Interview mit AnnenMayKantereit

AnnenMayKantereitVergangenen Freitag erschien das Debütalbum „Alles Nix Konkretes“ der Kölner Band AnnenMayKantereit. Endlich, möchte der geneigte Fan sich mit Erleichterung von der Seele schreien. Bereits seit Jahren ziehen Gitarrist Christopher Annen, Sänger Henning May, Schlagzeuger Severin Kantereit und der zuletzt fest dazugekommende Bassist Malte Huck durch die Landen – zuerst als Straßenmusiker, mittlerweile verkaufen sie ihre Touren im Vorfeld komplett aus.

Im Vorfeld zur Veröffentlichung des Albums trafen wir Severin Kantereit, Malte Huck und Christopher Annen zum Interview – mit der extra Herausforderung „Alles Nix Konkretes“ nur einmal direkt vor dem Interviewtermin hören zu dürfen. Trotzdem haben wir ein ausführliches Gespräch über die Arbeit im Studio und wie sich das auf ihre Wahrnehmung von Musik ausgewirkt hat geführt. Viel Spaß beim Lesen!

Als ich „Länger Bleiben“ gehört habe, hatte ich einen Moment, da habt ihr mich total an Rio Reiser erinnert.

Christopher: Das ist auf jeden Fall ein Vergleich der öfters kommt, aber den wir nicht so richtig nachvollziehen können.

Severin: Natürlich können wir es schon nachvollziehen, dass es Leute so empfinden. Für uns ist das nicht so, dass wir so klingen wollen oder dass es ein großer Einfluss war. Wir haben natürlich alle Sachen gehört und gerade der Henning hat auch Rio Reiser gehört, aber nie so, dass wir gesagt haben, dass wir so klingen wollen. Es ist, glaube ich, die Kombination Stimme, einfache Texte und einfach Instrumente wie Schlagzeug, Gitarre, Bass, dass viele darauf kommen, dass es in die Rio Reiser Richtung geht. Aber es ist auch kein schlimmer Vergleich.

Ich habe gelesen, dass ihr bei den Aufnahmen zum Album ganz viele Takes gemacht habt. Ich habe neulich erst mit einem Musiker gesprochen, der seine Alben nach dem Motto „First Take is Jesus“ von James Brown aufgenommen hat. Wieso habt ihr euch für diese Arbeitsweise entschieden?

Christopher: Dann muss der erste Take ja schon so geil sein, dass er auf’s Album soll, aber das war relativ selten der Fall. Auf diesem Album waren das vielleicht ein oder zwei First Takes. Wir haben sechs, sieben Takes gespielt und dann die besten Teile zusammengeschnitten. Das hat eigentlich immer geklappt.Wir haben ohne Metronom gespielt, also ohne Klick, sind aber tempomäßig immer so gut gewesen, dass man es gut zusammenschneiden konnte. Wir haben einen Take als Grundlage genommen, bei dem wir dachten, dass er am besten ist und dann haben wir zum Beispiel die erste Strophe von dem dritten Take rein geschnitten.

Severin: Ich finde es auch eine komische Herangehensweise, wenn man sagt wir wollen nur First Takes haben. Warum sollte es der Anspruch sein? Nur um zu sagen, dass es die First Takes sind?

Er meinte, weil da die Energie noch am frischesten ist.

Severin: Wenn das so ist, dann ist das auch wunderbar, aber vorher mit der Einstellung ranzugehen, dass man nur First Takes nimmt, finde ich komisch. Wenn die dritte Version noch besser ist, weil man an einem Punkt ist, dass man nicht mehr so aufgeregt ist, aber noch mehr abliefern kann und noch mehr Emotionen reinstecken kann, wieso dann nicht den dritten nehmen?

Ich glaube, bei James Brown war es so, dass es kein Muss war, sondern es ist in der Regel einfach so passiert.

Christopher: Man kommt manchmal einfach wieder dahin zurück. Beim Trompetensolo von „Bitte Bleib“ war es der allererste Take, den sie nach den Soundcheck überhaupt eingespielt haben. Da haben wir gesagt, dass man da und da noch was ändern könnte und sie selber waren auch nicht so zufrieden und haben noch 25 Takes zu zweit eingespielt. Am Ende haben wir aber doch festgestellt, dass es der erste war. Da brauchte man aber auch die ganzen Takes danach um zum ersten zurückzukommen. Das ist anschließend noch ein paar Mal passiert.

Was macht für euch einen Take perfekt?

Severin: Bei uns geht es im Studio sehr viel ums Gefühl, das rüber kommt. Wir haben mit Moses zusammengearbeitet. Moses ist ein Typ, mit dem wir in Vorbereitung auf das Album sehr viel Musik zusammen im Proberaum gemacht haben. Er war bei uns in Köln. Wir haben aber auch sehr viel Musik zusammen gehört, auch um ein gemeinsames Vokabular  zu entwickeln. Was bedeutet es zum Beispiel, wenn ich sage das Solo soll ein bisschen nasser oder trauriger klingen oder in die New-Orleans-Style-Richtung gehen. Eben so dass wir uns gegenseitig verstehen. Im Studio ging es dann sehr viel darum, dass wir ein Take gespielt haben und Moses war dann eben der Außenstehende. Er saß nicht an einem Instrument, sondern in der Regie, und hörte zu. Er konnte ganz klar sagen, dass bei einem Take so viel Energie drin war, die man nicht definieren kann – die Snare perfekt auf den Punkt war oder der Bass eine falsche Note gespielt hat. Moses bemerkt das oft, weil er in der Regie sitzt und nicht spielt. So bastelt man sich seinen perfekten Take zusammen.

Was ich auch finde ist… Henning ist jetzt leider nicht da. Aber textlich hat man immer das Gefühl alles wird zum Problem.

Christopher: Ich persönlich schreib jetzt auch nicht so viele Texte darüber wie gut es mir geht, sondern man schreibt über Sachen, die einen auf eine negative Art und Weise beschäftigen und daraus entstehen dann die Songs. Aber es stimmt schon, dass auf dem Album viele Probleme gemacht werden, aber ein Song ist für uns ja ein Ventil für ein Problem. Ich kenne auch wenig Stücke, die komplett positiv sind, von denen ich sage, die sind richtig cool. Von Bob Marley gibt es ein paar…

Severin: Für uns entsteht ein Song, wenn wir uns als Freunde viel über ein Thema unterhalten und uns damit beschäftigen und das sind dann nun mal Themen, die auch nicht so schön sind, die man miteinander teilt und daraus entsteht was. Ich persönlich finde, dass die Lieder auf Konzerten und auf dem Album, anders als wenn man das zum ersten Mal hört, überhaupt nicht negativ sind, sondern auch befreiend sind, wie zum Beispiel Sachen wie „21,22,23“ und „Es geht mit gut“.

Ihr habt zum Teil auch eine Ernsthaftigkeit, die bei Menschen euren Alters ein bisschen irritierend ist. Ich vermisse zum Teil etwas die Jugendlichkeit in euren Stücken. Manchmal kommt es ja durch wie bei „Krokodil“.

Severin: Aber ich glaube, dass ist bei uns die Jugendlichkeit, dass man darüber spricht, dass man Sachen erlebt. Viele haben uns auch schon gesagt, dass es zu jugendlich wirkt, weil wir über WG-Leben und Liebesleben reden, aber das sind ja genau die Themen, die uns gerade in unserem Alter beschäftigen.

Cover Alles Nix KonretesLive seid ihr ja schon länger wahnsinnig erfolgreich. War das so geplant, dass der Live-Hype vor dem Album da war?

Christopher: Das war schon sehr bewusst gemacht, wie wir die Clubs ausgewählt haben. Wir haben uns da sehr viel mit unserem Booker Daniel unterhalten. Gerade bucht er die Tour für 2017, dann spricht man auch darüber, was man für Größen erreichen will und gerade wurden da auch welche hochverlegt. Es ist uns aber auch wichtig, dass wir in nachvollziehbaren Größen spielen. Ich war zum Beispiel gestern bei Hozier im Palladium in Köln. Das letzte Mal hat er vor anderthalb Jahren im Stadtgarten vor 200 Leuten gespielt und gestern waren es 4000. Wir wollen es so machen, dass wir alle Größen mal gespielt haben, weil es für die Leute schöner ist, wenn wir das Stück für Stück machen, aber es ist auch für uns. Du kannst nicht einfach auf eine Bühne gehen und dann plötzlich stehst du vor 4000 Leuten und bist es nicht gewohnt, weil du vorher nur vor 200 Leuten gespielt hast. Das kannst du vielleicht auch nicht mit deiner Präsenz ausfüllen oder fühlst dich unwohl und verzockst dich. Da haben wir uns bewusst dafür entschieden Clubs zu buchen, bei denen wir denken, dass wir sie ausverkaufen können anstatt zu sagen „Wir gehen jetzt auf’s größere und gucken mal“. Nach einiger Zeit hat man auch Erfahrungswerte. Uns war es wichtig erst kleinere Sachen zu spielen und dann gegebenenfalls hochzuverlegen.

Severin: Uns war immer bewusst, dass wir viel live spielen. Bevor wir ans Album gegangen sind war unser Mainpart live zu spielen. Das hat sich entwickelt und erst dann kam das Album. Das meinte ich vorhin, dass wir eine anderen Reihenfolge haben als andere Künstler. Wir spielen live, wir führen die Lieder auf und erst dann kommen die Lieder auf ein Album. Andere Künstler nehmen erst das Album auf und dann kommt die Tour, bei der diese Songs vorgestellt werden. Wir spielen dieses Album ja komplett schon seit dem letzten Jahr. Natürlich sind auch immer wieder frische Lieder dazugekommen, aber wir gehen da anders ran. Wir wollten uns mit dem Album Zeit lassen. Das war eine ganz bewusste Entscheidung. Wir wollten erst mal mit dem Studio umgehen können und Moses kennenlernen. Die Lieder, die jetzt auf dem Album sind, haben wir alle schon live gespielt und dadurch setzen sie sich. Deswegen konnten wir sie in so einer Qualität einspielen, wie wir es jetzt getan haben. Wir sind zufrieden damit.

Einen Teil der Songs habt ihr ja auch schon vorher auf der EP „Wird schon irgendwie gehen“ (2015) veröffentlicht.

Severin: Genau. Auf der EP hatten wir schon drei Lieder drauf, die wir jahrelang live gespielt haben und sie haben sich auch verändert. Natürlich gab es da auch negative Reaktionen, aber das ist uns dann eigentlich egal. Unsere letzten vier Jahre, in denen wir Musik gemacht haben, haben wir auf dem Album festgehalten.

Keinen Überraschungsmoment für den Hörer?

Severin: Naja, Überraschungsmoment würde ich schon sagen. Vom Klang her schon. Die Lieder, die man live kennt, wurden mit Moses zusammen auf CD gebracht. Das wird für viele eine Überraschung sein und das ist es, was es am Ende ausmacht. Wenn man auf ein oder zwei Konzerten war, kennt man die Lieder schon, hat man sie schon mal gehört, aber das finde ich jetzt nichts Negatives. Ich finde es eher schön, wenn ein Album rauskommt, dass man schon live gehört hat und es gibt ja den Leuten auch einen Anreiz auf Konzerte zu kommen. Man hört die Lieder da das erste Mal und nicht auf einem Album. Es wird immer erwartet, dass die Lieder auf einem Album das erste Mal gehört werden, aber ich finde es viel schöner sie das erste Mal auf einem Konzert zu hören. Es ist ja auch ein Ansatz zu sagen, dass sich die Leute beschweren könnten, wenn auf einem Konzert immer nur die alten Lieder von den Platten gespielt werden. Warum gehe ich dann auf ein Konzert? Wir sehen es halt so, dass man auf dem Konzert die Lieder das erste Mal hören sollte und ich finde das eine schöne Herangehensweise.

Ich mache das ganz oft so, dass ich einfach zu Konzerten gehe ohne die Musik vorher zu kennen.

Severin: Und das ist ja auch ganz schön. Man kommt auf eines unser Konzerte und weiß, da kommt vielleicht was Neues dabei, weil wir vieles auf Tour neu ausprobieren, improvisieren und da entstehen auch die meisten Songs.

Nicht im Proberaum?

Severin: Auch. Es kommt natürlich auch immer drauf an, aber es kann gut sein, dass wir im Proberaum eine Idee haben und dann uns auf Tour überlegen, dass da mal diese Idee war und wir probieren die dann live aus.  Das sind Momente, in denen man als Zuhörer mitbekommt, dass was Neues steht. Das ist sehr schön und für uns hält es Konzerte frisch. Meistens kommt es an.

Ich hab auch gelesen, dass ihr Sachen auf das Album eingebracht habt, von denen ihr vorher vielleicht nicht so begeistert wart, wie das Distortion Pedal bei dir, Christopher.

Christopher: Ja! Wir waren auf jeden Fall viel offener.

Hat es länger gedauert, dass man sich für sowas auch mal öffnet? Wenn man jung ist, ist man auch gerne mal recht fixiert auf seine Herangehensweise. Es dauert dann auch gerne mal ein bisschen bis man lernt sich zu öffnen.

Christopher: Das war auf jeden Fall auch die Arbeit von Moses. Moses nennt das gerne das Kopfkino anwerfen und gucken was man alles mit einem Song machen kann. Für uns war das am Anfang so: Ich hatte nur die Akustikgitarre, Severin nur die Cajon und Henning die Stimme. Wir haben dann was ganz Reduziertes gemacht und dann sind wir mal dahingekommen, dass ich E-Gitarre spiele und Severin ein richtiges Schlagzeug. Das war schon mal ein riesiger Schritt und dann in ein Studio zu gehen, wo man nochmal ganz andere Möglichkeiten hat. Ich kann dann auch mal eine zweite Gitarre spielen. Das war auch ein Novum für uns. Bei „Länger Bleiben“ gibt es ganz am Ende zum Beispiel eine zweite Gitarre. Man muss sich erstmal trauen rumzuprobieren und….

Severin: …und auch zu checken was einem so ein Studio alles für Möglichkeiten bietet. Am Anfang waren wir halt so, dass wir alles live einspielen wollten. So können wir auch nur aufnehmen und nicht erst Schlagzeug, dann Bass usw. Sondern die Grundlage entsteht zusammen, aber eine zweite Gitarre oder mit dem Hall zu spielen oder etwas zu doppeln kann man dann nutzen. Wir haben jetzt ganz viel gelernt und beim nächsten Album kann man noch mehr rumspinnen. Vielleicht kann man dann ja tausend Sachen ausprobieren. Es ist ja auch etwas, wo man immer lernt. Das Studio ist für uns ein Bereich, den man neu erkunden muss. Wir haben sehr viel live gespielt und spielen immer noch gerne live und das ist ein großes Ding, aber Studio ist für uns ein immer größerer Part geworden, den man wertschätzen lernt. Wir wissen, da ist noch sehr viel nach oben offen und man kann noch sehr viel rumexperimentieren und in viele Richtungen gehen. Das hält es ja auch alles extrem spannend. Wenn ich alleine über die Straße gehe und Musik von anderen Künstlern höre, schaltet sich schnell mal das Kopfkino ein „wie haben die das gemacht, wieso klingt das jetzt bei denen so, wie haben sie das aufgenommen“…

Christopher: Und wie sind sie überhaupt auf die Idee gekommen… Zum Beispiel Elenor Rigby – du schreibst einen Song und wie kommst du jetzt darauf das nur mit Streichern zu machen. Das ist ja voll die krasse Idee, wo man erstmal drauf kommen und sich trauen muss. Das ist jetzt das total hochgegriffene Beispiel.

Severin: Das gibt es ja tausende Sachen, Im Rock’n’Roll zum Beispiel. da sind ja Sachen drin, Sounds, die du noch nicht mal raus hörst, das kann ein Glas, dass er auf den Boden schmeißt oder was auch immer sein und dann einbaut oder wenn du auf leere Töpfe klopfst und das ergibt dann den Snaresound. Du kannst überall ein Mikro vorstellen und das aufnehmen.

Christopher: Wir haben das auch mal so gemacht, dass wir mit einer Luftpumpe eine Snare gedoppelt haben. Das war einfach nur vom Klang her ausgegangen, den man live nicht so leicht umsetzen kann.

Severin: Das ist halt alles ein großer Spielplatz und wir sind im ersten Teil des Sandkastens und sehen das riesengroße Klettergerüst an, wo man noch hoch kann. Das ist ein ganz schönes Gefühl.

Vielen Dank für das Interview, Jungs. 

Interview: Dörte Heilewelt

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