Gelesen: Roald Dahl „Love from Boy“

Roald Dahl nicht zu mögen ist nahezu unmöglich. Der britische Schriftsteller wird gern als der „Meister das Makabren“ bezeichnet, sein böszüngiger, schwarzer Humor sucht heute noch seinesgleichen. Wie Kinder auf diese Form von Humor anspringen ist wirklich faszinierend. Zumindest den sechsjährigen, denen ich das Vergnügen habe Werke von Roald Dahl vorzulesen, geht das Herz auf, wenn die böse Schulleiterin Frau Knüppelkuh mit Kindern Hammerwurf betreibt oder ein schlecht erzogenes Kind in Willy Wonkas Schokoladenfabrik in der Saftpresse landet. „Matilda“, „Charlie und die Schokoladenfabrik“, „Hexen hexen“, „Sophiechen und der Riese“… das Kinderbuchwerk von Roald Dahl ist so umfangreich wie genial. Keins meiner Kinder konnte sich je für ein Lieblingsbuch entscheiden, sie lieben sie alle.
Roald Dahl, der 1916 in Cardiff bei Wales geboren wurde und 1990 starb, schrieb aber auch Romane und Kurzgeschichten für Erwachsene und, bereits in sehr frühen Jahren, Briefe an seine Mutter Sofie Magdalene. Als neunjähriger war Roald Dahl fern der Heimat in einem Internat untergebracht, in dieser Zeit fing er an, regelmäßig an seine Mutter zu schreiben, eine persönliche Tradition, die er mit Unterbrechungen über 40 Jahre hinweg, zwischen 1925 und 1965 aufrecht hielt. Über 600 Briefe kamen in dieser Zeit zusammen, die Mrs Dahl sorgfältig aufbewahrt hat. Sie war damit Roald Dahls erste Leserin, zu einer Zeit als noch niemand wusste, dass ihr Sohn einmal ein weltberühmter Schriftsteller werden würde.
Eine Auswahl dieser Briefe ist nun unter dem Titel „Love from Boy“ als Sammlung erschienen, herausgegeben von Donald Sturrock und mit Erläuterungen versehen. Diese sind wichtig um zu verstehen, was für ein Erzähltalent Roald Dahl schon in jungen Jahren war. Bereits während seiner Kindheit im Internat war der kleine Roald nämlich stets bemüht, seine Mutter nur die positiven Dinge wissen zu lassen. Die Zeit auf der strengen St Peter’s School ließ er nicht umsonst später in die Schilderungen der Dahlheim-Schule in seinem Werk „Matilda“ einfließen. Für die Figur der grausamen Schulleiterin Frau Knüppelkuh stand sein damaliger Rektor Pate. Dennoch findet man in den frühen Briefen keinerlei Beschwerden, im Gegenteil. Der Ton seiner Erzählungen ist stets heiter, bereits hier blitzt der für ihn typische Humor durch. Der Wille, seine Mutter zu unterhalten, Erlebnisse humorvoll auszuschmücken, Charaktere mit witzigen Beschreibungen zu versehen, steht immer im Vordergrund. Tatsächlich zieht sich diese Haltung fast bis zum Schluss durch alle seine Briefe. Auch als Dahl 1940, während des zweiten Weltkriegs stationiert als Kampfflieger in Ägypten, über der Wüste abgeschossen wird, lassen seine Schilderungen nur wenig blicken, wie dramatisch diese Erlebnisse für ihn waren.
Die Briefe zeigen zum einen auf faszinierende Weise, wie der charakteristische Stil eines großen Schriftstellers sich im Privaten schon früh entfaltet. Zum anderen sind sie ein spannendes Zeitdokument und darüber hinaus überaus unterhaltsam. Nach dem erzwungenen Ende seiner Fliegerkarriere verschlägt es Roald Dahl als Diplomat in die USA, wo er, mehr durch Zufall seine ersten Gehversuche als Schriftsteller macht, es zur Zusammenarbeit mit Walt Disney kommt und und der gewitzte Engländer mehr und mehr in die höchsten Kreise der amerikanischen Unterhaltungsindustrie eingeführt wird. Diese Passagen machen zum Teil besonders viel Spaß, wenn er von seinen Begegnungen erzählt und Ginger Rogers als „rasend nettes Mädchen“, Gary Cooper und Spencer Tracy als „schwer in Ordnung“ bezeichnet.
Auch der durchaus spezielle Charakter des Schriftstellers kommt immer wieder zum Ausdruck und trifft sich auf erstaunliche Weise mit der seltsamen Zeit während des Krieges. So geizt Dahl in seinen Briefen nicht nur wenig mit dem für ihn typischen Humor, er nimmt sich seiner Mutter gegenüber auch nie mit frivolen Zweideutigkeiten zurück, berichtet freimütig von den Ausschweifungen, denen er mit seinen Kameraden in fernen Ländern nachgeht. Durch die Einführungen in die einzelnen Kapiteln ergänzt sich jedoch immer amüsant, was er seiner Mutter wiederum gezielt verschweigt.
Heraus gekommen ist mit „Love from Boy“ ein sehr persönliches Portrait eines faszinierenden Künstlers, der nicht nur als Literat Erstaunliches geleistet hat. Schon gewusst, dass Roald Dahl an der Entwicklung eines Ventils beteiligt war, das die Möglichkeiten der pädiatrischen Behandlung von Kopfverletzungen revolutionierte? Dass seine Frau, im dritten Monat schwanger, einen Schlaganfall erlitt, von den Ärzten bereits für tot erklärt wurde und am Ende nicht nur überlebte, sondern auch ein gesundes Kind zur Welt brachte, weil ihr Mann sich dem Schicksal nicht ergeben wollte und alles in seiner Macht stehende tat, damit seine Frau mithilfe einer wegweisenden Intensivtherapie wieder auf die Beine kam? Wer „Love from Boy“ liest, wird den Schriftsteller Roald Dahl noch einmal mit ganz anderen Augen sehen. Und danach noch mehr Respekt vor seinem Werk, noch mehr Lust darauf haben, gemeinsam mit seinen Kindern und Charlie die Schokoladenfabrik zu erkunden.

Info: Roald Dahls Briefe an seine Mutter sind unter dem Titel „Love from Boy“ frisch im Rowohlt Verlag erschienen und können hier käuflich erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier

Gelesen von: Gabi Rudolph

www.roalddahl.com
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