Interview mit Kate Nash

Kate Nash zu treffen, ist eine persönliche Freude für mich. Seit Erscheinen ihres Debütalbums im Jahr 2007 fand ich es immer interessant zu sehen, wie sie sich sowohl musikalisch stilistisch als auch optisch über die Jahre hinweg verändert hat. Beim Gespräch in Berlin Kreuzberg räkelt sich vor mir auf einem bunt gemusterten Sofa, das sich herrlich mit ihrem ebenfalls bunt gemusterten Kleid beißt, eine etwas müde aber sehr gesprächige junge Frau, die vor kreativem Tatendrang nur so strotz und ganz nebenbei ein starkes Interesse an ihrer Umwelt hat. Ziemlich beeindruckend – und außerdem furchtbar sympathisch.

Seitdem Dein aktuelles Album „Girl Talk“ raus gekommen ist, wird viel über Dich diskutiert. Einige stoßen sich wohl daran, dass Du nicht mehr der süße, niedliche, englische Teenager bist, als der Du einmal bekannt geworden bist.

Ja… Ich sage gern ich bin immer noch süß, niedlich und englisch. Aber kein Teenager mehr! (lacht)

Ich finde aber, wenn man sich Deine drei Alben hintereinander anhört, ist der Weg gar nicht so überraschend. Schon bei „My Best Friend Is You“ deutet sich an, dass Du Dich in einem Übergang befindest.

Das stimmt absolut! Ich denke aber, dass die Leute das nicht hören, weil sie sich selten ganze Alben anhören. Sie hören zwei oder drei Songs und wissen dann nicht, was für ein Künstler Du wirklich bist. Vor allem, wenn man gleich am Anfang einen großen Hit hatte.

„Girl Talk“ hast Du selber raus gebracht. Bei „My Best Friend Is You“ warst Du noch bei Universal…

Sie haben mich fallen gelassen. Es war also nicht wirklich meine Wahl, Independent raus zu kommen sondern eine Entscheidung, die ich treffen musste, um irgendwie weiter machen zu können. Es war seltsam, ein ziemlicher Schock, ich hatte es nicht erwartet. Letztendlich war es gut für mich, weil es die Art, wie ich an meine Arbeit heran gehe, sehr positiv beeinflusst hat. Ich habe wahnsinnig viel daraus gelernt, bin eine viel cleverere Geschäftsfrau geworden. Ich weiß was ich tun muss und habe mehr Kontrolle über meine Arbeit. Aber ein bisschen sauer bin ich immer noch.

Weißt Du, warum sie Deinen Vertrag nicht verlängert haben?

Nein. Sie haben es mir auch nicht persönlich gesagt. Ich habe es durch meinen damaligen Manager erfahren, mit dem ich heute auch nicht mehr arbeite.

War „Girl Talk“ damals schon fertig?

Ja. Wahrscheinlich war das der Grund. Es war nicht das Album, das sie erwartet haben. Ich habe schon früher angefangen, mich zu verhalten als wäre ich Independent. Ich bin ständig kreativ, aber wenn ich Musik schreibe, schreibe ich sie nicht für Record Labels oder Radiostationen. Ich glaube, sie wollten das Album einfach nicht raus bringen. Es ist ok. Ich möchte nicht auf einem Label sein, das meine Musik nicht mag. Und letztendlich habe ich diesen Vertrag unterschrieben, als ich 19 war. Würdest Du heute noch den Job machen wollen, den Du mit 19 gemacht hast? Verstehst Du, was ich meine? Ich bin jetzt 26 Jahre alt, man muss sich verändern. Sonst steckt man irgendwann fest.

Also hattest Du ein fertiges Album und hast es am Ende selber raus gebracht.

Ich hatte für die Aufnahmen bezahlt und wusste, ich muss das irgendwie wieder rein kriegen. Es kostet viel, so ein Album zu produzieren. Und es kostet viel zu touren, wenn man alles selber macht. Ich bin keine Band sondern ein Solokünstler, das heißt, ich muss alle bezahlen, die für mich arbeiten. Ich bezahle allen einen festen Lohn für jeden Tag, den wir auf Tour sind, ich bezahle Flüge, Hotelzimmer, Tourbusse. Ich brauchte also Geld, um das Album raus zu bringen, deshalb habe ich mich für Pledge Music entschieden.

Die Reaktionen auf Deine Kampagne waren ja sehr gut, Du hattest das Geld schnell zusammen. Das muss doch nach so einer großen Enttäuschung eine heilsame Erfahrung gewesen sein.

Oh ja. Vor allem, weil man auf diese Weise direkt mit den Leuten zu tun hat, die sich für deine Musik interessieren. Das hat sehr gut getan.

Wie Du vorhin schon gesagt hast, Du bist ja in vielerlei Weise kreativ. Und Du hast ein starkes soziales Bewusstsein. Ich habe über Deinen „Rock’n Roll For Girls After School Music Club“ gelesen, in dem Du Teenagermädchen die Möglichkeit gegeben hast, sich musikalisch auszuprobieren. Auf Deiner Webseite sieht es nun so aus, dass Du schon wieder das nächste Projekt am Start hast. Du suchst Leute, die zu bestimmten Themen kreative Ideen haben.

Ich werde ein Online Magazin für Mädchen herausgeben. Es wird „Girls Making Music“ heißen und Ende des Jahres an den Start gehen. Es ist sehr aufregend, eine Menge wirklich cooler Leute werden daran mitarbeiten.

Woher kommt diese Energie, Deine Umwelt in Dein Schaffen mit einzubeziehen und damit auch, sagen wir es mal ganz billig, „Gutes zu tun“? Nicht jeder Künstler hat ja so ein starkes Bewusstsein für die Welt außerhalb seiner eigenen.

Ich weiß nicht. Ich habe eine sehr liebevolle fürsorgliche Familie, komme aus einem stabilen Umfeld. Das hat leider nicht jeder. Ich denke, vielleicht kann ich dem einen oder anderen dadurch helfen, stark zu sein und sich mit sich selber wohl zu fühlen. Es gibt leider sehr viele unglückliche, orientierungslose Menschen, um die sich niemand richtig kümmert, vor allen Dingen Mädchen. Da gibt es so viele unangenehme Themen, mit denen man sich jeden Tag auseinandersetzt, und wenn man keine Familie hat, die einem damit hilft, kann es ganz schön hart werden.

Hast Du Geschwister?

Zwei Schwestern. Ich bin die mittlere. Meine ältere Schwester lebt mit mir zusammen und meine jüngere sitzt da draußen und arbeitet für mich. Wir passen also aufeinander auf (lacht).

Ich habe Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Wovor ich mich am meisten fürchte ist das grundsätzliche Desinteresse an allem, das ich, zum Glück nicht bei meinen, aber doch bei vielen Kindern, vor allem im jugendlichen Alter beobachtete. Das macht mir Angst.

Ich weiß was Du meinst. Ich glaube, das kommt viel von dieser Besessenheit mit Celebrities, die Jugendliche meist haben, zumindest in England. Dieser ganze Promi Kult ist einfach nur eklig. Es wird Dir vermittelt, dass Du eigentlich gar nichts dafür tun musst um berühmt zu werden, außer Dich öffentlich so widerlich wie möglich zu benehmen. Je unverschämter Du Dich benimmst, vor allem als Frau, vor allem im Zusammenhang mit Sex, desto berühmter wirst Du.

Hast Du das neue Video von Miley Cyrus gesehen?

Ja.

Was denkst Du darüber?

Es überrascht mich nicht. Es ist das, was sie tun will. Sie will unbedingt beweisen, dass sie jetzt erwachsen ist. Viele Teenager, die als Berühmtheiten aufwachsen, haben irgendwann diese rebellische, sexuelle Phase. Bei Britney war es genauso. Wenn sie anfangen, müssen sie so lange wie möglich behaupten Jungfrau zu sein. Auf diese Weise kann man doch gar kein gesundes Gespür dafür entwickeln, was Sexualität überhaupt bedeutet. Ich meine, ich kann nicht für sie sprechen, sie ist eine junge Frau und in der Lage ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Auf der anderen Seite… ich weiß, dass viele Eltern sich Sorgen machen, weil ihre Kinder so vielem ausgesetzt sind, das sie jeden Tag zu sehen kriegen. Aber Kinder sind auch klüger als wir denken. Ich habe als Teenager Sachen wie Eminem und anderen sehr aggressiven Hip Hop gehört und nicht wirklich Schaden davon genommen. Vieles habe ich auch automatisch ausgeblendet, weil ich gar nicht wusste, was es überhaupt bedeutet.

Ich persönliche finde diese Übersexualisierung in den Medien schon besorgniserregend.

Ich finde daran schlimm, dass, vor allem in Amerika, Sex auf eine so extrem schräge, pornografische Ebene gehoben wird – auf der anderen Seite aber niemand wirklich darüber reden darf, wie es wirklich ist, Sex zu haben. Es gibt keine Möglichkeiten für junge Leute, in einem geschützten Umfeld zu lernen und zu erfahren, wie Sex eigentlich sein sollte. Dieses Bild, das oft vermittelt wird, dass eine gute Frau am besten wie eine aufblasbare Puppe zu sein hat, die weiß, wie man einen Mann befriedigt. Das Problem ist ja auch, dass man diese Einflüsse nicht komplett blockieren kann. Sie sind überall. Es ist schon schockierend. Auch, dass Mädchen immer früher mit Diäten anfangen und sehr früh schon ein schlechtes Gefühl gegenüber ihrem eigenen Körper kriegen… Ich glaube, als Mutter ist das wichtigste, dass Du Deine Kinder respektierst. Nur wer respektiert wird, kommt automatisch auf die Idee, andere zu respektieren. Meine Mutter hat uns Mädchen schon immer mit viel Respekt behandelt. Wir durften auch Jungs mit nach Hause bringen. Wenn wir aus gehen wollten, hat sie uns oft vorgeschlagen, Freunde zu uns einzuladen. Sie hat Pizza besorgt und Smirnoff Ice, weil sie wusste, dass wir das gerne trinken. Sie wusste, dass wir es sowieso tun würden, also war es ihr lieber, wir tun es Zuhause, wo sie ein Auge auf uns haben kann. Das war uns damals natürlich nicht so bewusst, wir dachten einfach, wir haben die coolste Mutter der Welt (lacht). Ich hatte also nie das Bedürfnis, richtig krasse Scheiße zu bauen, meine Rebellion lief auf anderen Ebenen ab. Wie auch immer, ich glaube, Verbote und Zensur funktionieren nicht. Wenn man etwas verboten bekommt, will man nur noch mehr davon, das ist die Natur des Menschen, nicht nur von Kindern. Ich zumindest bin heute noch so – ein furchtbar stures Ding! (lacht)

Kate Nash ist am 26. September live auf dem Reeperbahn Festival zu sehen und anschließend auf Tour in Deutschland. Die Daten findet Ihr hier.

Interview: Gabi Rudolph