2raumwohnung im Interview: Nachhaltigkeit zwischen Nacht und Tag

Erst einmal müssen Komplimente verteilt werden – Inga Humpe sieht wirklich verdammt gut aus. Auf eine sehr lässige, unverkrampfte Art ist das Altern (einmal kurz gegooglet – dieses Jahr ist sie 61 geworden) mal komplett an ihr vorbei gegangen. Von dieser würdevollen Jugendlichkeit, gepaart mit einem wirklich guten Style, könnte Madonna sich eine Scheibe abschneiden. Zusammen mit ihrem Partner Tommi Eckhart bildet sie seit runden 17 Jahren das Electropop-Duo 2raumwohnung, eine Band die Berlin ist wie nur was und auch heute aus der deutschsprachigen Popszene kaum weg zu denken. Das neue Album „Nacht und Tag“ am Start ist man bereit für jede Menge kulturellen Schabernack. Bei Panoramablick auf das draußen wütenden Unwetter erzählen uns Inga und Tommi im Funkturm Restaurant, was sie dieser Tage und Nächte noch so vorhaben.

Dieses „Wie die Zeit vergeht“-Gejammer ist ja eigentlich ein bisschen unsexy, aber wir haben dann doch mal kurz gestaunt als wir nachgelesen haben, dass es 2raumwohnung schon wieder seit 17 Jahren gibt. Bald seid ihr volljährig!

Inga: 17 Jahre. Das ist ein bisschen absurd. Klar ist es eine lange Zeit, aber wenn wir zusammen Musik machen spielt es eigentlich keine Rolle. Auch bei dem was wir früher gemacht haben. Manchmal sagen wir hey, erinnere dich mal was wir alles schon Schönes gemacht haben. Dass wir die Gelegenheit hatten, so viele unterschiedliche Sachen zu machen.

Für viele seid ihr einfach der Inbegriff von Berliner Musik. Wir sind beide um die Jahrtausendwende nach Berlin gezogen, da kam man an euch eigentlich nicht vorbei.

Tommi: Stimmt schon, eine zeitlang ging uns das auch so. Man ging ins Café, da lief’s oder man lief die Straße runter, da tönte es irgendwo aus dem Auto. Es gab zu der Zeit auch nicht so wahnsinnig viele, die auf Deutsch gesungen haben. Heute ist das anders, aber damals war es noch irgendwie komisch.

Inga: Damals war Schlager auch noch nicht so groß wie heute wieder. Das haben nur ganz alte Leute gehört.

Ja, jetzt kommen plötzlich diese ganzen jungen Menschen aus irgend welchen Ecken, die einem verkaufen wollen, dass es doch ganz cool ist mit nem leichten Pegel Helene Fischer zu hören.

Inga: Ich hoffe, dass wir euch gut geprägt haben, dass ihr nicht in sowas zurück fallt! (Gelächter)

Tommi: Ich muss auch sagen, ich akzeptiere alle Musik. Bei mir funktioniert das nur einfach nicht.

Inga: Ich mach’s einfach aus (lacht). Das ist so ein Reflex.

Aber es stimmt, als ihr mit „Wir trafen uns in einem Garten“ auf der Bildfläche erschienen seid, da gab es plötzlich wieder einen guten deutschen Popsong mit nem ordentlichen Text. Da konnte man andocken, ohne dass es einem peinlich sein musste.

Inga: Das versuchen wir ja heute immer noch. Dass die Sprache, das worüber man erzählt, nicht immer die gleichen drei Sachen sein müssen. Dass man auch merkwürdige Perspektiven haben kann, sehr persönliche oder auch mal Themen, die dazwischen liegen. Nicht immer nur: alles ist in Ordnung, alles ist scheiße, alles ist traurig und du bist schlecht. Das fällt für uns raus bei dem, was wir interessant finden. Es soll ja auch inspirieren und einem was geben.

Ab und zu schummelt sich bei euch aber auch die ein oder andere englische Textzeile ein.

Inga: Das haben wir schon immer gemacht, schon bei „Sexy Girl“ oder „Ich und Elaine“.

Wovon hängt es ab, dass das passiert?

Tommi: In erster Linie weil es gut klingt. Und weil es ein bisschen weg führt von dieser Bravheit. Für viele Bands entsteht aus der Frage ob man jetzt Englisch oder Deutsch singt ein Konflikt. Es macht einfach Spaß, diese Grenze bewusst zu überschreiten.

Inga: Uns ging es immer darum, uns nicht zu sehr kategorisieren zu lassen. Irgendwann gab es plötzlich ganz viele deutschsprachige Bands. Dann war auf einmal alles Pop/Rock, dann kam die Schlagerwelle. Das war für uns der Moment wo wir dachten, dass wir mit der Sprache ein bisschen mehr „rumholzen“ müssen. Ein bisschen mehr Bewegung rein bringen. Wir kämpfen uns immer wieder raus aus den Schubladen.

Und trotzdem verliert ihr dabei nie euren Wiedererkennungswert.

Inga: Ja, findet ihr das? Auf dem neuen Album haben wir mit den Tag und Nacht Versionen bewusst damit gespielt. Die sind zum Teil ja sehr unterschiedlich. Ich finde aber trotzdem, es ist immer noch sehr 2raumwohnung mäßig. Dass wir unseren Platz an beiden Ecken verteidigen.

Aber auch damit habt ihr ja früher schon gespielt, mit Electro- und Akustikversionen. Und es ist immer wieder interessant zu sehen, dass die Songs auch im unterschiedlichen Gewand sehr eigenständig funktionieren.

Tommi: Bei diesem Album geht es auch noch stärker um den gesamten Bogen. Es gibt eine Nacht CD und eine Tag CD. Es zieht sich jeweils ein roter Faden durch die zehn Stücke. Die Herausforderung war, dass es auf beiden CDs gleichermaßen funktioniert, obwohl die Stimmung ja eine ganz andere ist. Wir haben uns auch bewusst entschieden, die Reihenfolge gleich zu lassen, obwohl es erst so aussah, als würde das nicht funktionieren. Irgendwann hakte es, aber am Schluss hat es geklappt.

Inga: Auf den ganzen Streamingportalen kann man das auch hin und her hören, wie man lustig ist. Auf der CD kann man entweder nur den Tag oder die Nacht hören. Das fanden wir recht zeitgemäß.

Tommi: Bei der Vinylversion haben wir auch damit gespielt. Es gibt dann natürlich eine Tag-Vinyl und eine Nacht-Vinyl. Die Tag-Vinyl ist weiß. Man muss natürlich ein bisschen aufpassen, dass das nicht zu langweilig nach Konzeptalbum klingt. Da können wir Entwarnung geben (lacht). Alles was wir an zu strengen Ideen hatten, haben wir am Ende wieder aufgeweicht. Am Ende arbeiten wir an den einzelnen Stücken, bis wir mit ihnen zufrieden sind. Dadurch verschleift sich so ein hartes Konzept auch mal, weil ein Song vielleicht gerade etwas anderes braucht als das, was man sich vorgestellt hat.

Inga: Wir machen so etwas ja auch instinktiv, wir sind nicht so die Strategen. Die Grundlage war, dass wir eine Filmmusik gemacht haben, da gab es eine Szene, die vom Club in den Tag überging. Da lag ein Song drunter, in dem wir von der Clubmusik in den Gitarrensound übergegangen sind. Das fanden wir spannend und haben Lust gekriegt, diese Möglichkeit noch bei anderen Liedern aufzumachen. Es ist unser achtes Album und wir dachten ach, jetzt noch ein Popsong und noch einer, wie soll das jetzt werden? Eine andere Sichtweise und ein anderer Schwerpunkt hat es letztendlich auch für uns interessant gemacht. Wir sind ja auch so leichte Ökos (lacht), da dachten wir, dass man auch mit Liedern mal nachhaltiger umgehen kann. Wenn man sich ein Lied anhört in unterschiedlichen Versionen und es so auf unterschiedliche Weise wirken lässt. Die eigene Stimmung macht es ja auch schon immer irgendwie anders. Das gibt dem Lied gleich einen doppelten Wert.

Wisst ihr schon, wie ihr das alles live umsetzen werdet?

Tommi: Mit Nachtkonzerten und Tagkonzerten. Die bis jetzt geplanten Konzerte sind alles Nachtkonzerte. Wir wünschen uns aber im nächsten Jahr auch Tagkonzerte zu machen, die möglichst draußen und tagsüber stattfinden. Da muss es natürlich Sommer sein oder zumindest Frühjahr. Am besten am Wasser. Wir stellen uns da besondere Orte vor. Es ist noch nicht ausgereift, aber wir wollen das auf jeden Fall machen.

Inga: Aber jetzt bei der Nachttour haben wir auch einen kleinen Tag-Block. Da gibt es einen Lichtwechsel und wir spielen ein paar Lieder akustisch.

Ist es nicht schön, wenn man ein Album hat, aus dem heraus man so viele Ideen entwickeln und damit so lange spielen kann? Das ist doch mal wirklich nachhaltig.

Tommi: Das sollte ja auch insgesamt die Idee hinter einem Album sein. Ob wir damit jetzt mehr Leute erreichen werden, das weiß ich nicht. Aber man muss letztendlich das machen, worauf man selber Lust hat. Die eigenen Hörgewohnheiten ändern sich ja auch. Aber die grundsätzliche Idee, wie man es liebt Musik zu hören, das prägt einen natürlich. Allein der Spannungsbogen, den ein Album hat, den zu haben und zu gestalten, das macht einfach Spaß. Neulich erst hat jemand zu mir gesagt, dass unser Album eins der letzten war, das er sich als Ganzes gekauft und angehört hat. Jetzt würde er sich aus allem nur noch die besten Stücke raus picken. Aber das macht das Musikhören doch eigentlich aus, dass man ein ganzes Album hört und dadurch die Stücke vielleicht auch nach und nach entdeckt und diesen ganzen Bogen fühlt. Das ist aber auch das Ding an diesem riesigen Angebot heutzutage, man muss sich irgendwie das Beste raus picken.

Inga: Wenn man so ästhetisch veranlagt ist wie wir, das spielt natürlich auch eine Rolle. Wir sind ja zwei so Styler (lacht). Dass das Artwork schön ist, die Stimmung von dem Ganzen entsprechend rüber kommt. Das spielt doch ins Hörerlebnis auch mit rein.

Tommi: Es ist natürlich unglaublich bequem zu sagen, ich habe auf meine iPad meine drei Lieblingsradiosender. Das ist ja auch toll, dass man Sender aus Kalifornien oder Ibiza hören kann. Ich finde es auch gut, iTunes Playlisten zu hören. Und trotzdem kann man sich dann auch die einzelnen Alben raus suchen und sie hören. Dieses schnelle ran gehen, das faul sein, das ist ja so eine Gestaltungspassivität. Hauptsache man ist erst einmal zufrieden. Oder die Gäste sind zufrieden. Das könnte sich schon wieder ändern, finde ich.

Interview: Gabi Rudolph & Kate Rock

2raumwohnung live:

Special Guest bei YELLO:

31.08.2017 Berlin, IFA-Sommergarten

Nacht Tour:

07.09.2017 CH-Bern, Bierhübeli
08.09.2017 CH-Zürich, X Tra
09.09.2017 Karlsruhe, Tollhaus
13.09.2017 A-Wien, WUK
14.09.2017 München, Muffathalle
15.09.2017 Leipzig, Täubchenthal
16.09.2017 Frankfurt, Gibson
20.10.2017 Hamburg, Mojo
21.10.2017 Köln, Gloria
01.11.2017 Berlin, Astra

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