, wenn du auf Englisch singen würdest? Ich höre das immer wieder von Künstlern, wenn sie den internationalen Markt erobern wollen.

Nein. Ich könnte auch nie so kalkuliert an etwas heran gehen. Ich möchte nie alles kontrollieren, sondern einfach nur Dinge ausprobieren. Als Künstler muss man in Bewegung bleiben. Kontrolle ist ein großes Problem in der Industrie, davon muss man sich frei machen. Mir ist das alles egal. Ich begebe mich lieber in Gefahr und warte ab was passiert. Aber wer weiß, das sagen ich jetzt. Vielleicht mache ich in fünf Jahren ein englisches Album, weil ich unbedingt ein Duett mit Beyoncé machen möchte (lacht). Das ist aber auch ein bisschen Geschmacksache. Wenn ich einen englischen Song höre und den Künstler nicht kenne, dann weiß ich nicht, woher er oder sie kommt. Ich mag es, wenn ich etwas über die Herkunft der Musik erfahre, wenn sie ein bestimmtes Couleur hat. Jeder kommt irgendwo her und hat seine eigene Geschichte. Ich finde es schön, wenn man das in der Musik hört.

Interview: Gabi Rudolph
Fotos: Goledzinowski

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