Interview mit Tina Dico

Tina Dico zum Interview zu treffen hat inzwischen schon etwas von einem regelmäßigen Catch-Up-Date. Bei unserem letzten Termin vor noch nicht einmal zwei Jahren lag ein frisch geborenes Baby auf dem Hotelbett. Heute wartet nebenan bereits das zweite Kind, die Tochter von Tina und ihrer privaten wie musikalischen Liebe Helgi Jonsson. Im Gegensatz zu unseren beiden ersten Interview Begegnungen ist Helgi diesmal nicht dabei. Wir kichern erst einmal eine Runde wie zwei Frauen, die sich endlich einmal in Ruhe unterhalten können. Ein zweites Kind, ein weiteres Album. Und trotzdem wirkt Tina wieder einmal, als könne sie die Weltkugel auf einer Fingerspitze balancieren. Bis vielleicht auf den kleinen Milchfleck auf ihrer Bluse. Aber der macht sie höchstens noch charmanter – sofern das überhaupt möglich ist.

Ich bin immer wieder beeindruckt davon, wie du das alles machst. Nicht nur hast du in den letzten Jahren relativ kurz hintereinander zwei Kinder zur Welt gebracht, sondern mit jedem Kind kam auch gleich ein neues Album…

Ja, ich bin eine vielbeschäftigte Frau… und dann auch wieder nicht. Fakt ist, nichts von dem wäre möglich, wenn Helgi und ich nicht privat und als Arbeitsteam so eng verbunden wären. Auf Tour zu gehen zum Beispiel ist nur möglich, weil wir es alle gemeinsam tun können. Am Ende ist es gar nicht so schwer, wir haben immer einen Babysitter dabei und verbringen viel Zeit miteinander, schließlich sind wir nur abends für ein paar Stunden auf der Bühne. Zuhause haben wir ein großartiges Studio, direkt bei uns im Haus. Wenn die Inspiration uns trifft, können wir uns jederzeit hinsetzen und etwas aufnehmen. Es ist verrückt, dass wir in der Lage sind, so etwas zu machen.

Aber Kreativität ist ja auch nicht etwas, das man nach der Uhr steuern kann. Ich finde es faszinierend, dass du dir immer die Energie und Inspiration bewahrst, etwas Kreatives zu schaffen. Als zweifache Mutter weiß ich selbst, wie schwer das sein kann.

Es ist schwer. Ich finde es manchmal auch hart. Den größten Teil dieses Albums haben wir zum Glück fertig bekommen, bevor das zweite Kind da war. Mit zwei wird es bestimmt noch schwerer, in einen kreativen Fluss zu kommen. Aber grundsätzlich ist heute meine Art Musik zu schreiben, Ideen zu finden und ihnen ihren Lauf zu lassen nicht anders als damals, als ich noch keine Kinder hatte. Das hat mich sehr überrascht, ich dachte, alles würde anders sein. Und dass ich in den letzten Jahren so aktiv war – ich habe ja wirklich sehr viel Musik geschrieben und veröffentlicht – hing auch damit zusammen, dass ich oft an Orten war, an denen ich kein besonders aktives soziales Leben hatte. In London war das zum Beispiel so. Ich hatte viel Zeit für mich selber und habe mich von der großen Stadt sehr inspiriert gefühlt. Das ist heute gar nicht so viel anders. Jetzt lebe ich in Island und habe diese unfassbare Natur um mich herum und damit dieses sehr inspirierende Gefühl, dass ich klein bin und alles um mich herum wahnsinnig groß. Bis jetzt habe ich dort auch noch kein ausgeprägtes soziales Leben, weshalb mir trotz allem viel Zeit für mich bleibt. Wenn ich zum Beispiel in Kopenhagen bin, bin ich dagegen permanent damit beschäftigt, die Lage der Welt in Cafés auszudiskutieren. Mit irgend jemandem kann man sich dort immer auf einen Kaffee treffen. In Island habe ich noch nicht so viele Freunde, das hat eine Vor- und Nachteile. Für den kreativen Prozess ist es gut.

Auf deinem neuen Album „Whispers“ hat sich im Vergleich zum Vorgänger ja wieder einiges verändert. Du bist wieder mehr zu den zurückhaltenden Arrangements zurück gekehrt, hauptsächlich deine Stimme und deine Gitarre.

Wir wollten es diesmal so einfach wie möglich halten. Ursprünglich wollten wir sogar ein Album komplett nur mit Gitarre und Stimme aufnehmen. Aber am Ende ist es dann natürlich doch nicht so gekommen. Sobald man einmal im Studio ist, hat man so viele Ideen. Lass uns doch noch ein paar Drums dazu nehmen! Okay, aber wir wollten eigentlich keine Drums… Ja, aber wie cool würde es klingen…! (lacht)

Ich war wirklich neugierig, wohin die Reise nach deinem letzten Album gehen würde. Vielleicht muss man sich die Freiheit nehmen, einmal all diese verschiedenen Klangschichten drüber zu legen, mit dem Sound zu experimentieren, um hinterher es richtig auszukosten, sie wieder weg zu nehmen. Und trotzdem klingt das neue Album immer noch anders als alles früheren.

Ja. Ich glaube, es kommt und geht in Wellen. Wenn man etwas sehr Schlichtes gemacht hat, überkommt einen danach oft die Lust, wieder einen verspielteren Sound auszuprobieren und umgekehrt. (überlegt lange, seufzt) Es ist eine unglaubliche Reise. Aber ich denke, dieses Album knüpft doch sehr an meinen ursprünglichen Ausgangspunkt an. Ein Mädchen mit einer Gitarre. Traditionelles Songwriting. Aber du hast recht, manchmal muss man sich die Freiheit nehmen mit dem Sound zu experimentieren, um hinterher festzustellen, es ist genauso schön, wenn man alles wieder weg nimmt. Es ist schwierig, die Dinge schlicht sein zu lassen. Auch im Leben! Man hat so viele Möglichkeiten. Das ist es, was mich an Musik fasziniert. Du kannst ein wahrer Virtuose auf deinem Instrument sein – und am Ende brauchst du vielleicht nicht mehr als zwei Noten, um zu sagen was du sagen möchtest. Das ist die Kunst, auch im Leben. Zurücktreten zu können und zu entscheiden, das sind die zwei Dinge, die wirklich nötig sind.

Stimme und Gitarre.

Genau. Und vielleicht ein klein wenig Schlagzeug (lacht).

Es ist aber auch faszinierend, wie groß die Songs auf deinem neuen Album trotzdem klingen. Man hat das Gefühl, man hört ein komplettes Orchester, dabei ist da gar nicht viel. Und was mir wieder auffällt ist, dass es bei jedem neuen Album so wirkt, als wäre deine Stimme wieder etwas tiefer in deinem Körper gesackt.

Ich glaube, dadurch klingen die Songs größer. Und durch Helgis Arbeit im Studio. Er ist so gut darin, Sounds zu kreieren, die auf sämtlichen Frequenzen klingen. Wir Sänger streben ja eher an, so hoch wie möglich zu singen. Hoch singen ist irgendwie nicht so prestigeträchtig wie tief singen. Als Teenager habe ich mich so oft über meine Stimme geärgert, weil ich nicht hoch singen konnte. Als junge Frau will niemand eine tiefe Stimme haben. Jetzt, mit den Jahren, lerne ich es zu schätzen, dass meine Stimme tief ist. Sie fühlt sich dort einfach am meisten Zuhause, wenn ich sie nicht zwinge, etwas zu tun, das nicht entspannt für sie ist. Dadurch entsteht für den Zuhörer mehr der Eindruck einer Frau, die mit sich selber im Reinen ist. Für mich fühlt es sich zumindest so an. Hinzu kommt… ich weiß nicht, ob du weißt, wie die Arbeit an diesem Album ursprünglich begonnen hat.

Du hast an einem Soundtrack gearbeitet.

Genau. Deshalb hatte ich beim Schreiben einiger Songs immer eine Männerfigur im Kopf.

Das ist mir auch aufgefallen. Die Songs sind zum Teil Liebeslieder an eine Frau.

Es war eine sehr spannende Erfahrung. Der Regisseur des Films (Anm: Pernille Fischer Christenen, Regisseur des Films „En sång från hjärtat“) hat mir viele dänische Texte geschickt, Worte aus dem Kopf des Mannes, von dem er erzählt. Ich habe mir daraus die gepickt, die mich irgendwie angesprochen haben. Dadurch sind meine Texte entstanden, so persönlich und ehrlich, wie ich sonst auch schreibe, mit dem Unterschied, dass ich mir vorgestellt habe, jemand anders würde sie singen. Ich dachte auch erst gar nicht, dass ich die Lieder selber singen würde. Die Freiheit, die daraus entstanden ist, war eine große Überraschung. Offensichtlich gibt es immer noch Unsicherheiten und Eitelkeiten die mir im Weg stehen, wenn ich Songs dafür schreibe, sie selber vor Publikum zu singen. Das ist dieses Mal komplett weg gefallen. Ich versuche ja immer, mit schonungsloser Wahrheit an die Dinge ran zu gehen, exakt auf den Kopf zu treffen, wer ich als Person bin. In dieser Beziehung loszulassen war eine sehr befreiende Erfahrung.

Hast du vorher noch nie für eine andere Person einen Song geschrieben?

Nein, immer nur für mich. Ich habe schon Songs, die ich für mich selber geschrieben habe und dann nicht benutzt habe anderen gegeben, aber so habe ich noch nie gearbeitet. Es war wirklich interessant. Ich habe mich nicht verstellt, im Gegenteil, es war, als würde eine noch freiere, noch ehrlichere Version meiner Selbst dabei raus kommen. Ohne dass ich versuchen musste, etwas über mich selbst zu erklären. Ich habe einfach die Musik angenommen, die zu mir gekommen ist. Und die Themen sind trotzdem universell, sie betreffen mich genau so wie jeden anderen Menschen. Im Prinzip sind alle Songs auf dem Album Liebeslieder. Die Inspiration, über Liebe zu schreiben ist auch dadurch wieder zu mir gekommen. Ich habe das lange nicht getan.

Ich habe sogar nachgeguckt, auf keinem deiner Alben kam das Wort „Love“ allein so oft in den Songtiteln vor wie auf diesem.

Das stimmt. Ich habe nicht nachgezählt, aber… du hast recht. Ich denke, das kommt daher, dass ich in meinem Leben noch nie in einer Situation war, die mich so dazu inspiriert hat über Liebe zu schreiben wie im Moment.

Und trotz deiner persönlichen Zufriedenheit deckst du thematisch alle Aspekte der Liebe auf diesem Album ab, nicht nur die positiven Seiten. Das Album ist emotional schwer einzuordnen, zum Teil ist es sehr düster.

Absolut. Das kommt daher, dass ich das alles ja in mir trage. Alles, was ich in meinem Leben erlebt habe, auch die Enttäuschung und die Trauer, die es nun mal gibt da draußen. Und ich erachte es nicht als selbstverständlich, dass ich das nie wieder erleben werde. Es geht nicht darum zu sagen: „Seht mich an, ich bin glücklich!“ Es geht um die Wege zwischen den einzelnen Zuständen. Was war, was ist und was vielleicht kommen mag. Alles ist immer da.

Interview: Gabi Rudolph