Ásgeir im Interview: „Ich habe nicht so sehr das Bedürfnis, mich in Worten auszudrücken“

Der Isländer Ásgeir ist Musiker, aber wohl auch ein kleines bisschen Zauberer. So lässt sich am leichtesten erklären, warum jeder, mit dem man über Ásgeir spricht, sofort ein leicht verklärtes Lächeln blicken lässt. Sich mit Ásgeir zu unterhalten ist eine typisch isländische Begegnung. Er ist ruhig, fast ein bisschen schüchtern, spricht langsam und mit Bedacht und haut dann doch eine skurrile Anekdote nach der anderen raus. Am Ende wurde es ein langes Gespräch über sein neues Album „Afterglow“, Island, Familie, Sport, und Netflix.

Du bist in einem sehr kleinen Ort aufgewachsen.

Ja, auf der Nordwest-Seite von Island, in einer Stadt namens Laugarbakki. Sehr klein. Vielleicht 50 Einwohner.

Wie ist es, in so einer Umgebung aufzuwachsen?

Es ist nicht so weit von Reykjavik weg und eine etwas größere Stadt ist in unmittelbarer Nähe. Die ist viel größer. Aber immer noch sehr klein (lacht). Da wo ich aufgewachsen bin gibt es noch nicht einmal Geschäfte. Zum Einkaufen muss man in den Nachbarort. Es hat gute und schlechte Seiten. Jeder weiß natürlich alles über jeden. Ich mag es aber irgendwie. Von dort nach Reykjavik zu ziehen war etwas seltsam für mich, ein schwieriger Übergang. Reykjavik ist dagegen eine richtige Großstadt. Und das Leben dort ist so anders. Man kann sich dort in der Menge verstecken. Es ist aber nicht wie New York oder so (lacht).

Als ich vor ein paar Jahren in Reykjavik war, war ich fasziniert davon, wie groß die Musikszene ist, im Vergleich dazu wie viele Menschen dort leben. Jeder spielt gefühlt mindestens in zwei Bands und hat noch ein Soloprojekt nebenher.

Ja, ich weiß was du meinst. Bei mir war das ein bisschen anders. Ich bin erst nach meinem ersten Album so richtig in die Musikszene in Reykjavik gerutscht. Dann war ich die meiste Zeit auf Tour. Ich war nie dieser Typ, der in zehn Bands parallel Gitarre gespielt hat (lacht).

Und dann kam dein Album raus und alle so – wer ist das denn?

Ja, genau so. Wobei, ich war in einer anderen Band bevor alles angefangen hat. Sie hieß „The Lovely Lion“. Das war lustig. Wir haben eine Mischung aus Folk und Jungle gespielt.

Wie bist du denn überhaupt auf die Idee gekommen Musik zu machen? Sind deine Eltern musikalisch?

Ja, meine Mutter ist Musiklehrerin und spielt Orgel in der Kirche. Mein Vater spielt auch einige Instrumente. Ich habe fünf Geschwister, die auch alle Instrumente spielen. Eine sehr musikalische Familie. Ich erinnere mich, dass meine Eltern mich ermutigt haben ein Instrument in die Hand zu nehmen, als ich sieben war. Ich habe es sofort geliebt. Ich habe Gitarrenunterricht genommen und mein Gitarrenlehrer war lange mein großes Vorbild. Ich habe sehr zu ihm aufgeschaut. Mein älterer Bruder ist auch Gitarrist und Sänger, den habe ich auch bewundert. Und dann natürlich die Bands, die ich damals gehört habe, die haben mich inspiriert. Das Songschreiben hat mich auch schon sehr früh fasziniert.

Was war der erste Song, den du jemals geschrieben hast?

(lacht) Ich habe nie wirklich Texte geschrieben. Ich erinnere mich an einen, da war ich neun Jahre alt und hatte gerade meine erste Band gegründet. Da habe ich einen Text geschrieben, irgendwas wo ganz oft „Stay Away“ drin vorkam. Viel mehr auch nicht. Ich bin mir auch nicht sicher ob es überhaupt eine Melodie zu dem Text gab. Wir waren die meiste Zeit damit beschäftigt zu entscheiden, wer welches Instrument spielt (lacht). Geprobt haben wir auch nie so richtig. Aber dafür hatten wir all das typische Drama, dass es in einer Band gibt. Zwei Jungs wollten unbedingt Schlagzeug spielen. Einer fühlte sich von mir benachteiligt. Wir sind nicht sehr weit gekommen. In meiner zweiten Band war ich bis ich 15 war. Da haben wir auch viel geprobt, vier oder fünf Stunden nach der Schule. Das war lustig.

Dann hast du dich aber erst einmal mehr auf Sport konzentriert.

Mein Gitarrenlehrer, von dem ich schon erzählt habe, war Athlet. Er hat mich auch da rein gebracht. Ich habe als ich jung war viel mit ihm trainiert, dann noch der Gitarrenunterricht. Wir haben viel Zeit miteinander gebracht. Ich habe an Wettkämpfen im Speerwurf teilgenommen bis ich 17 war. Am Ende habe ich mich quasi überall verletzt. Man trainiert leicht zu viel, weil man denkt, je mehr man trainiert, desto besser die Ergebnisse. Das stimmt aber nicht immer. Man muss auf seinen Körper hören. Also habe ich mich hier verletzt… und hier… und hier… und unten an den Füßen (zeigt quasi auf jede Stelle seines Körpers), dann musste ich aufhören. Zwei Jahre später ist das mit der Musik passiert.

Und du hast dein erstes Album aufgenommen.

Genau.

Hast du die Texte dann selbst geschrieben? Weil du meintest, früher lag dir das nicht so.

Nein, nicht so richtig. Ich habe die Songs geschrieben und ich habe auch Texte zu den Songs geschrieben. Aber das war nur Kauderwelsch, etwas das automatisch aus mir raus gekommen ist. Damit habe ich für mich selber rum gespielt. Niemand hat sich das angehört außer ich, ich wollte es auch gar nicht. Obwohl, das ist gelogen. Ich wollte schon, dass etwas daraus wird. Ich war nur nicht der Typ, der von sich aus alles gibt. Ich brauche jemanden, der mich pusht. Hier kommt wieder der Gitarrenlehrer ins Spiel. Er hat genau das gemacht. Ich habe ihn meine Songs hören lassen und er meinte, da musst du was draus machen. Wir sind gemeinsam zu einem Producer in Island gegangen, dem habe ich meine CD gegeben. Am nächsten Tag hat er angerufen und wir haben angefangen mein erstes Album aufzunehmen. Ich hatte aber immer noch diese Phantasietexte. Ich habe nicht so sehr das Bedürfnis, mich in Worten auszudrücken. Mir reicht die Musik. Der Producer meinte, wir sollten versuchen, etwas auf isländisch zu machen. Mein Vater ist Dichter und er hat auch schon Texte geschrieben. Also habe ich ihm einen Song geschickt und er hat den Text dazu geschrieben. So ist es passiert. Drei Texte hat dann noch ein Freund von mir geschrieben.

Von dir kommt die Musik, dein Vater liefert die Worte dazu. Das ist total abgefahren. Und versteht ihr euch dabei auch immer gut?

Ja, irgendwie schon. Es ist nicht wirklich eine klassische Zusammenarbeit. Wir haben ein sehr gutes, entspanntes Verhältnis zueinander, wenig Konflikte. Wir geben uns gegenseitig sehr viel Freiheit. Er hat so einen großen Wortschatz, viel größer als meiner. Man findet in meinen Texten viele alte isländische Wörter, Vokabeln, die inzwischen nahezu verloren sind. Man kann sie schon verstehen, aber die Sprache ist viel bildlicher. Dadurch geht es wieder mehr um Gefühle. Wir passen also gut zusammen.

Ist die Beziehung zu deiner Familie generell so entspannt?

Ja. Wir haben kaum Konflikte. Wir streiten uns nicht. Wenn es ein Problem gibt, reden wir darüber. Es gibt sehr viel Vertrauen.

War das schon immer so?

Ja. Ich war aber auch einfach ein gutes Kind. Ich wollte nur Gitarre üben und Sport machen. Ich habe quasi nie Dummheiten gemacht (lacht).

Auf deinem neuen Album sind die Texte jetzt auf Englisch. Hat sie auch dein Vater geschrieben?

Nein, bei diesem Album hat mein Bruder die Texte ins Englische übersetzt. Ein richtiges Familienbusiness (lacht). Er ist auch Texter und Songschreiber. Mein erstes Album ist später ja auch noch auf Englisch raus gekommen, da hat John Grant die Texte übersetzt.

Wie fühlst du dich damit, englische Texte zu singen, im Vergleich zu den isländischen?

Am Anfang habe ich mich den isländischen Texten näher gefühlt. Jetzt bin ich sicherer in beiden Sprachen und fühle mich auch mit dem Englischen wohler. Es hat mich erst etwas eingeschüchtert. Aber es war mehr eine Sache von Selbstvertrauen, nicht dass ich Angst hatte, dass eine Bedeutung verloren geht. Ich bin jetzt einfach sicherer im Englischen.

Hast du manchmal Probleme, dir Texte zu merken?

Oh ja. Ich weiß aber nicht, ob es damit zusammen hängt. Ich denke das passiert jedem. Wobei es schon verwirrend sein kann, dass es von manchen Songs zwei Versionen gibt. Bei dem einen kann ich den isländischen Text besser, beim anderen den englischen. Inzwischen habe ich aber so viele Shows gespielt, da bin ich ein bisschen auf Autopilot. In Deutschland singe ich gerne auch auf isländisch. Ich habe das Gefühl, die Leute schätzen das. Und wenn ich den Text mal vergesse kann ich theoretisch einfach irgendwas singen, sie würden es nicht merken (lacht).

Eine letzte Frage. Ich habe gerade einen Endzeitroman gelesen und bin immer wieder fasziniert von der Thematik, auf was für wackeligen Füßen unsere Zivilisation steht, wenn man uns die Elektrizität weg nimmt. Mal angenommen das würde passieren, die Welt, wie wir sie jetzt kennen wäre am Ende, du würdest aber überleben. Was würdest du am meisten vermissen?

Gerade im Moment: Netflix (lacht).

Mehr als Musik, also aufgenommene Musik? Wenn der Akku vom iPod leer ist, ist’s vorbei.

Hm, ja. Stimmt. Ein bisschen mehr. Nimm das, das ist die bessere Antwort (lacht).

Ásgeir Live:

09.05.2017 Berlin, Festsaal Kreuzberg
10.05.2017 Hamburg, Mojo Club
13.05.2017 München, Strom
17.05.2017 Köln, Luxor

Das Album „Afterglow“ erscheint am 5. Mai 2017.

Interview: Gabi Rudolph

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