Gelesen: Karl Ove Knausgård „Im Winter“

Auf den Herbst folgt der Winter, so passiert es nunmal in unseren Breitengraden. Und somit auch im Universum des norwegischen Schriftstellers Karl Ove Knausgard, der mit seinem autobiografischen Romanzyklus „Min Kamp“ zu Weltruhm gelangte und seitdem nicht nur für seine qualitative, sondern auch seine quantitative Schreibwut bekannt ist. Nichts im Leben ist zu alltäglich, zu banal, dass es Knausgard keiner näheren Betrachtung wert scheint.
Nach „Im Herbst“ ist nun eine weitere Sammlung mit Texten von Karl Ove Knausgard erschienen, der zweite Band seines Jahreszeiten Zyklus, der, folgerichtig, „Im Winter“ heißt. Das aus „Im Herbst“ bekannte Schema setzt sich fort, in Tagebuch-artigen kurzen Kapitel widmet sich Knausgard den Dingen, die ihm unter die Augen und in den Sinn kommen. Alltägliche Gegenstände wie Stühle, Reflektoren, Kanaldeckel oder Züge verdienen seine Aufmerksamkeit genauso wie Körperteile, in „Im Winter“ erfahren die Ohren und die Nase eine Knausgard typische Betrachtung. Immer wieder setzt der für seine Texte typische Effekt ein, dass man Dingen, die einem täglich begegnen, bedeutungsvoller, oftmals ganz anders wahr nimmt. Seine Gedanken kommen einem auf den ersten Blick skurril, dann aber auf faszinierende Weise schlüssig vor. Auch nach innen richtet er seine Betrachtungen und sinniert über menschliche Kontakte, Gewohnheiten, Lebensgefühl und, was er thematisch eher selten behandelt, Sex und die daraus resultierende Interaktion zwischen zwei Menschen. Seine Überlegungen sind ehrlich, menschlich und oft auch zum schmunzeln sympathisch, wenn er zum Beispiel im Kapitel zum Thema „Unordnung“ zugibt, wie er sich Besuchern gegenüber für die eigenen, chaotischen häuslichen Zustände geniert.
Unterteilt werden die Texte wieder in drei Kapitel, jedes für einen Monat des Winters, den Dezember, den Januar und den Februar, jeweils eingerahmt von einem Brief an die zuerst ungeborene, im Januar dann neugeborene Tochter sowie Illustrationen, die dieses Mal aus der Feder von Lars Lerin stammen.
Im Vergleich zu „Im Herbst“ ist „Im Winter“ noch um einiges stimmungsvoller geraten. Das liegt daran, dass sich in „Im Winter“ mehr Texte befinden, die sich auch inhaltlich auf diese besondere Jahreszeit beziehen. Knausgard erzählt vom Schnee (dem er gleich drei Kapitel widmet), von Wintergeräuschen und besonders eindrücklich von einem Aufenthalt auf einer verlassenen Insel zur Winterzeit. Aber auch von Jahreszeit typischen Dingen wie Weihnachtsgeschenken und Feuerwerk. Gerade durch die für ihn typische Mischung aus Nüchternheit und Emotionalität berühren diese Erzählungen auf angenehme, nachdrückliche Weise und lassen eine wunderbar düstere und gleichzeitig heimelige Winteratmosphäre aufkommen.
Um mit den Texten in „Im Winter“ warm zu werden braucht es nicht unbedingt Erfahrung mit dem Werk von Karl Ove Knausgard, man kann sie auch ganz wunderbar als Einstieg in die Welt dieses seltsamen, beeindruckenden Schriftstellers benutzen. Auch die Illustrationen von Lars Lerin sind etwas ansprechender und thematisch runder als im ersten Band. Man kann „Im Winter“ also getrost nicht nur eingefleischten Knausgard Lesern unter den Weihnachtsbaum legen. Wer gerne liest, kann sich von den Texten besonders in der jetzigen Zeit mühelos davon tragen lassen.

Info: „Im Winter“ von Karl Ove Knausgard ist der zweite von vier Teilen einer literarischen Reihe über die Jahreszeiten. Er ist im Luchterhand Verlag erschienen und kann hier käufliche erworben werden. Der dritte Teil „Im Frühling“ erscheint am 26.03.2018.

Gelesen von: Gabi Rudolph