Interview mit Liima

Liima_2016_-_Credit_Thomas_M._Jauk_03Es ist immer etwas Besonders, wenn ein Interview nicht in einem schnöden Konferenzzimmer oder in irgendeinem Raum im Backstage stattfindet, sondern im Studio der Band, wie bei meinem Interview mit Liima. Schon Tage vorher grübelt man wie es dort wohl aussieht und dann steht man vor einer grauen Hausfassade irgendwo im Berliner Stadtteil Weissensee und warten auf Einlass. Ist es ein dunkler Keller? Eine Wohnung? Nein, im Hinterhof steht ein einzelnes, kleines Häuschen. Die Tür geht auf und man steht direkt vor einem Bett, das von unzähligen Instrumentenkoffern umgeben ist und eine Küchenzeile gibt es auch noch.

Die Band wartet im Obergeschoss. Im Hinterend Teil des Zimmers sieht man nur Kabel und Computer und irgendwelche Insturmente. Während Rasmus Stolberg in Kopenhagen weilt, sitze ich mit Mads Brauer, Tatu Rönkkö und Casper Clausen an einem Tisch. Die drei beantworten meine Fragen über ihr aktuelles Album „ii“ und dessen Entstehungsprozess, bis wir zu den Songs „Amerika“ und „Russians“ und deren Bedeutung für mich kommen und schlussendlich Amerika thematisieren. Viel Spaß beim Lesen!

Ich war recht überrascht zu lesen, dass ihr in vier verschiedene Städte gefahren seid um eure Samples zu erstellen.

Tatu: Das Projekt hat mit dem Finnischen Teil angefangen als Casper, Rasmus und Mads von einem kleinen Chamber Music Festival eingeladen wurden und mich mitgenommen haben. Es war ihr erster längerer Besuch in Finnland. Es machte Sinn sie mit raus in die Natur zu nehmen und so haben wir dann auch den ersten Ort gefunden. Es war eine Sommerhütte, in der wir 10 Tage zusammen verbracht haben. Dann kam Berlin, weil wir fühlten, dass wir gute Musik zusammen gemacht haben und eine spaßige Woche hatten. Wir wollten das weiterführen. Wir beschlossen es uns dann einfach zu machen und da die meisten von uns in Berlin beheimatet sind, machten wir es genau hier in diesem Raum. Wir wollten mehr Material komponieren und dachten, dass wir noch mehr dran arbeiten müssen – immer an einem anderen Ort und in einem intensiven Zeitraum wie eine Woche oder 10 Tage. Alles würde vor Ort kreiert werden, dann vielleicht eine Performance, aber eben keine Arbeit mehr außerhalb dieser Zeitspanne. Die letzten beiden Orte für dieses Album waren Einladungen zu verschiedenen Festivals. Eins war in Istanbul. Ein paar nette Leute stellten uns einen Club zur Verfügung, in dem wir eine Woche arbeiten konnten. Ein Freund von uns, Pedro, ein Portugiese, nahm uns mit nach Madeira. Wir mochten die Idee sehr, weil wir gerade vorher in einem verregneten und verschneiten Januar in Istanbul waren. Wir haben daran sehr kalte Erinnerungen.

Wie hat sich die Zusammenarbeit verändert – ihr, Casper, Mads und auch Rasmus, arbeitet ja schon sehr lange miteinander und jetzt kam Tatu dazu. Ich nehme an, dass ihr schon eine bestimmte Art habt miteinander zu arbeiten.

Mads: Natürlich kennen wir uns schon sehr lange und es gibt Angewohnheiten in die wir zurückfallen, aber der Fakt, dass wir unsere Instrumente hingelegt haben, ändert schon was. Das haben wir in Efterklang seit vielen, vielen Jahren nicht mehr gemacht. Das war eine neue Herangehensweise, wie auch nur einen begrenzten Zeitraum zu nutzen und Tatu und Rasmus dabei zu haben. Rasmus lebt in Kopenhagen und verbringt nicht viel Zeit mit uns im Studio, er produziert eher von außen. Unsere Meinungen hatten alle das gleiche Gewichen, wenn es darum ging was wir machen, wenn wir improvisiert hatten, es anschließend anhörten und überlegten, ob etwas nicht so gut ist oder wir an einem Stück weiterarbeiten würden. Dann versuchen wir es nochmal zu spielen und wenn es klappt, dann gucken wir wie es weitergeht. Das ist der Liima Prozess. Bei Efterklang geht es mehr um große Ideen, wie hier könnte noch ein Chor einsetzen oder so. Wenn man es in dem Moment noch nicht hat, dann kann man es noch organisieren. Bei Liima muss es direkt gemacht werden, da gibt es dann keinen Chor. Wir benutzen stattdessen was anderes. Es ist ein ganz anderer Prozess und deswegen besteht auch keine große Gefahr in alte Muster zurückzufallen.

Ich denke, dass es trotz Rasmus, Tatu und euch vier in einem Raum schwer sein kann sich zu ändern.

Mads: Ich denke, Tatu ist sehr gut darin. Es ist eine unglaublich schwere Situation in eine Kollaboration einzutreten, die schon seit 15 Jahren besteht, und seinen Weg zu finden. Vom ersten Tag an war Tatu sehr klar darüber, dass es darum geht etwas Neues zu machen und nicht nur Efterklang mit Tatu.

Tatu: Ich war schon eine ganze Zeit der Tourdrummer von Efterklang. Da hatten wir immer auch einen Moment auf der Bühne, in denen wir für fünf Minuten beim Outro eines Songs improvisiert haben. Wir haben ziemlich schnell herausgefunden, dass wir auf dem gleichen Level sind, wenn es darum ging mit Musik zu experimentieren. Wir haben die gleiche Sprache gesprochen. Es war einfach natürlich damit anzufangen zusammen Musik zu machen. Ich hatte keine großen Erwartungen, ich wusste nicht, wie der erste Aufenthalt in Finnland sein würde. Es war einfach nie ein Thema, nichts worüber wir sprechen wollten. Wir spielten nur und dann ist Musik passiert. Casper hat mir oft erzählt, dass er bevor wir angefangen haben zusammen zu arbeiten bzw. zu spielen, nicht viele Improvisationen gemacht hat. Ich denke aber dass Mads, Casper und Rasmus offene, vielseitige Musiker und unglaubliche Improvisatoren sind. Man muss nicht 10 Jahre lang Free Jazz gespielt haben, es ist nicht die einzige improvisierte Musik.

Ich habe gelesen, dass die Sachen aus Istanbul etwas düsterer waren, weil es dort so düster war und in Madeira war es sonniger und das Material entsprechend fröhlicher – hat euch das selber überrascht, dass es so einen großen Einfluss hatte?

Tatu: Über so etwas denkt man nicht nach oder man realisiert es völlig. Man merkt es erst, wenn man zurückblickt. Erst wenn man zurückblickt, sieht man all die Szenarien und die wunderbaren Menschen, die sich um uns in Madeira gekümmert haben. Wir waren davon begeistert in Flip Flops und Shorts rumlaufen zu können und für eine Woche freie Getränke und Essen zu kriegen. Wir fühlten uns sehr willkommen. Das beeinflusst es, aber es ist nichts was man einkalkuliert, drüber nachdenkt oder plant.

Casper: Der unterschied mit Liima ist, dass wir auf die Geburt der Songs zurückblicken können. Es ist ein bedeutsamer Fakt, dass wir genau wissen wo jeder Song auf dem Album entstanden ist. Aber nicht nur das, wir wissen auch wie sie entstanden sind, ihren Ursprung. Das geht ansonsten manchmal verloren, wenn man Songs schreibt. Besonders am Computer achtet man nicht immer drauf, ob es mit einem Piano angefangen hat oder ob ich irgendeine Idee hatte.

Man hat ja auch viel mehr Zeit Ideen zu sammeln bevor man einen Schritt weiter geht.

Casper: Bei Liima geht es darum diese eine gute… Idee ist nicht das richtige Wort, aber dieses eine gute Ding zu verfolgen, das passiert, wenn wir spielen. Dann versuchen wir es zu reproduzieren, darauf eine Struktur zu legen, wenn wir mögen was wir da fabrizieren. Es ist also recht einfach zu wissen wo sie angefangen haben. Es geht nicht verloren. Das ist etwas das ich als sehr besonders empfinde, auch in dem Sinne wie es von einem Ort beeinflusst wird. „Amerika“ fing auf einer BBQ Party an. Ich glaube, wir hörten so etwas wie Boards of Canada und da gab es diesen coolen Beat. Da wollten wir dann am nächste Tag drauf zurückkommen. Ich glaube, Tatu schrieb ihn auf einem Stück Papier auf. Am nächsten Tag haben wir dann angefangen es zu spielen und rumzuprobieren, unsere Stimmen auf Samples zu packen und so weiter. Es formte sich langsam. Es ist ganz interessant, dass es gerade in Madeira angefangen hat – es ist ja ziemlich  nah an Amerika. Plötzlich war einfach was da und wir erinnern uns alle wir es zustande gekommen ist.

Was ich persönlich ganz amüsant fand war, dass ihr zwei Songs nach „Amerika“ einen Song mit dem Titel „Russians“ auf dem Album habt. Für mich werden die Länder mit ihren Songs perfekt widergespiegelt. „Amerika“ klingt im ersten Moment fröhlich, während es bei „Russians“ diesen Parademoment gibt. Für mich ist das sehr interessant. Hier kommt jetzt auch kein Fragezeichen mehr.

Casper: „Russians“ wurde in Berlin gemacht.

Das passt ja, immerhin sind wir hier im ehemaligen Sowjet-Teil von Berlin.

Casper: Der fing mit dem Vers/Chorus an und nicht mit Parademusik. Wir dachten, es sei irgendwie zu smooth und wollten was verändern. Als wir damals mit Efterklang in Piramida waren, fanden wir diese alten Sovjetplatten und sampelten sie. Wir hatten einen kleinen transportablen Plattenspieler dabei. Sie lagen jetzt eine zeitlang im Büro rum. Wir fanden das eine Stück, das kurioserweise passte: das Tempo, der Key und so weiter. Wir dachten, das ist das Eine und haben es in den Sampler geladen und dann weitergemacht. Als wir dann das Album veröffentlichen wollten, musste das Label das Sample erst freigeben lassen.

Mads. Wir dachten es wäre einfach irgendwas, das wir auf dem Boden gefunden hätten und das keiner kennen würde und dann fanden wir raus, dass es die Eröffnungshymne der Olympischen Spiele von 1980 in Moskau war.

Casper: Thematisch ist es irgendwie nett über etwas Großes zu reden ohne wirklich viele Worte drüber zu verlieren. Wie du es schon mit dem Fragezeichen gesagt hast. Man braucht es nicht. Es ist Russland und Amerika und das ergibt ein Bild, insbesondere wenn du aus Europa kommst gibt es dir ein bedeutungsvolles Bild.

Ich bin ja in Berlin geboren bevor die Mauer gefallen ist und habe immer hier gelebt. Ich bin im US Teil aufgewachsen und deswegen auch sehr mit den USA verbunden. Ich musste an all das denken als ich die beiden Songs gehört habe.

Casper: Hören sie sich in diesem Sinne auch verschieden an für dich?

Ja, schon. Das erste Mal als wir nach Ost-Berlin gefahren sind war alles grau und es gab diese großen Paradestraßen – es war anders. Darüber habe ich nachgedacht als ich die Musik hörte und als ich dann den Text zu „America“ gelesen habe, dachte ich daran wie es heute in Amerika ist, wie die Sache mit Flint wo die Amis sich im Prinzip selber vergiften. Es scheint fast so als hättet ihr die Zukunft gesehen als ihr damals den Text geschrieben habt, auch wenn ihr beim Schreiben vermutlich davon nichts wusstet, oder?

Casper: Ich denke für mich gibt es viele Sachen die man über Amerika sagen kann, Positives, aber auch viele Fragezeichen. Eins davon ist das Wasser. Man trinkt dort nie das Wasser. Es ist nur eine Kleinigkeit. Amerika ist halt diese große Fragezeichen, aber wir sind damit aufgewachsen. Wir gucken ihre Filme, essen ihr Essen… sie sind ein Teil unseres Erwachsenwerdens. Ich erinnere mich noch an das erste Mal als ich mit dem Flugzeug nach Chicago geflogen bin und einen dieser amerikanischen Trucks gesehen habe. Ich dachte nur ‚wow, einer dieser Dinger aus den Filmen‘. Es ist Teil unserer Fantasie.

Ich war selber ganz oft drüben, das erste Mal in Kalifornien. Das war surreal. Es ist wie in diesen ganzen Filmen, besonders L.A.. Man sieht keine heruntergekommen Häuser und solche Sachen, wenn man da als Tourist ist. Deswegen mag ich das Video zu „America“, weil es das eigentliche Amerika zeigt.

Tatu: Mainstreet Amerika.

Casper: Das freut mich zu hören.

Und ich war überrascht, dass ihr alles nur mit Smartphones aufgenommen habt.

iiCasper: Das war genau genommen die Wahl des Regisseurs, aber es war schon lustig. Es machte auf sonderbare Liima Art und Weise Sinn, weil das Cover vom Album auch ein Foto vom Smartphone ist. Das Konzept des Regisseurs hatte etwas trashiges, aber auch sehr neues. Jeder kann sich selber filmen und zeigen. Etwas einsam zu sein bei den ganzen Kommunikationsmitteln, die wir haben. Man ist permanent überall und nirgendwo während die fassbare Welt um uns herum immer beliebiger wird. Das Haus lag eine Stunde von L.A. entfernt in einem Ort namens Palmdale. Es ist mitten in der Wüste. Für jemanden wie uns war das ein sehr exotischer Ort. [lacht] Was man in dem Video sieht, vermittelt eben das Gefühl und ich bin sehr froh, dass Menschen, die das Video sehen das auch sehen. Das ist auch ein Amerika. Mit Amerikanern verknüpfe ich immer, dass es einfach ist mit ihnen zu reden und sich zu verknüpfen, aber sie kommen doch von einem ganz anderen Ort. Politisch gesprochen passieren dort gerade viele interessante Dinge mit Sanders und Trump. Als ich heute morgen die Nachrichten gesehen habe, dachte ich nur ‚Was zum Teufel ist da los?!‘. Es ist auf eine Art absolut absurd, die ich super inspirierend finde. Musikalische betrachtet komme ich zu einem Punkt an dem es für mich Sinn macht vielleicht ein wenig politische Musik zu machen. Das kam mir seit Jahren nicht in den Sinn. Da passiert etwas und es ist verrückt. Man kann es nicht mehr ignorieren. Mit Efterklang haben wir nie politische Musik gemacht.

Daran konnte ich mich auch nicht erinnern, deswegen war ich zuerst erstaunt, dass ihr so einen nicht unbedingt politischen, aber kritischen Song gemacht habt.

Casper: Die Absicht mit „Amerika“ war es nicht über irgendwas kritisch zu sein. Es geht mehr darum zu feiern und auch zu sagen ‚hey, was ist los?‘ Es ist ja mehr wie ein Bruder oder das Haus auf der anderen Seite der Straße, dieser Ort, den wir alle so gut kennen. Ich verstehe nicht, was da passiert. ‚Wie geht es euch? Was passiert da gerade?‘ Es ist mehr ihnen mal zuzurufen…

Tatu: …von außen. Es ist eine Beobachtung.

Casper: Es ist ein Song an Amerika. Das ist es was es ist. Sie können davon Gebrauch machen, wenn sie wollen und wenn nicht, dann nicht.

Mads: Es gab einen Kommentar auf NPR, da meinte einer, dass er sehr enttäuscht wäre, dass NPR so eine negative Haltung gegenüber den USA unterstützen würde.

Ich habe es nicht als negativ empfunden, mehr so etwas wie ‚ich wünsche euch das Beste‘. Amerika war ja immer ein Ort der Hoffnung.

Casper: Und ich singe sehr oft ‚I’m hoping for you‘.

Mads: Wir haben ja auch nur die Straßen gefilmt. Wir haben es nicht konstruiert, wir haben es nur gezeigt. Es ist nicht schwer solche Orte zu finden. Wir mussten nur eine Stunde aus L.A. rausfahren und alles sah so aus.

Casper: Manchmal braucht man so eine Sicht von außen, so wie du jetzt kommst und mit uns über Liima redest. Manchmal haut es die Leute einfach um, wenn da jemand von außen kommt. Es gibt ja so viele Filme, die Amerika lobpreisen. Europäische Regisseure gehen rüber und machen Sachen, aber sobald sie die Dinge zeigen wie sie sind, sind die Menschen so: ‚Was? Ist das so?‘. Sie haben es nie registriert oder haben einfach schon zu lang da gelebt.

Ich denke, das ist überall so. Man lebt oft in seiner Zone. Die Menschen, die in heruntergekommen Häusern leben, bleiben oft da und Menschen aus besseren Gegenden gehen oft nicht in diese Ecken.

Casper: Menschen sind verschieden und haben verschiedene Hintergründe, das ist sehr wahr. Mein Punkt ist, dass ich hoffe, dass Amerikaner für immer hier her kommen und all den Mist filmen und dokumentieren, den wir hier fabrizieren. So wie wir auch dort hingehen sollten. Viele Amerikaner sind es einfach gewohnt gelobt zu werden. Wir loben sie bis in die Ewigkeit anstatt nicht direkt kritisch zu sein, aber die Dinge einfach zu zeigen wie sie sind oder wie wir über sie fühlen.

Vielen Dank für das Interview!

Liima sind nächste Woche auf Tour in Deutschland – unbedingt hingehen lautet die Devise!

19.04.16, Zürich, Bogen F
20.04.16 Nürnberg – Z-Bau
21.04.16 Berlin – Berghain
28.04.16 Hannover – Feinkost Lampe

www.liima.net

Interview: Dörte Heilewelt, Pressefoto: Thomas M. Jauk