Joywave im Interview

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Joywave gucken nicht gerne zurück. Denn das, was man ihnen früher über das Leben wie eine Aneinanderreihung von Fakten erzählte, sollte eh nicht eintreffen. Das Quartett aus Rochester musste schnell feststellen: Es ist nicht leicht einen passenden Job zu finden und das Glück kommt ebenso wenig einfach vorbeigeflogen. Doch wie nun auch ihr Debütalbum „How Do You Feel Now?“ beweist, haben Daniel, Paul, Joseph, Sean und Benjamin einen Weg gefunden, um sich in dem Hier und Jetzt wohl zu fühlen. Sie haben sich als Band zusammengetan und können daraus neue Kraft und Hoffnung schöpfen. Wir trafen Joywave in Berlin, nur einen Tag bevor sie auf dem Lollapalooza-Festival einen passionierten Auftritt hinlegten, und sprachen mit ihnen über falsche Lebenserwartungen, Formelhaftes und den irrwitzigen Spaß, den es mit sich bringt eine Platte aufzunehmen.

Auf eurem Album beschäftigt ihr euch vor allem mit dem Themenkomplex Erwartungen versus Realität. An welchem Punkt befindet ihr euch momentan? Seid ihr noch dabei Erwartungen gerecht werden zu wollen oder genießt ihr ganz und gar den Augenblick?

Daniel Armbruster: Ich glaube, wir befinden uns irgendwo in der Mitte. Als wir jünger waren, sagte man uns, dass wir für ein gutes Leben unbedingt aufs College gehen sollten. Aber dann machten wir schließlich noch einmal etwas ganz anderes, unerwartetes. Wir versuchen also nicht mehr die Erwartungshaltung von früher zu erfüllen. Doch unser Job bringt nun eine ganz neue mit sich. Ich hatte mir zum Beispiel unser Tour-Leben nicht so vorgestellt wie es jetzt ist.

Paul Brenner: Ja, unser Lifestyle ist anders als erwartet. Aber es ist ein guter, da wollen wir uns gar nicht beschweren.

Also könnt ihr den Moment schon richtig auskosten?

Daniel: Ich kann das weniger gut. Ich denke ständig über die Vergangenheit oder die Zukunft nach. Diesen Trip nach Berlin kann ich wohl erst in rund drei Monaten wirklich genießen. Dann werde ich zu den anderen sagen: „War es nicht toll in Berlin? Wie genial wäre es dort wieder hinfliegen zu können?“ Und dass, obwohl wir gestern im Regen zu einer Kirche gelatscht sind und ich mich total unwohl gefühlt habe. Aber in meiner Erinnerung vergesse ich Dinge wie Müdigkeit und Unlust. Ich werde nur daran denken wie schön diese Tour war.

Paul: Dabei hast du noch das beste Erinnerungsvermögen von uns allen! Ich kann mich lediglich an ein paar echt fiese Hangover-Momente erinnern…

Sean Donnelly: Oh, denk nur an den Trip von London nach Manchester, als ich den ganzen Weg lang kotzen musste!

Paul: Vor allem werde ich nie in meinem Leben Leeds vergessen. Es ist nicht so, dass ich mir wünschte, es wäre nie passiert. Dennoch war das schon einzigartig, so direkt vor dem Betreten der Bühne brechen zu müssen. Irgendwann hielt schon einer einen Beutel für mich bereit, falls ich noch mal loskotzen müsste. Aber ich muss dazu sagen: Es war die Grippe, die umging! (alle lachen)

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Ich habe den Artikel von Daniel in der Huffington Post gelesen, in dem er erzählt, dass ihm ein College-Abschluss letztlich nicht den erhofften Job und eine gute Portion Zufriedenheit eingebracht hat. Sah es für den Rest der Band ähnlich frustrierend aus?

Sean: Schon. Meine Eltern waren die ersten, die in der Familie aufs College gehen konnten und für sie zahlte sich dieser Schritt aus. Doch das war leider nicht unsere Realität.

Paul: Genau, unsere Eltern erzogen uns nach einer Art Schablone: Wenn man es so macht wie sie es vorgeben, dann kann nur etwas Gutes dabei herauskommen. Rückblickend hätte ich mich wohl dennoch gegen das College entschieden. Ich habe dafür viel zu lange zu große Geldbeträge ausgegeben. Aber ich dachte nun mal, man müsste das so tun.

Benjamin Bailey: Ich habe Piano studiert und mein Dad hielt mich ab dem Moment an nur noch für einen Idioten.

Daniel: Man fällt eben zunächst dem Irrglauben zum Opfer, dass man das studieren könne, was einen interessiert. Deshalb habe ich mich auch für ein Geschichtsstudium entschieden. Dabei ist es noch zu früh, wenn man mit 18 Jahren so eine relevante Entscheidung treffen muss. Später erkennt man dann, dass es klüger gewesen wäre so etwas wie Mathe zu studieren – damit lässt sich nämlich leichter ein Job finden.

Sean: Mir wurde von Anfang an klar gemacht, dass ich etwas studieren müsste, was auch Geld einbringt. Also ging ich auf eine Schule für Kommunikation. Und das klappte auch. Ich arbeitete mir danach zwei Jahre lang in einem Büro den Arsch ab, bevor ich zu dieser Band kam. Mittlerweile habe ich realisiert wie leer sich mein Leben vorher angefühlt hat. Dafür bin ich aber auch lang genug der Vorlage des perfekten Lebens eines guten Amerikaners gefolgt!

In eurem Song „Nice House“ heißt es, dass ihr glaubt schon bald ein hübsches Auto und auch Haus besitzen zu müssen. Sind das materielle Dinge, auf die ihr in der Realität heute noch Wert legt?

Daniel: Nein, aber auf dem Album dreht sich irgendwie alles um diese Art der Erwartungshaltung. Es fängt schon damit an, dass ich in der siebten Klasse an einem Kunstprojekt teilnehmen musste, bei dem man aus verschiedenen Magazinen den zukünftigen Ehepartner, ein Haus und ein passendes Auto ausschneiden sollte – und daraus mussten wir dann ein Lebensdiagramm erstellen. Ernsthaft!

Paul: Stimmt, ich hatte den gleichen Kunstlehrer. Ich habe Britney Spears ausgeschnitten.

Daniel: Es ist doch übel, dass tatsächlich auf dem Schulplan gestanden haben muss, dass wir unsere Lebensziele auf diese Weise zu definieren haben. Ich meine, mein Lehrer wählte den Rahmen, in dem das geschehen sollte – er traf schon die Vorauswahl für uns. Ich bin so froh, dass ich jetzt etwas ganz anderes, und so gar nicht vorgefertigtes, tue. Vorher habe ich sechs Jahre lang bei Staples für acht Dollar in der Stunde gearbeitet. Das war einfach nur schrecklich. Darin sah ich nun wirklich keine Zukunft für mich und Zufriedenheit verspürte ich in diesem Job auch keine. Aber mit der Band kann ich jetzt endlich richtig etwas erschaffen und das sogar mit der Welt teilen. Ich erfülle einen Zweck.

Paul: Ja, es geht nicht mehr nur um das Überleben bis zur nächsten Bezahlung.

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Ihr habt „How Do You Feel Now?“ sogar ganz im Alleingang aufgenommen. Seid ihr noch immer zufrieden mit dem Resultat?

Daniel: Klar, wir haben schließlich neun Monate daran gearbeitet. Außerdem wurden uns jegliche Freiheiten gewährt. Nur unsere eigenen Meinungen zählten. Das war großartig! Für mich ist der Aufnahmeprozess das Schönste daran in einer Band zu spielen. Ich muss aber auch immer kreativ sein, sonst fühle ich mich richtiggehend krank.

Wie ich über euch lesen konnte, sollen die neun Monate auch eine sehr lehrreiche Zeit gewesen sein.

Daniel: Absolut. Zuvor hatten wir für unsere Musik nur Laptops benutzt, aber für die Albumaufnahme arbeiteten wir zum ersten Mal mit analogem Equipment und mussten uns da erst einmal reinfuchsen. Zu Beginn sagten wir uns noch: „Das muss man doch so und so machen.“ Am Ende war unser Motto: „Wen interessiert’s? Wir machen alles so wie wir es für richtig halten!“

Sean: Genau. Scheiß auf alles, was jeder jemals getan hat! (lacht)

Welchen Einfluss hatte Rochester auf die Albumaufnahme?

Daniel: Es war schön so nah am eigenen Zuhause zu arbeiten. Fast direkt daneben gibt es dieses Venue, in dem wir einige unserer ersten Shows gespielt haben. Und auch in der Zeit als wir unser Album aufnahmen, haben wir dort öfter als DJs aufgelegt. Das half uns auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Denn wir trafen dabei immer wieder die gleichen Leute, die uns von ihren großen Plänen erzählten, die sie aber irgendwie nie wirklich umsetzten. So was kann einen den nötigen Motivationsschub geben. Man selbst will letztlich nicht nur geredet haben, sondern auch etwas erreichen.

Paul: Im Club konnten wir auch immer mal wieder die Songs austesten, an denen wir gerade arbeiteten. Das hat ziemlich Spaß gemacht.

Mit dem Song „Carry Me“ sowie auch mit eurem Albumcover scheint ihr auf eure eigene Unvollständigkeit anzuspielen. Liege ich damit richtig?

Daniel: Das stimmt schon. Ich versuche mit der Musik immer irgendwie die Leere in mir zu füllen. Das Cover sollte auf jeden Fall auch unserer Musik entsprechen, die sich ebenso wenig auf ein Genre festlegen lässt. Es passiert so viel Unterschiedliches auf der Platte. So wie eben auch im Alter zwischen 25 und 30 jede Menge geschieht. Man lernt dazu und muss gleichzeitig auch ständig einstecken können.

Was ist das Gute an der Zeit vor dem 25. Lebensjahr?

Daniel: Ich wünschte ich könnte körperlich noch einmal jünger sein, aber mein Kopf wäre auf dem jetzigen Niveau. Aber ich habe eigentlich nie irgendwas Verrücktes getan, an das ich mich jetzt gern zurückerinnere. Wobei ich als 16-Jähriger keine Ohrstöpsel bei den Bandproben getragen habe. Sehr riskant!

Paul: Ich vermisse es wirklich so richtig jung, dumm und naiv zu sein.

Könnt ihr euch an das erste Mal erinnern als ihr versucht habt eigene Musik zu machen?

Sean: Jungs, ich weiß gar nicht, ob ich euch das schon erzählt habe… Meinen ersten Song schrieb ich in der fünften Klasse auf der Akustikgitarre und er hieß „I hate Rochester“. Danach habe ich noch einen in der sechsten Klasse gemacht, den ich „Fear“ nannte. Das war dann aber bereits in meiner gereifteren Phase, als ich sehr viel Incubus hörte. Es gibt sogar noch Aufnahmen von den beiden Songs und wir können sie gerne für ein Sampling benutzen.

Paul: Ah, wie toll! Also ich habe angefangen Percussion zu spielen als ich in der vierten Klasse war. Ich versuchte zu dem Zeitpunkt die Sounds meiner liebsten Videospiele nachzuahmen. Wobei das nicht sonderlich originell war.

Daniel: Na das ist doch ziemlich cool! Ich habe als Kind Piano und Flöte gespielt. Als Drittklässler nahm ich dann an einem Wettbewerb meiner Schule teil, bei dem jeder ein selbstkomponiertes Stück auf Band einreichen konnte. Aber mein toller erster Piano-Song wurde letztlich nicht beurteilt, weil es ein anderes Kind aus Versehen mit seinem Geplapper überspielt hatte. Ich war so wütend! Meine Revanche sollte dann im folgenden Jahr ein Stück auf der Flöte sein.

Joseph Morinelli: Ich erinnere mich an die Akustikgitarre meines Vaters, die nur drei Saiten hatte. Als ich ihn fragte, wo die anderen wären, sagte er lediglich: „Du brauchst gar nicht alle.“ (lacht) Von ihm habe ich die Leidenschaft für Gitarren-Musik. Er liebt eigentlich jedes Genre, vor allem aber alten Mississippi-Delta-Blues. Wir legten oft zusammen Platten auf und er brachte mich schließlich dazu selbst Gitarre spielen zu wollen.

Wie sieht heute eure Beziehung zu euren Eltern aus? 

Benjamin: Besser denn je, weil ich nun kaum noch bei ihnen bin. (lacht)

Daniel: Es ist eine schwierige Beziehung, weil für sie Erfolg etwas ganz anderes bedeutet als für uns in der Band. Als ich meiner Mutter von dem Huffington-Post-Artikel erzählte, der eine große Sache für mich war, fragte sie nur: „Was soll das sein?“ Für mich stellte der Beitrag ein Marker für das dar, wo wir mit der Band mittlerweile stehen. Meine Mutter interessiert aber eher, wann wir endlich bei Jimmy Fallon auftreten.

Joseph: Viel wichtiger als die Huffington Post sind auch Lokalzeitungen. Als vor einigen Monaten in einer Zeitung aus unserer Gegend ein Artikel über uns drin war, wurde uns plötzlich von den Großeltern gratuliert. Es schien so als hätten wir es genau in dem Moment geschafft. Weil wir endlich in dem Blatt vertreten waren, das vor dem Aussterben bedroht ist und nur noch von unseren Großeltern regelmäßig gekauft wird… Oh Mann! Aber wenn wir ihnen von den vielen Shows berichten, die wir so spielen, winken sie ab. Sie verstehen es eben nicht.

Sean: Meine Eltern sind dagegen total stolz und unterstützen uns, wo sie nur können. Jetzt ist es sogar so, dass sie mehr Zeit damit verbringen Neues über mich im Internet zu erfahren als richtig mit mir zu sprechen. Dadurch hat sich unsere Beziehung sehr verändert. Ich bin nicht mehr nur ihr Sohn, sondern auch so ein Typ in einer Band. Das ist echt komisch.

Interview und Fotos: Hella Wittenberg

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