Ezra Furman, 15.02.2018, Festsaal Kreuzberg Berlin

Leichte Unruhe im Festsaal Kreuzberg. Wann tritt er endlich auf? „Ich flippe aus, wenn er auf die Bühne kommt. Ich flippe einfach aus“, wiederholt ein Mädchen mantraartig neben mir. Und dann… eine Hymne ertönt. Vier weißgekleidete Männer betreten die Bühne. Kurz nach ihnen dann: Ezra Furman. Mit schwarzer Jeans, T-Shirt, schwarzem Mantel und Perlenkette schwebt er auf die Bühne. Er tanzt wie eine Ballerina ein paar Runden, schwingt seinen Mantel und wirft ein paar theatralische Blicke aus seinen kajalumrandeten Augen gen Decke. Das Publikum ist verzückt.
Ezra Furman gibt von der ersten Minute alles. Er singt, er schreit, er jubelt, er leidet. Mit jedem Ton. Mit jeder Faser seines Körpers. Immer wieder torkelt und fällt er wie im Rausch über die Bühne, verheddert sich in Kabeln und droht in die erste Reihe zu fallen. Der Abend ist musikalisch gesehen eine Reise durch die verschiedensten Genres: Singer-/Songwritersongs, ein bißchen 50er-Jahre-Doo-Wop, Punk, Rock sowie klassische Protestsongs. Und dann natürlich der Sound der neuen Platte „Transangelic Exodus“: Düstere Songs mit Soundeffekten, die einen an Horrorfilme erinnern. Furman singt mit zerbrechlicher Stimme, er singt mit kräftiger Stimme, er wimmert, er schreit, er sabbert, er krümmt sich, er lacht, er tobt über die Bühne. Er ist schüchtern und zugleich eine Rampensau. Immer wieder schlüpft er in andere Rollen. Er inszeniert seine Musik und seine Texte. Da oben auf der Bühne findet nicht nur ein Konzert statt, da oben findet Kunst statt.
Aber nicht nur das, was da auf der Bühne passiert, fasziniert. Auch das Publikum selbst ist unterhaltsam. Neben ganz normalen Konzertbesuchern aller Altersklassen und zahlreichen Hipstern gibt es – und ich meine es wirklich liebevoll – eine recht beeindruckende Menge „Freaks“. Einige scheinen in eine Art Trance zu geraten. Eine Frau schlägt sich immer wieder die Hände vors Gesicht und ruft: „Oh Jesus! Jesus! Jesus!“ Eine andere schwingt ihren gefühlt 20 Meter langen, dicken Zopf durch sämtliche Gesichter in ihrer Nähe, lacht laut und schreit immer wieder: „Ihr dürft tanzen, Leute!“ Ein Pärchen flippt bei einigen Songs so aus, dass sie sich und andere tanzmäßig so hart rannehmen, dass es an ein Wunder grenzt, dass es keine Verletzten gibt.
Nach dem letzten Song ist klar: Es muss eine Zugabe geben. Diese folgt recht zügig und ergibt ein eigenes kleines Konzert. Am Ende haben Ezra Furman und seine vier weißbekleideten Musiker fast zwei Stunden gespielt.
Ich laufe durch die kalte Berliner Nacht und lasse mir das eben Erlebte nochmals durch den Kopf gehen. Es ist keine Mainstream-Kost gewesen. Vielmehr hat uns Furman mitgenommen auf einen musikalischen Roadtrip durch allerlei sexuelle, seelische und politische Turbulenzen. An vielen Stellen hat dieser Mann fast etwas kindliches, weil er so frei agiert. Und manchmal schien ihn selbst genau das ein wenig zu erschrecken. Vielleicht war all das auch einfach nur sehr gut inszeniert. Auf alle Fälle war es ein kleines Gesamtkunstwerk, das Ezra Furman – mit Unterstützung seines Publikums – da geboten hat. Es war herrlich!

Text und Fotos: Yasmin Parvis