Danke, Prince

PrinceEs war 1993, ich war 17 Jahre alt und wollte ein Tattoo. Dort wo ich aufgewachsen bin, in Bayern auf dem Land, gab es nicht allzu viele Alternativen wenn es um die Erfüllung eines solchen Wunsches ging. Also fuhr meine Mutter mit mir zu einem Tätowierertreffen in einer Kneipe im Nachbarort. Am Ende des Abends hatten wir nicht nur eine Menge neuer, wirklich freundlicher Rockerfreunde, ich war auch stolze Besitzerin des heiß ersehnten Tattoos: ein Zeigefinger großes Lovesymbol auf dem Rücken.
Ein paar Wochen später, während eines Familientreffens, wurde eben jene Tätowierung zum Auslöser einer heftigen Diskussion. Wie man sich denn den „Namen“ eines Künstlers tätowieren könne. Mit 17. Und dass meine Mutter das auch noch erlaubt habe. „Du bist doch noch so jung, das sind doch alles Spinnereien!“ „Nächste Woche findest du jemand anderen gut und in ein paar Jahren ist dir das peinlich.“ Je mehr man auf mich einredete, desto sturer wurde ich. Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits seit fünf Jahren glühende Verehrerin von Prince und seiner Kunst. Das ging nicht so schnell vorbei, das wusste ich. Und selbst wenn, dann würde ich mich immer an diese Zeit, diese Begeisterung, diese Liebe erinnern. Wie könnte mir das jemals peinlich sein? Außerdem war ich bereits geübt darin, mich und meine Leidenschaft zu verteidigen. In meinem Umfeld war es wenig cool Prince zu hören. Und dass man mal einen Teenager Crush auf einen Musiker oder Schauspieler hatte mochte vorkommen. Da mussten alle mal durch. Dass man aber über Jahre hinweg immer den gleichen Namen auf sein Hausaufgabenheft kritzelte, dass man manchmal nicht auf eine Party mitkam, weil man lieber abends zuhause sein und die lang erwartete neue Platte hören wollte, immer wieder von vorne, das war schon ganz schön crazy. Am Anfang war es mir tatsächlich manchmal peinlich. Mit 17 war ich dann bereits so abgehärtet, und vor allem so überzeugt von der Musik und dem Lebensgefühl, das sie für mich bedeutete, dass auch die schimpfende Verwandtschaft mir nicht viel anhaben konnte. Im Gegenteil, sie taten mir eher leid. Noch nie das Kribbeln gespürt, das schon beim ersten Gitarrenakkord von „Purple Rain“ einsetzt? Wie traurig.
Heute, 23 Jahre später, kann ich mit Stolz behaupten, dass ich die Anschaffung dieser viel diskutierten Tätowierung nie bereut habe. Fast 30 Jahre lang war und ist Prince die geschmackliche Konstante in meinem Leben, an der sich alle anderen stets orientieren mussten. Auch wenn ich nicht immer mit allem einverstanden war was er so tat, mir durchaus Götter neben ihm leistete und seit ein paar Jahren das Gefühl hatte, meinetwegen muss er keine neuen Platten mehr raus bringen. Prince ist für mich die Wiege der Popmusik. Und noch so viel mehr.
Nachrufe auf sein musikalisches Können gab es in den letzten Tagen zuhauf. Ich möchte versuchen zu erklären, was ich von Prince für mein Leben gelernt habe. Vielleicht versteht der ein oder andere dann, warum mein Herz seit ein paar Tagen gebrochen ist als hätte ich einen engen Freund verloren. Und warum ich glaube, dass ich nicht der Mensch wäre der ich heute bin, wenn es Prince nicht gegeben hätte.

Meine Begeisterungsfähigkeit

Ich war noch keine 18, da habe ich zusammen mit einer Freundin den Rucksack geschnürt und bin mit ihr einen Sommer lang Prince hinterher gereist, von einem Konzert zum anderen. Ich bin nach London geflogen, nur um ihn spielen zu sehen. Im Nachhinein habe ich mich manchmal gefragt, warum meine Mutter, die in anderen Sachen sehr streng sein konnte, solche Aktionen nicht nur erlaubt, sondern auch unterstützt hat. Heute ist mir klar: 10 Stunden vor einer Halle anzustehen um ein Konzert aus der ersten Reihe erleben zu können war der größte Blödsinn, den ich angestellt habe. Ich habe keinen Alkohol getrunken, geschweige denn Drogen genommen. Die Musik alleine war mein Rausch, den ich in vollen Zügen genießen wollte. Das Gefühl, mit tausenden von Menschen zur gleichen Zeit in Begeisterung zu vergehen war der ultimative Kick. Heute noch ziehe ich ein gutes Konzert jedem anderen Rauschzustand vor. Begeisterung ist für mich der Motor, mit dem ich mich für alles mobilisiert bekomme, auch in der Arbeit. Wenn ich heute mit Künstlern arbeite, ist meine Motivation Begeisterung. Ich begegne jedem Menschen erst einmal mit dem Willen, mich für das was er tut zu begeistern. Und ich habe nie verlernt, Tränen der Freude zu vergießen. Mein Herz ist weit offen. Für Kunst, für Musik, für Menschen im Allgemeinen.

Meine Englischkenntnisse

Als ich mich 1988 über mehrere Tage hinweg mit der „Lovesexy“ Platte in meinem Kinderzimmer verkrümelte, wurde der grüne PONS mein bester Freund. Ich wollte wissen wovon dieser Mann singt. Ausdrücke, die ich im Wörterbuch nicht finden konnte, notierte ich mir auf einem Zettel, den ich in regelmäßigen Abständen meiner Englischlehrerin präsentierte. Ich erinnere mich gut daran wie sie des öfteren verlegen aus der Wäsche guckte. „Das ist ein, ähm… sehr erwachsener Ausdruck, schwierig zu übersetzen…“ Dass Englisch bis zum Ende meiner Schulzeit mein bestes und liebstes Fach war, hatte ganz entscheidend damit zu tun, dass ich die Sprache beherrschen wollte, in der Prince sich so meisterhaft auszudrücken verstand.

Meine Sexualität

Prince ist der Mensch, dem ich meine ersten sündigen Gedanken zu verdanken habe. Oder wie sagte eine Tante von mir einst (nebenbei eine von denen, die am glühendsten gegen oben erwähnte Tätowierung wetterte): „Dieser Mann appelliert an die niederen Instinkte im Menschen.“ Tatsächlich würde ich behaupten, dass Prince meine Sicht auf alles Sexuelle entscheidend geprägt hat. Ich liebte das Anzügliche in seinen Texten. Aber auch seine damit verbundene Zärtlichkeit. Mir hat Prince früh vermittelt, dass Sex etwas Schönes sein soll, etwas für beide Seiten lustvolles. Die Art, wie er Frauen behandelt hat, wie er sie auf ein Podest gestellt, verehrt hat, hat mich selbst in weniger freudvollen Zeiten, in denen ich mich für hässlich, unattraktiv und wenig liebenswert gehalten habe, nie ganz vergessen lassen, dass auch in mir irgendwo „The Most Beautiful Girl In The World“ steckt.

Mein Männerbild

Das in meiner Jugend am meisten gegen Prince ins Feld geführte Argument war: „Der ist doch voll schwul.“ Etwas, das ich nicht nur wahnsinnig dämlich sondern auch komplett unwesentlich fand. Für mich war Prince der Inbegriff eines schönen Mannes. Ob das jetzt ungewöhnlich ist, dass ein Mann hohe Schuhe und Rüschenhemden trägt, daran habe ich nicht einen Gedanken verschwendet. Im Gegenteil, wo stand denn geschrieben dass man das als Mann nicht macht? Ich fand das total organisch, ihn wahnsinnig sexy. Während sich die einen darüber lustig gemacht haben, suchten die anderen in der Zwischenzeit meine Nähe. Irgendwann war ich die, zu der die Jungs kamen, die jemanden gesucht haben bei dem sie sich outen konnten. Bis heute ist übertriebene Männlichkeit etwas, das mich eher wenig anzieht. Ich finde nichts attraktiver, als wenn ein Mann mit seiner Männlichkeit im Reinen ist, aber auch kein Problem damit hat, sich mit der Weiblichkeit in sich und den Dingen zu beschäftigen. Dazu muss er keine Stöckelschuhe tragen, ich habe mit den Jahren einen guten Radar dafür entwickelt, auch wenn es weniger offensichtlich ist. Und dass der Mann mit dem ich heute zusammen lebe meine Begeisterung für Prince ebenfalls seit seiner Kindheit teilt – ich glaube wenig daran, dass das ein Zufall ist.

Am 21. April 2016 hat die Welt einen ihrer bedeutendsten Musiker verloren. Und ich, wie viele andere mit mir, einen Menschen den ich von Herzen geliebt habe. Nur wenige Stunden nach seinem Tod explodierte mein Telefon mit Nachrichten von Menschen, die wissen wollten wie es mir geht. Immer wieder der Satz: „Ich habe sofort an Dich gedacht.“  Das ist, neben aller Trauer, auch wahnsinnig schön. Ich werde noch sehr viel Zeit damit verbringen können, mit geliebten Menschen Erinnerungen zu teilen. Und zum Glück gibt es immer die Musik. Wie mein vierjähriger Sohn gestern sagte: „Aber mit dieser schönen Musik bist du doch ein bisschen weniger traurig.“
Wenn ich als Teenager traurig war, habe ich mich manchmal mit dem Gedanken aufgeheitert, dass irgendwo da draußen dieses verrückte, überirdische Wesen steckt, tatsächlich lebt und die gleiche Luft atmet wie ich. Jetzt muss ich mich erst einmal daran gewöhnen, dass es nicht mehr so ist. Kann noch ein Weilchen dauern. Bis dahin bin ich dankbar, dass Prince mich zu der gemacht hat, die ich heute bin.

Gabi Rudolph