Dennis Lyxzén im Interview: „Musik muss wie Schleifpapier sein“

Weniger Gitarren, mehr Rhythmus: Dennis Lyxzén hat mit seiner Band INVSN auf dem Album „The Beautiful Stories“ was Neues ausprobiert. Ich auch. Der Schwede, der auch Refused, The (International) Noise Conspiracy und The Lost Patrol auf den Weg brachte, darf sich nämlich dieses Mal seine Fragen selbst aussuchen. Und zwar aus einer Box mit Fragen, die andere Künstler in ihren Songs stellen. Das könnte ganz spannend werden!

Why Don’t You Play The Game? (Daft Punk)

Ich hatte nie vor Musiker zu werden. Punkrock habe ich nur zufällig entdeckt. Dann merkte ich, dass ich damit sehr gut meine Ängste und Probleme verarbeiten kann. Ich hätte aber nie im Traum daran gedacht, einen echten Beruf daraus zu machen. Dafür war ich gar nicht selbstbewusst genug. Ich glaubte, das Musikmachen würde nur die Zeit überbrücken, die ich brauchte, um mein Leben in den Griff zu kriegen. Als sich Refused auflösten, wollte ich zur Uni, Soziologie studieren und Dozent werden. Meine Noten waren dafür aber viel zu schlecht. Also habe ich mit INVSN angefangen und ich kann mir jetzt nicht mehr vorstellen, was Konventionelleres zu machen. Es geht nicht um Erfolg, sondern darum, mich selbst auszudrücken. Musik definiert mich als Mensch. Und deshalb spiele ich nicht das Spiel mit.

Are You Happy Now? (Michelle Branch)

Ich mache mich ganz gut. Momentan läuft es mit der Kreativität und der Band bestens. Auf unser neues Album bin ich ziemlich stolz.

Da verstehe ich nur nicht, wieso es so kurz geraten ist.

Keiner hat mehr eine große Aufmerksamkeitsspanne. Das zeigen auch unsere Spotify-Statistiken. Da laufen die ersten Songs eines Albums gut, die Mitte so mäßig und den letzten Track hat sich niemand mehr angehört. Deshalb wollten wir es dieses Mal kürzer halten und einfach bald wieder eine weitere Platte hinterherschieben. Dazu muss ich noch sagen, dass die Spotify-Version nichts mit unserer Vinyl-Variante zu tun hat. Spotify hat selbstständig die vermeintlichen Hits nach vorne geschoben. Wer Vinyl kauft, findet darauf unsere Reihenfolge. Wobei die Platte auch nicht mehr so selbstverständlich für viele ist. Neulich kam ein Mädchen nach einem Konzert zu mir an den Merchandise und wollte unsere Musik kaufen. Also gab ich ihr unsere Platte, woraufhin sie mich fragte, was das sei. Ich fand es schon sehr lustig, dass sie mit dem Vinyl-Format rein gar nichts anfangen konnte.

Where Are You Going? (Dave Matthews Band)

Alles scheint heute den Anspruch zu haben, Mainstream zu sein. Wenn man das nicht ist, wird man zum Beispiel in Schweden nicht mal im Radio gespielt, wodurch man quasi als Band nicht existent ist in diesem Land. Es gibt generell immer weniger Plattformen für Alternative Music. Ich würde gern wieder in eine Richtung gehen, in der das Anderssein zelebriert wird. Musik sollte nicht nett sein wollen. Sie sollte wie Schleifpapier sein. Und trotzdem bekannt sein. Ich wünschte mir, dass wir uns mit INVSN keine Sorgen ums Überleben machen und nicht jedes Mal bei Null anfangen müssten. Am meisten würde es mich glücklich machen, wenn unsere Bassistin Sara Almgren vom Musikmachen leben könnte und nicht noch einen weiteren Job haben müsste. Sie ist so talentiert, hat schon um die 20 Platten herausgebracht. Ihr erstes Konzert spielte sie 1995 – trotzdem ist es nicht drin, dass sie ihren anderen Job kündigt.

How Strong Are You Now? (Rascal Flatts)

Ich fühle mich ziemlich stark. Ich spiele regelmäßig Football und mache mehrmals die Woche Yoga. Das ist meine Art der Meditation. Mein Kopf ist nämlich ein allseits gegenwärtiges Monster, das nur beim Footballspielen und Yoga ausgeschaltet werden kann. Da bin ich dann mal ganz bewusst in meinem Körper und breche aus meiner Routine aus. Aber sonst ist alles eine Inspirationsquelle und ich will ständig kreativ sein. Mit den zwei Bands, INVSN und Refused, klappt das auch ganz gut. Ich hatte jedoch einmal zwei Wochen am Stück Freizeit. Das hat mich komplett depressiv gemacht. Also höre ich lieber nicht mit meinen kreativen Kreislauf auf.

Why Can’t I Be You? (The Cure)

Das Problem, das man als hyperaktiver Mensch hat: Man muss die ganze Zeit mit sich leben. Auch wenn das extrem ermüdend sein kann. Aber ich will trotzdem niemand anderes sein, nur mein besseres Ich. Wie gerne würde ich mein ganzes Potential ausschöpfen, bei dem ich es auch noch nebenbei schaffe, ein Buch zu schreiben und regelmäßig joggen zu gehen. Doch das sind Pläne, die ich meist nicht richtig durchziehe, was aber auch schon wieder ziemlich menschlich ist, oder?

What’s The Matter With The Kids Today? (NOFX)

Ich finde, die Kids heutzutage sind fantastisch. Sie sind nicht so rassistisch und sexistisch wie früher. Sie machen sich nicht mehr so viele Gedanken über Schubladen und sind insgesamt offener. Musikgenres sind ihnen egal. Und dank des Internets sind sie auch noch viel gebildeter und generell politischer. Ich glaube an die Kids von heute.

What’s The Ugliest Part Of Your Body? (Mother Of Invention)

Bis ich 35 wurde, sah ich immer superjung aus. Und dann, urplötzlich, sah ich superalt aus. Ich konnte mit einem Mal viele Veränderungen an mir entdecken. Das hat mich eine ganze Weile ziemlich runtergezogen. Aber nun bin ich Mitte 40 und komme immer besser mit mir aus.

What’s Normal Anyway? (Miguel)

Auf der neuen INVSN-Platte gibt es den Song „Deconstruct Hits“, in dem ich singe „We constructed everything, let’s deconstruct it all“. Wir denken oft, dass die Welt so eine göttliche Gegebenheit ist, die so ist, wie sie ist. Dabei ist die Welt ein Konstrukt, das wir uns selbst ausgedacht haben. Und die vielen Dinge, die wir denken, tun zu müssen, sind nur dafür da, um uns zu kontrollieren. Wir müssen gar nicht nach diesem Schema F leben. Wir müssen kein sogenanntes „normales“ Leben führen. Normal bedeutet ja meist nur, dass es viele Menschen tun. Dadurch wird etwas legitim. Aber ich war noch nie normal. Ich wurde schon früh von der Schule geschmissen. Das war auch nichts für mich. Und so ging es mit mir und dem Normalen weiter. Nur manchmal bekomme ich eine „Normality Crisis“. Da denke ich dann an all die Leute um mich herum, die in meinem Alter sind, eine Familie, ein Haus und einen stabilen Job haben. Und dann frage ich mich, was ich hier eigentlich tue. Ich sammle Punkrock-Singles auf Vinyl. Was zur Hölle? In solchen Momenten muss ich mir mit aller Macht wieder vergegenwärtigen, dass dieses Normalsein ein Konstrukt ist. Und ich es eigentlich mag, dass jeder seine eigene Realität kreieren kann. Auch wenn der Druck mit dem Alter größer wird. Wenn man als Teenager rebelliert, ist das okay. Doch wenn man in seinen 40ern ist und immer noch nicht das normale Leben der anderen mitspielt, glauben die Leute, man ist wirklich verrückt. Aber das ist mein Plan. Ich werde einfach ein sehr exzentrischer alter Mann werden.

Interview und Fotos: Hella Wittenberg

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