Interview mit Jonny Pierce von The Drums zu „Blood Under My Belt“

Mit „Blood Under My Belt“ bringen The Drums nach drei Jahren eine neue Platte heraus. Für Frontmann Jonny Pierce ist das Album ein Befreiungsschlag. Nicht nur privat gab es für ihn einschneidende Veränderungen, auch die Band hat sich neu formiert. Was ihn zu den neuen Songs bewegt hat und warum es so wahnsinnig persönlich geworden ist, hat mir Jonny auf der Interviewcouch erzählt. Sprich, ich war auf meiner Couch in Berlin und er auf seiner in New York, die moderne Skype Technik macht’s möglich.

Wo bist du gerade?

Ich bin in meinem Apartment und schaue auf eine der gefährlichsten Kreuzungen in Manhattan. Ein super Platz fürs Songschreiben. Ich bin gerade aus Los Angeles hierher gezogen und bin so wahnsinnig froh, wieder hier zu sein.

Für mich ist Los Angeles eine Stadt, die auf den ersten Blick ganz toll ist, wenn man aber hinter die Kulissen schaut ist es wahnsinnig oberflächlich und ermüdend.

Das stimmt total, für mich war die Stadt mental und emotional sehr ermüdend. Ich habe mich sehr einsam gefühlt. New York ist sehr hektisch, aber das passt viel besser zu meinem eigenen Rhythmus. In LA wollen alle immer nur eine gute Zeit haben, sich zum Lunch treffen oder am Pool im Chateau liegen. Das entspricht mir nicht.

Es ist doch wunderbar, dass du einen Platz gefunden hast, an dem du dich wohlfühlst, wo du hingehörst.

Absolut. Das habe ich aber erst rausgefunden, als ich wieder nach New York zurückgezogen bin, dass ich zu 100 Prozent hierher gehöre. „Home is where my heart is“ und das ist für mich New York.

Ich weiß genau, von was du redest. Mit Berlin ging es mir genauso. Ich habe die Stadt auch neu lieben gelernt, als ich eine Zeit weg war. Manchmal muss man erst woanders hingehen, um herauszufinden, wo man hingehört.

Da stimme ich dir voll und ganz zu. Berlin liebe ich übrigens auch sehr. Für mich ist Berlin die Stadt, die sehr nah an die Vibes von New York rankommt. Ich hatte hier in New York gerade angefangen, mich mit dem neuen Album zu beschäftigen, war mir aber nicht sicher über welches Thema ich schreiben soll. Ich bin dann aus sehr persönlichen Gründen nach Los Angeles gezogen. Ich bin in einer sehr schwierigen Situation aufgewachsen – meine Eltern sind beide sehr gläubige Pastoren und ich bin schwul. Das war natürlich ein wahnsinniger Clash. Ich hatte als Junge immer das Gefühl, ich darf nicht der sein, der ich sein möchte und habe mein wahres Ich versteckt. Ich hatte ganz lange das Gefühl, dass ich nicht geliebt werde, für die Person die ich eigentlich bin. Ich habe mich bei meinen Eltern nie richtig zu Hause gefühlt. Daher bin ich sehr früh nach New York gezogen. Dort habe ich dann meine große Liebe gefunden, wir dachten das hält für immer. Wir haben uns zusammen Hunde angeschafft und sogar zusammen nach einem Haus geschaut. Wenn ich jetzt darauf zurückblicke war das mein tiefes Bedürfnis, endlich ein Zuhause zu haben und eine Familie. Ich hatte die Sehnsucht nach einem stabilen Umfeld. Wenn man in einer Band ist wird es noch schwieriger, da man so viel unterwegs ist. Man kann keine Routinen entwickeln und es ist schwierig Beziehungen zu Menschen aufzubauen. Fast über Nacht ist unsere Beziehung zerbrochen. Wir dachten dann beide, wenn wir einen Ortswechsel vornehmen und zusammen nach Los Angeles ziehen, können wir es wieder kitten. Aber man kann seine Probleme nicht einfach so hinter sich lassen. Wir haben uns endgültig getrennt. Ich habe mich sehr einsam in dieser Stadt gefühlt. Und da habe ich mir gedacht, es gibt keinen besseren Moment anzufangen, das neue Album zu schreiben.

Hast Du schon in New York begonnen zu schreiben?

Ich stand dort in den Startlöchern und habe alle Vorbereitungen getroffen. Ich habe nach Themen gesucht, über die ich schreiben kann. In Los Angeles habe ich mir dann in mein Appartement ein kleines Studio gebaut und habe angefangen aufzunehmen. Viele Songs die ich in dieser Zeit geschrieben habe, sind auf dem Album gelandet. Es ist wie eine Selbstbeobachtung geworden über meine Verzweiflung, meine Einsamkeit, meine Traurigkeit und wie ich mich selbst in Frage stelle. Ich war so mit mir selbst beschäftigt, dass ich meinen Bandkollegen gar nicht in diesen Prozess involviert habe. Er wollte mit mir in New York weiterschreiben. Ich habe mich aber gerade so befreit durch den Schreibprozess gefühlt, dass ich noch nicht bereit war, diesen Moment mit jemanden zusammen zu arbeiten. Einen Monat später rief er mich an und sagte mir, dass er so nicht arbeite möchte und andere Interessen weiterverfolgen wird.

Damit hast hat sich dann ein anderer wichtiger Menschen in kurzer Zeit aus deinem Leben verabschiedet?

Ja, deshalb ist es auch ein Album über einschneidende Verluste geworden. Ich habe zwei meiner engen Bezugspersonen innerhalb kurzer Zeit verloren. Das hat mich dazu gebracht nachzudenken, wer bin ich und was mein Leben ausmacht. All diese existentiellen Fragen. Ich habe dabei viel über mich gelernt. So habe ich auch entdeckt, dass ich mein Leben immer sehr abhängig von der Zuneigung anderer Personen gemacht habe. Mir hat die Fähigkeit gefehlt, mich selbst zu wertschätzen. Das hat extrem viel damit zu tun, dass meine Eltern mich nie als schwul akzeptiert haben und ich mich dadurch wertlos gefühlt habe. Also habe ich immer nach Liebe von außen gesucht, statt diese bei mir selbst zu suchen.

Haben Deine Eltern dich wirklich nicht für das akzeptiert was du bist? Sie müssen doch stolz darauf sein, was aus dir geworden ist und was du erreicht hast.

Nein, nicht wirklich. Meine Eltern sind hardcore religiös. Sie haben sogar Anti-Schwulen-Demos organisiert und geleitet und Heilungs-Sessions organisiert. Ich habe quasi mein wirkliches Leben auf Pause gesetzt und mich die ganze Zeit verstellt. Bis ich dann nach New York gezogen bin. Mit 20 Jahren habe ich mich dann wie ein 12jähriger aufgeführt, weil ich erst mal klarkommen musste und so viel nachzuholen hatte. Daher geht es in dem Album auch ganz stark darum, dass man sich keine Gedanken machen sollte, was die Leute sagen. Was ich dazu gelernt habe: es besteht ein riesen Unterschied zwischen einsam und alleine sein.

Ich glaube, dass was du vorhin gesagt hast ist entscheidend. Man muss sich erst mal selbst lieben, bevor man andere Menschen lieben kann. Das ist ja immer einfacher gesagt als getan.

Ja das stimmt absolut. Ich lerne das gerade mehr und mehr und geniesse, dass ich so sein darf, wie ich will. Auch in der Band waren bestimmte Dinge nicht OK oder konform. Jetzt war mir einfach total danach, ein Bild als Albumcover zu verwenden, bei dem mein Freund an einem getragenen Sneaker riecht. Das wäre in der alten Bandkonstellation niemals möglich gewesen. Jetzt habe ich es einfach gemacht. Ich bekomme so viel positives Feedback von Menschen, die schon das Album gehört haben, das macht mich total glücklich. Es ist wie ein Coming-Out. Ich starte noch mal ganz von vorne und bin einfach nur ich selbst.

Ist das Album sogar für dich ein bisschen wie eine Offenbarung oder Heilung?

Ja absolut, es war wie zweieinhalb Jahre Therapie mit einem super Therapeuten für mich. Ich sage da auch ganz schön schweres Zeug in den Texten und es endet auch nicht hoffnungsvoll.

 Ich habe mich gewundert warum du den Titel-Track „Abysmal Thoughts” ans Ende des Albums gestellt hast. Es hört sich fast so an, als würdest du den Zuhörer mit an den Rand der Klippen nehmen und er schaut am Ende mit dir den Abgrund herab.

So ist das im Leben, es gibt gute Momente und es gibt viele dunkle Momente. So ist auch die Platte. Es ist toll zu sehen, was man für eine Verbindung mit den Menschen bekommt, durch das was man in einem Song sagt. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe schon öfter Nachrichten von Menschen bekommen, die selbst in einer sehr schweren Situation waren, die mir gesagt haben, wie sehr ihnen meine Musik hilft. Das ist für mich ein wunderbarer Grund immer weiter Musik zu machen, das hat für mich fast etwas Spirituelles.

Das ist doch was absolut Wunderbares, wenn man den Menschen etwas geben kann durch die Musik, das ihnen etwas bedeutet und sie geben es einem dann zurück.

Ja, jeder kann etwas tun und sich mehr mit anderen Menschen verbinden. Wir müssen einfach transparenter und ehrlicher sein und das teilen, was uns auf dem Herzen liegt. In Amerika ist das ja ein ganz großes Thema, dass gerade Männer keine Emotionen zeigen dürfen. Es geht immer nur darum hart und tough zu sein. Als ich eine Zeitlang in den Niederlanden gelebt habe, war das ganz anders. Es ist doch albern, dass man nicht mal sagen kann man ist traurig oder hat Angst. Immer nur den anderen etwas vormachen, macht doch keinen Sinn. Das Ergebnis, die Menschen verbinden sich nicht mehr miteinander, weil sie keine Verletzlichkeit zeigen, man macht sich selbst was vor und dann stirbt man und alles ist vorbei. Das ist doch traurig. Wir müssen uns alle wieder mehr miteinander beschäftigen. Dabei hilft auch, wenn man nicht zu viel Kram um sich rum hat, der ablenkt. Mein Freund und ich sind Minimalisten geworden. Wir besitzen zwei Messer, zwei Gabeln, zwei Löffel, einen Tisch, zwei Stühle einen Kühlschrank. Wirklich nur das Nötigste. So kann man sich mehr auf sich selbst und den anderen konzentrieren. Wir haben in unserem Apartment kein Wi-Fi. Das war eine ganz bewusste Entscheidung, damit wir uns mehr miteinander beschäftigen, wenn wir beide zu Hause sind. Auch bei der Kleidung sind wir total minimalistisch geworden.

Wirklich? Dabei bist du doch total Fashion interessiert und mit großen Designern befreundet.

(lacht) Ja, ich weiss. Ich trage gerne modische Dinge aber ich kaufe sie nicht. Ich bekomme sie von meiner Stylistin und gebe sie danach wieder zurück. Du hast aber Recht, mittlerweile ist das für mich ein Konflikt. Wir machen natürlich Shootings mit Magazinen um unser Album zu promoten, dazu ziehe ich auch diese ganzen Markensachen an. Da habe ich schon manchmal das Gefühl, dass ich diesen Kommerz auch noch füttere. Ich mache mir häufig Gedanken, wie ich damit umgehen kann.

Ich habe mich ehrlich gesagt ein bisschen gewundert. Du bist so tiefgründig in dem was du tust und sagst und wie dein Album ist. Da erschein mir das fast wie ein Konflikt, dass du so ein Fashion Boy bist.

(lacht schallend) Ich bin froh, dass du das sagst. Ich mag auf jeden Fall coole Klamotten und ich bin ein sehr visueller Mensch. Ich bin mir aber noch nicht sicher, wie ich zukünftig damit umgehe. Ich habe mich jetzt erst mal privat stark reduziert. Im Rahmen der Band sehe ich das eher als künstlerischen Aspekt. Ich gehe aber so gut wie gar nicht zu Fashion Shows. Zu denen ich dauernd eingeladen werde. Du hast aber völlig Recht, da ist ein Konflikt. Man kann eine Saint Laurent Jacke tragen, wenn man es mit der richtigen Haltung macht. Man kann aber auch in einer coolen Jacke protestieren gehen. Wenn es einen aber voll und ganz einnimmt – was hier in New York oft der Fall ist – dann ist es bedenklich.

Zusammenfassend hört es sich so an, dass die Musik ein sehr wichtiger Begleiter für dich auf deinem Weg ist. Wo wärst du ohne die Musik?

Das ist eine sehr gute Frage. Ich weiß es ehrlicherweise nicht. Wahrscheinlich würde ich Film oder Fotografie machen, da ich ein sehr visueller Mensch bin. Ich bin sehr glücklich, dass ich das machen kann was ich mache. Ich bin ja noch nicht mal ein super Musiker im Vergleich zu anderen Künstlern. Ich kann einigermaßen Gitarre, Drum und Synth spielen. Aber eigentlich spiele ich eher kleine Parts und loope diese. Daher sehe ich mich eher als Künstler, statt als richtigen Musiker. Ich glaube aber, dass dieser Weg für mich vorgesehen war und ich bin extrem glücklich damit. Ich war nie dankbarer für das was ich habe.

Das ist doch ein wunderbarer Schlusssatz. Herzlichen Dank Jonny für dieses persönliche und offene Gespräch. Viel Erfolg mit Deinem Album und dass du ganz viel zurück bekommst, was du den Menschen mit Deiner Musik gibst. 

Danke dir für diese wunderbaren Fragen. Es hat mich sehr gefreut, mit dir zu plaudern.

Interview: Kate Rock
Foto: Moni Harworth

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