Finn Andrews von The Veils im Interview

The-Veils-photo-by-Jessica-Maccormick-Interview

„Einer der größten Fehler unserer Generation ist es zu denken, es gebe keinen Grund etwas zu sagen.“ – Wir haben Finn Andrews, Frontmann von The Veils, zum Interview getroffen. 

Alles begann in einer Bar in Los Angeles. Finn Andrews trifft dort auf EL-P (Run The Jewels), der sich als großer Fan seiner Band The Veils herausstellt. Sie trinken zusammen Margaritas und verabreden sich, um bei EL-Ps Freund Wilder Zoby etwas aufzunehmen. Da entsteht der brodelnde Opener „Axolotl“. Die Lyrics singt Andrews direkt in das Mikrofon eines Laptops. Ein neuer Albumansatz ist geboren. Zurück in London nimmt man weitere Stücke auf. Das Album „Total Depravity“ lebt von der Zerrissenheit Andrews’ und der Aufnahmezeitpunkte, für die The Veils wie auch EL-P mal in Portugal, New York und London Freiräume schafften. Als Andrews im Berliner Michelberger Hotel sitzt und sich auf einer kleinen Holzbank im Innenhof zurücklehnt, scheint es einer der wenigen Momente zu sein, in denen er durchatmen kann. Nach fünf Alben haben The Veils noch einmal einen Neuanfang gewagt. Ein Interview mit Finn Andrews über Träume, Neuseeland und Goldfische.

Inwiefern unterscheidet sich deine heutige Verfassung von der auf dem Album?

Es ist mir wichtig zwischen meinen Gedanken und denen in den Songs eine Linie zu ziehen. Ich schaffe so eine Balance zwischen den zwei Seiten von mir. Ich wüsste sonst gar nicht wie ich weitermachen sollte, wenn ich mir nicht in den Songs auch mal etwas von meinen Schultern laden könnte. Wahrscheinlich würde ich dann im Alltag die Person aus meinen Songs werden. Es ist wie mit Haustieren: Die Katze sollte nicht zu nah beim Goldfisch sein.

So wie du hat auch „Total Depravity“ zwei verschiedene Seiten, oder?

Stimmt, es beginnt synthetisch und dann wird erst langsam die Band angeschwemmt. In „Iodine & Iron“ und „House of Spirits“ sind alle Instrumente hörbar, bis der Sound danach wieder synthetischer wird. Es sollte einem natürlichen Fluss entsprechen.

Die einzelnen Songs sind dagegen überhaupt nicht in einem Fluss entstanden.

Eine beängstigende Zeit. Es war fast schon zum Verzweifeln, weil wir an all den Songs gearbeitet haben, ohne zu wissen, ob sie nachher zusammenpassen würden. Nichts war fertig, alles nur halbgar. Ein pures Experiment. Wir gaben das Geld vom Label aus und drückten die Daumen, dass wir keinen Mist verzapften. Für ein weiteres Album hätten wir kein Geld gehabt.

Die Band ist aber nicht beim gesamten Kreationsprozess dabei, richtig?

Es ist schon eine ziemlich einsame Sache. In der Regel kommt die Band erst anderthalb Jahre, nachdem ich mit dem Schreiben begonnen habe, dazu. Wir proben dann, nehmen auf und danach gehen sie wieder. Sie haben noch andere Leben. Nur ich nicht. (lacht) Trotzdem sind wir eine Familie. Sie sind immer in den Kreationsprozess involviert, auch wenn sie nicht physisch da sind. Gerade Soph (Sophia Burn, Bass; Anm. d. Red.) schicke ich vieles zu und bitte um ihre Meinung. Wenn sie einen Song schlecht findet, ist er gestorben.

Was macht die Band in ihren anderen Leben?

Sophia und ihr Ehemann haben sich gerade ein Haus gekauft. Dan (Raishbrook, Gitarre; Anm. d. Red.) hat fünf Hunde oder so. Er muss ständig mit denen Gassi gehen. Ubi (Uberto Rapisardi, Piano, Anm. d. Red.) arbeitet an vielen Musikprojekten. Er hat ein wirklich nettes Leben. Und Henning (Dietz, Schlagzeug; Anm. d. Red.) managt uns, spielt live mit und ist generell immer gut beschäftigt.

Aber zwischenzeitlich war Henning nicht mehr auf der Bühne zu sehen. Warum?

Da haben wir ihn sehr vermisst. Er hatte die Band verlassen, weil er Vater wurde und deshalb nicht ständig Touren konnte. Aber mittlerweile ist seine Tochter älter und es ist für ihn leichter auch mal länger von zu Hause weg zu bleiben.

Nun zu dir. Du scheinst in deinen Songs gern zu betonen, dass es nicht allein Schwarz und Weiß gibt, sondern viele verschiedene Schwarztöne.

Oh, ich dachte erst, dass du von vielen verschiedenen Farben sprichst. Aber nein, du redest nur über verschiedene Schwarzschattierungen. (lacht) Wow. Ich bin schon ein monochromatischer Typ, fair enough. Aber hey, wenigstens trage ich heute Blue Jeans. Das musst du mir lassen.

Die hast du dir doch nur ausgeborgt.

Das stimmt sogar. (lacht) Jedenfalls finde ich die Platte gar nicht so düster. Sie besteht aus Rottönen, aus dunklem Blau und Unterwassergrün. Schwarz klingt für mich zu negativ. Aber was weiß ich schon … Ich bin nicht der, den man zur Farbe Schwarz etwas fragen sollte.

Dann lass uns über Gelb reden.

Das ist Dans Lieblingsfarbe. Sein Traum ist es sich ein richtig albernes, gelbes Sportauto zu kaufen. Eines für eine halbe Million Pfund. In mental yellow. Wenn er Geburtstag hat, schenken wir ihm immer etwas in gelb. Das muss dann aber auch so ein wirklich abstoßendes Gelb sein. Er liebt das! Ein anderer Traum von Dan ist es, einen Garten voller Bonsais zu haben.

Welche Träume hast du?

Als wir an dem Album arbeiteten, hatten wir zwei Jahre lang ein Studio in London. Es war nicht sehr schön und hatte nicht einmal Fenster. Wir mussten die Tür offen lassen, um nicht zu ersticken. Trotzdem war das mein wahr gewordener Traum. Endlich konnten wir unser Equipment an einem Ort stehen lassen und mussten es nicht für jede Probe neu aufbauen. Das war das Beste.

Wie sieht dein Traumstudio aus?

Es gibt in Neuseeland einen Strand mit schwarzem Sand, Bethells Beach heißt er. Und dann gibt es da noch diese kleine Insel, die eigentlich eher ein großer Stein ist. Darauf befinden sich ganz hohe Bäume. Da hätte ich gern mein Studio. Das ist ein sehr materialistischer Traum, ich weiß. Aber dieser würde mir erlauben weniger materialistische Träume zu haben und einfach mein Ding zu machen. Ich wünsche mir, einmal richtig Zeit und Raum für alles zu haben. Doch die Sicherheiten, die auch Freiräume mit sich bringen, hatten The Veils nie. Wir mussten immer kämpfen. Nicht so wie beispielsweise Smash Mouth oder Crazy Town. Diese Bands haben dank eines Hits Häuser in Malibu. Aber gut sind die nun auch nicht. Wahrscheinlich braucht man den Kampf.

Wieso hältst du diesen Kampf durch?

Ich liebe es Songs zu schreiben. Es macht alles klarer für mich, gibt meinem Leben Struktur und Bedeutung. Ich wüsste gar keine Alternative dazu. Ich habe auch ein schon an einem sehr reduzierten Soloalbum gearbeitet. Nur Piano und Stimme.

Das Video zu „Axolotl“ ist das Gegenteil von reduziert.

Bevor ich als Teenager anfing Gitarre zu spielen, wollte ich Filme machen. Es war für mich deshalb besonders schön so involviert in einen Videodreh zu sein. Wir nahmen es in Bethells Beach auf und viele von meinen besten Freunden sind dabei gewesen. Der American-Football-Player ist einer meiner ältesten Freunde. Mit ihm, der Cheerleaderin und dem Polizisten bin ich zur Schule gegangen. Es war, als wären wir wieder 15. Nur, dass wir eigentlich über 30 und inzwischen wirklich gut in dem sind, was wir tun.

Du lebst zwar in London, hast aber scheinbar noch eine enge Verbindung zu deiner früheren Heimat Neuseeland.

Je älter ich werde, desto mehr weiß ich es zu schätzen. Mit 15 wollte ich nur noch die Highschool beenden und aus Neuseeland verschwinden. Es fühlte sich so klein an. Ich war von allem genervt. Meine Freunde von damals sind zwar mittlerweile überall auf der Welt verstreut, aber kommen trotzdem jeden Sommer zurück und nehmen sich Zeit, so dass wir etwas gemeinsam machen können. Ich sehe es schon kommen, dass wir alle bald Familien haben und zurückziehen.

Wieso glaubst du das?

Neuseeland ist das Gegenteil von London. In Neuseeland gibt es für Bands nicht den gleichen Druck wie im Musikepizentrum London. Da kann man sich in Ruhe ausprobieren, ohne dass eine große Öffentlichkeit zuschaut. Ich bereue, dass ich Neuseeland so früh verlassen habe. So stand ich schon mit 17 im Spotlight. Aber wenn mir alles zu viel wird, dann fliehe ich nach Neuseeland.

Wie ist es jetzt in London, nach dem Brexit-Votum?

Eigentlich fühle ich mich nirgendwo richtig zugehörig. Aber nun merke ich, dass ich mich schon englisch fühle und dadurch auch extrem peinlich berührt bin. Ich frage mich, ob ich dort noch leben sollte. Und gleichzeitig fühle ich mich so machtlos.

Das bist du aber nicht.

Wir sind schon eine komische Generation, oder? Ich wuchs mit einem Vater auf, der in Punkbands war. Er bemühte sich. Seine Generation dachte, sie würde die Welt ändern können. Aber wir sind mit dieser Frage aufgewachsen: Können wir das wirklich? Wird dieser Song tatsächlich etwas verändern? Hat „God Save the Queen“ irgendetwas getan? Einer der größten Fehler unserer Generation ist es zu denken, es gebe keinen Grund etwas zu sagen, weil uns keiner hört und wir eh am Arsch sind.

Album-VÖ: 26.08.2016 via Nettwork Records

Interview: Hella Wittenberg, Foto: Jessica MacCormick