FOTOS im Interview: „Von mir aus kann das noch krasser werden“

Fotos_FastForward-Kids2FOTOS sind zurück und senden mit ihrem neuen Album „Kids“ ihren Hörern und Nicht-Hörern „ein freundliches Ätsch“. In Frontmann Tom Hesslers Berliner Wohnung, auf dem Ledersofa im heimischen Studio, haben mich Tom und Deniz zum Interview empfangen und sich vor dem heiß ersehnten Abendessen noch die Zeit genommen, mir zu erzählen, was seit dem letzten Album „Porzellan“ alles passiert ist und wie die „Kids“ geboren wurden.

Sechs Jahre sind vergangen seit eurem letzten Album „Porzellan“.

Deniz: Sechseinhalb.

Tom: Im Oktober sind’s schon sieben.

Deniz: Neulich in einem Interview fiel schon der Begriff „Comeback“. Die Jahre vergehen. Wir haben aber auch nicht bewusst nach dem letzten Album gesagt, wir machen jetzt ne Pause.

Tom: Eigentlich denkt man nach jedem Album, man macht jetzt ganz schnell was Neues. Dann stellt man fest, es ist doch nicht so einfach wie man dachte. Wenn man gerade fertig ist denkt man schnell ach, war doch gar nicht so wild, können wir gleich noch eins hinterher schießen.

Deniz: Und dann sitzt man wieder vor diesem weißen Blatt Papier.

Tom: Erst mal muss man das Ganze noch live spielen, das ist auch anstrengend, dann hängt noch so viel zusätzlicher Schmu dran, dass man irgendwann denkt, jetzt ist das Thema aber erst einmal gegessen. Da kann man sich doch nicht hinsetzen und direkt wieder Lieder schreiben.

Ich bin ja immer fasziniert davon, wenn Künstler so krass produktiv sind. Ich denke, dass man zwischendrin auch erstmal ein bisschen leben muss, oder? Damit man wieder was hat, worüber man schreiben kann.

Tom: Klar.

Deniz: Man kann da Ausreden erfinden oder rum jammern. Ich muss aber auch sagen, im Bezug auf unsere Situation, es hilft schon, wenn man zu einem frühen Zeitpunkt in der Karriere sich durch großen Erfolg ein kleines Polster angelegt hat. Nicht nur finanziell. Das hilft natürlich um Luft und Zeit zu haben für kreative Arbeit. Vor allem schafft es aber Selbstvertrauen, eine Art Panzer. Man traut sich einfach mehr. Bei uns war es irgendwann so dass wir gemerkt haben, die Band ist jetzt nicht mehr der Lebensmittelpunkt für alle. Das kann man sich auf die Dauer auch nicht leisten. Vier, fünf Jahre meines Lebens habe ich nichts anderes gemacht.

Tom: Wir waren ja viel unterwegs, mit dem Goethe Institut auch im Ausland, und irgendwann konnte man 80 Prozent seines Lebensunterhalts mit den Live-Gagen bestreiten. Als wir gemerkt haben, wir wollen nicht mehr so viel spielen war klar, wir müssen uns alle auch was anderes einfallen lassen. Und plötzlich vergehen die Jahre wie nix. So ein Album muss ja erst mal geschrieben werden.

Deniz: Wir haben erstmal Klang geforscht, verschiedene stilistische Richtungen ausprobiert. Da waren wir diesmal sehr offen. Es war lange unklar, in welche Richtung die Reise geht.

Tom: Am Ende hatten wir ein Sammelsurium von verschiedenen Arten von Musik. Man kann das jetzt so bewerten von wegen, das haben wir am Ende alles einfach zusammen gekloppt. Oder man sagt, guck mal, wie viele verschiedene Welten man da auf einen Tonträger gebracht hat. Die Platten, die ich gerne höre sind die, wo man selbst innerhalb eines Liedes mitgenommen wird auf eine musikalische Reise. So ist das Album jetzt auch geworden. Im Prinzip war mir das alles immer ein bisschen zu monothematisch bei uns. Jetzt haben wir es zum ersten Mal hinbekommen, es so richtig auf die Spitze zu treiben. Von mir aus kann das auch noch krasser werden.

Deniz: Schauen wir mal. Spätestens in sechs Jahren (lacht).

Tom: Bei mir weiß man nie was passiert. Hauptsache ich ärgere meine Bandmitglieder.

Ich bin ja großer Fan eures letzten Albums, „Porzellan“. Ich mag euer neues auch sehr gern, aber ich muss zugeben, dass ich mich immer noch ein bisschen ablösen muss.

Tom: Ich glaube, von uns aus gesehen ist die Welt jetzt einfach eine ganz andere. Auch die textliche.

Ich mag es aber insgesamt bei euch, dass euer Sound im positivsten Sinne unbescheiden daher kommt. Er hat eine gewisse Größe, ohne dabei überproduziert rüber zu kommen.

Tom: Ich würde sagen, es ist eher eine Verweigerung, uns der ganzen Biederkeit anzuschließen die hierzulande als Bescheidenheit schön geredet wird. Diese Art zu produzieren, eine Akustikgitarre und ein bisschen umz umz. Die Leute mögen es glaube ich total gerne, wenn das so reduziert ist. Das gilt wohl als sympathisch. Der Hang zum Bombast wird in unserem Musikkosmos gerne mit Größenwahn in einen Topf geschmissen.

Deniz: Wir sind ja auf den ersten Blick, vor allem live auf der Bühne, eine Gitarre, Bass, Schlagzeug Band. Aber wenn wir im Studio sind und Musik aufnehmen, sind wir das eigentlich gar nicht. Wir setzen uns selten Grenzen. Das Studio bietet heutzutage ja unendliche Möglichkeiten, Nachbauten und Simulationen von Instrumenten, wofür man früher ein viel größeres Studio gebraucht hätte. Das ist verfügbarer, man kann damit rum experimentieren. Es gibt immer weniger Limitierungen, instrumentell und soundlich. Das haben wir uns immer schon zu Nutze gemacht. Bei dem Album jetzt noch viel mehr. So viele Instrumente wie diesmal haben wir noch nie benutzt. Durch dieses Layern passiert automatisch ein bestimmter Sound, ohne dass man sich das konzeptionell vorher überlegt.

Tom: Puristisch ist ja mehr in als je zuvor. Ob das jetzt Architektur ist, Mode oder Musik. Wir haben einen eher antizyklischen Weg gewählt und dachten uns, wir machen mehr so ein musikalisches Curry. Ich mag Curry! Schmeckt nach Curry, sind aber eigentlich 20, 30 verschiedene Gewürze drin.

Aber wenn man im Studio diese unendlichen Möglichkeiten hat, muss man dann nicht aufpassen, dass die Pferde nicht komplett mit einem durchgehen?

Tom: Aber das ist doch gerade das Ziel, dass die Pferde mit einem durchgehen!

Deniz: Wir haben das, glaube ich, auch noch sie so sehr zugelassen.

Tom: Vor allem war da diesmal nicht mehr dieses Mutwillige, was bei „Porzellan“ glaube ich schon noch da war, dieser „jetzt erst recht“ Gedanke, dieses ungestüme Übertreiben. Bei „Kids“ waren wir eigentlich sehr entspannt. Komm, nimm doch noch die Harfe auf! Ja, jetzt mit der Geige macht es langsam Sinn. Ich vergleiche es gerne mit Kochen, weil ich sehr gerne koche. Dieses Mal war mehr Plan da, wir haben alle Zutaten zurecht gelegt und dann erst angefangen zu kochen. Beim letzten Mal war es mehr ein Vorgang, alles rein in den Einkaufswagen und daneben stand schon der Kochtopf. Ob das jetzt zusammen passt? Egal, einfach rein, wird schon schmecken! (lacht)

Das Experimentelle und das Eingängige hält sich bei euch aber immer gut die Waage.

Tom: Noch! Deniz ist ja zum Beispiel ein großer Fan von „Haut“, ein klassischer Popsong, den wir mit als erstes gemacht haben, der noch am nächsten dran ist an dem, was wir bei „Porzellan“ gemacht haben. Das ist das Lied, für das die Band sich eingesetzt hat. Ich hätte noch mehr längere, sphärische Geschichten machen können. Aber durch so einen Kompromiss wird es ja auch vielseitiger.

Fotos KidsDas Cover von „Kids“ – ist das ein Kindheitsfoto von euch?

Tom: Ne, das sind die Kinder von einer Freundin von mir. Das ist aktuell.

Deniz: Das ist hier in Berlin in einem Park entstanden.

Verrückt. Das hätte auch etwas Altes sein können, aus eurer Kindheit.

Deniz: Total! Auch die Klamotten, die die beiden anhaben.

Tom: Das wäre natürlich noch besser gewesen. Die Freundin fand, das wäre doch ein super Cover und mich meinte, bin ich sofort dabei. Wir haben es dann eine Weile liegen lassen und als das Album fertig war nochmal drüber gesprochen.

Und war der Albumtitel schon vorher da?

Deniz: Nein, der ist mit dem Bild entstanden.

Tom: Wir haben natürlich vorher schon versucht einen Titel zu finden. Zusammen mit dem Foto dachten wir dann, „Kids“ ist doch ein super Titel. Ich mochte den Gedanken, weil genauso sind wir auch an die Musik ran gegangen. Die Grimassenschneiderei auf dem Foto, das ist ja auch genau die Art und Weise, wie wir mit unseren Hörern – oder auch Nicht-Hörern – umgehen. Also auf eine spielerische Art, keine Fuck You Attitüde. Mehr ein freundliches Ätsch!

Interview: Gabi Rudolph

Foto: Alexander Gehring

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