Mittel gegen Winterdepressionen: Konzerte von Wilco, Jpnsgrls, The Slow Show und Drowners

the-slow-show-5-gretchen-c-doerte-heileweltEs ist kalt, grau und am liebsten würde ich mich in einer Ecke verkrümeln, bis der Winter oder vielleicht doch nur das Jahr vorbei ist. Einfach nicht mehr rausgehen oder nur wenn es wirklich notwendig ist, „Mord ist ihr Hobby“ gucken und sich vielleicht ein wenig zu sehr in einer Winterdepression verlieren… insbesondere wenn man ab und zu mal die Nachrichten einschaltet. Das einzige was mich da rausreißt sind die Konzerte, zu denen ich mich immer wieder aufraffe – immer eine kleine interne Diskussion und Überzeugungsrunde mit mir selber. Obwohl ich es ja besser weiß. Konzerte sind im besten Fall eine kleine Flucht aus dem Alltag. Ich hatte in den letzten Wochen ein paar dieser kleiner Fluchtmöglichkeiten. Wobei: Der größte Name war am Ende am wenigstens mitreißend. Bei Wilco im Tempodrom spürte ich die Verbindung mit der Band nicht – wobei es vermutlich nur mit so ging. Nicht schlecht, aber auch nicht überragend. Eigentlich auch als Sitzkonzert angedacht und als akkreditierter Fotograf durfte man nicht mal in die Nähe der Bühne – völlig verständlich. Schließlich hat die erste Reihe viel Geld bezahlt. Aber ab dem fünften Song hat sich die Sache mit den Sitzplätzen auch relativiert. Ich war gerade erst richtig eingegroovt auf meinem Klappstuhl, da stürmte eine Gruppe junger Menschen nach vorne und viele vom sitzenden Völkchen folgten. So richtig spontan wirkte es aber irgendwie nicht, die Band freute sich und wieso es bei Wilco überhaupt Sitzplätze in der Manege des Tempodrom gab, ist mit unklar. Sitzen wollten die wenigsten, aber auf den Stühlen stehen konnten auch einige – da standen bestimmt auch keine Menschen hinter ihnen, die etwas sehen wollten. Und zu den meisten Songs an diesem Abend, die ihre gesamte bisherige Karriere bis zu ihrem aktuellen Album „Schmilco“ umspannten, musste man sich auch bewegen.

Bei ein paar kleineren Konzerten war es dann so wie es sein soll. Allen voran zwei Bands: JPNSGRLS und The Slow Show. Erstere habe ich an dem Abend nach der berühmt berüchtigten Wahl in Amerika im Badehaus Szimpla gesehen. Ich war kurz davor nicht zu gehen, fast völlig gelähmt von den Nachrichten schien es mir für einen Moment unmöglich zu einer Band zu gehen, die ich nicht mal vorher angehört habe. Zum Glück bin ich doch gegangen. Zusammen mit ihrer Vorband Fizzy Blood spielten sie ein Konzert, bei dem man beim Tanzen zusammen mit Sänger Charlie Kerr alles ausschwitzen konnte. Vielleicht war es aber auch ihr wunderschöner bärtiger langhaariger Bassist Chris McClelland, der mich alles vergessen lies. Wer weiß das schon? Im Gepäck hatten die vier Kanadier ihr tolles neues Album „Divorce“. Und am Ende des Abends habe ich mich bei Charlie bedankt, dass sie mich wenigstens für eine kurze Zeit alles vergessen haben lassen.

The Slow Show spielten vergangenen Freitag im ausverkauften Gretchen. Zuvor ein langer, semi-toller Tag auf Arbeit, danach unterwegs, Termine, Kamera im schweren Rucksack, um am Ende müde und gähnend noch vor Einlass am Gretchen anzustehen und dann müde und gähnen in der ersten Reihe zu stehen. Füße schmerzen. Innerlich jammere ich fürchterlich, alles ist doof, aber nachdem ich die Band kurz beim Reeperbahn Festival gesehen habe, herrscht doch auch eine gewisse Vorfreude. Und zack, mit den ersten Tönen ist das Jammern verstummt und die Müdigkeit weggeblasen. Die Stimme von Sänger Rob Goodwin geht durch Mark und Bein. Da braucht man als Hörer kein großes drumherum und The Slow Show wissen das. Sie begeistern mit einer leichten Kargheit, mit ruhigen Momenten, aber auch in den Momenten, in denen sie förmlich aufblühen. Ich verliere mich in ihrer Musik, singe Texte mit, die ich nicht kenne und fühle Schmerz bei „Hurts“ von ihrem aktuellen Album „Dream Darling“. Überhaupt fühle ich – alles außer den Alltag und das restliche Publikum wohl auch. Das ist zur Abwechselung auch mal gut durchmischt und in der ersten Reihe war ich mal nicht die Älteste.

Nicht so wie bei den Drowners im Maze vor kurzem. Dort hob ich den Altersdurchschnitt der tanzenden (überwiegend weiblichen) Menge durchaus um ein paar Jährchen. Gefühlt zumindest. Aber zu recht waren alle begeistert, auch wenn Post-Punk nicht unbedingt zu meinen favorisieren Musikstilen gehört. Es war wieder einer dieser Abende, bei dem ich mal nicht wußte was mich erwartet und positiv überrascht wurde. Ein erfrischender Abend, der einen mal wieder daran erinnerte keine Musik nach ihrer Box zu verurteilen (aber das passiert mir doch eher selten) und viel wichtiger: rausgehen hilft. Leider scheint mein Kopf das nicht lange zu behalten und ich bin jedes Mal auf’s neue überrascht welch heilende Wirkung so ein Konzert haben kann. Zwei Stunden, in denen alles in Ordnung ist. Danke, liebe Bands!

Als kleine Erinnerungshilfe habe ich noch ein paar Fotos von den Abenden mitgebracht.

Wilco aus der Ferne in ihrem Wäldchen:
Wilco, Tempodrom, Berlin, (c) Dörte HeileweltIm Badehaus Szimpla übezeugten Fizzy Blood und JPNSGRLS:

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Worte & Fotos: Dörte Heilewelt