Gelesen: Karl Ove Knausgård „Im Herbst“

Karl Ove Knausgard ist nicht nur einer der meist beachtetsten Schriftsteller unserer Zeit, er gehört mit Sicherheit auch zu den produktivsten. In „Kämpfen“, dem siebten und letzten Teil seiner autobiografischen Romanreihe, kündigte er noch an, kein Schriftsteller mehr sein zu wollen. Aber die Welt zu sehen scheint für ihn untrennbar mit dem Bedürfnis verbunden zu sein, sie beschreiben zu wollen, mit der für ihn typischen Mischung aus Naturalismus und Poesie. Und einer sehr eigenen, oftmals skurril anmutenden Sicht auf die Dinge.
Mit „Im Herbst“ ist nun der erste Teil einer Reihe von Jahreszeiten-Bänden erschienen, eine Sammlung von typischen Knausgard Texten: Alltagsbeobachtungen, Erinnerungen und Essays. Er enthält drei Zyklen, für jeden Monat des Herbsts einen, eingerahmt werden sie von je einem Brief an das damals noch ungeborene vierte Kind und Illustrationen von Vanessa Baird. Die herbstliche Thematik spiegelt sich dabei in den wenigsten auch inhaltlich wieder. Knausgard sinniert über Plastiktüten, Thermoskannen und Gummistiefel, über Körperteile und deren Funktionen wie Zähne, Finger und Schamlippen und das für ihn mit schwerer Faszination behaftete Thema menschlicher Ausscheidungen. Es gibt Texte zum Thema Pisse und Erbrochenes sowie eine Ode an die Kloschüssel. Er beobachtet Tiere wie die Fliege, Dachse oder Quallen. Dass er dabei nicht in der Belanglosigkeit versinkt ist Knausgards eigenem Stil und seiner noch eigeneren Sichtweite auf die Dinge zu verdanken.
Knausgard sucht die Schönheit in jedem Detail des Alltags, seine Faszination für Lebewesen, Gefühle und Gegenstände hat manchmal etwas nahezu Kindliches. Wie er ansetzt zu beschreiben, schlicht und auf den Punkt, das fühlt sich manchmal an wie die Sendung mit der Maus für Erwachsene:

„Erbrochenes ist oftmals geblich, in einem Spektrum von gelblich blass bis gelbbraun, mit einzelnen Feldern ganz anderer Farben wie Rot und Grün“.

„Im Herbst“ funktioniert wie ein Handbuch zu der gerade über uns hereingebrochenen Jahreszeit, ohne sich in für derartige Betrachtungen üblichen Klischees zu ergehen. Kitsch war noch nie ein großes Thema in der Welt von Karl Ove Knausgard, Wehmut und Sentimentalität hingehen schon. Romantische Schilderungen sonnenbeschienener Stoppelfelder sollte man von ihm nicht erwarten, dafür die Beschreibung kleiner Wunder, wie den Besuch eines Raubvogels im heimischen Garten. Man kann die Texte aus „Im Herbst“ nach Lust und Laune immer wieder zur Hand nehmen oder sie aber auch in einem Rutsch hintereinander weg lesen. Wenn man dies tut, fällt der sprachliche Rhythmus und die immer gleiche Länge der einzelnen Kapitel auf. So entwickelt sich Knausgards Stimme voll in ihrer faszinierenden, hypnotischen Kraft.
Die Illustrationen von Vanessa Baird sind stimmig, für die eher goldene Jahreszeit jedoch bereits rechts düster. So ist „Im Herbst“ kein klassisches Wohlfühlwerk geworden, mehr eine Bestandsaufnahme der Welt in all ihren unterschiedlichen, faszinierenden Facetten.

Am 13.11.2017 erscheint „Im Winter“, der zweite Teil des Jahreszeiten-Zyklus.

Info: „Im Herbst“ von Karl Ove Knausgard ist der erste von vier Teilen einer literarischen Reihe über die Jahreszeiten. Er ist im Luchterhand Verlag erschienen und kann hier käufliche erworben werden. 

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