Interview mit Jonathan Jeremiah

Eigentlich wollten wir doch ein Interview machen. Aber der Tag, an dem ich Jonathan Jeremiah treffe um mit ihm über sein neues Album „Oh Desire“ zu sprechen, ist einer der wenigen in diesem Winter, der uns mit wunderschön anzusehenden, tanzenden Schneeflocken beehrt, die wiederum man ganz wunderbar durch die großen Fenster der Sony BMG Büros mit Panoramablick auf den Gendarmenmarkt betrachten kann. Also trinken wir erst einmal eine Runde Kaffee und Wasser und bestaunen die Idylle.

In Deiner Heimat England schneit es nicht so oft, oder?

Einmal im Jahr vielleicht, wenn man Glück hat. Und dann höchstens für einen Tag.

Und in London bricht alles zusammen.

Glaub mir, in London bricht sogar alles zusammen wenn es regnet. Im Herbst, wenn Blätter auf den Gleisen liegen, es regnet und alles matschig wird, fahren die Züge nicht mehr. In London scheint man nie auf so etwas vorbereitet zu sein. Im Gegensatz zu Euch hier in Deutschland. Ihr seid immer auf alles vorbereitet.

Findest Du? Der Zugverkehr in Berlin ist der reine Horror.

Ist er nicht! Die Züge sind ein Traum. Sie sind sauber und leer, es gibt überall funktionierende Countdown Anzeigen..

Jetzt lass uns aber über deine Musik reden. Es ist ja schließlich sehr schöne Musik.

(lacht) Dankeschön.

Ich mag es, dass viele Menschen sich ihr offensichtlich emotional sehr verbunden fühlen.

Das ist etwas, das ich nie wirklich verstehen werde. Ich kriege oft solche E-Mails: „Wir haben einen deiner Songs auf der Beerdigung meines Freundes gespielt.“ Wie wichtig muss meine Musik in seinem Leben gewesen sein! Wenn man Songs schreibt weiß man so etwas nicht. Oder ich treffe Paare nach der Shows die mir erzählen, dass sie ein Kind bekommen haben und dies ihr erster Abend zu zweit außer Haus ist. Ich denke dann: wow, sie sind extra wegen mir aus dem Haus gegangen! Mir macht das richtig Sorgen. War ich auch gut genug? Hatten sie einen guten Abend? Sie hätten schließlich auch Kings Of Leon sehen können, das wäre bestimmt ein spitzen Abend gewesen (lacht).

Was ist der emotionale Funke, der deine Kreativität in Gang setzt?

Oh, das ist eine schwierige Frage… sieh Dir diesen wunderschönen Schnee an (lacht)! Nun, was ist der Auslöser? Ich denke, ich bin mit meinem Kopf sowieso immer woanders. Mein Vater und ich haben immer gemeinsam Filme geguckt. Soundtracks haben mich damals schon besonders fasziniert. Ich bin immer auf dem Absprung in eine andere Welt. Mein Vater hat früher Schallplatten und Kassetten auf Märkten aus dem Kofferraum verkauft. Ich habe mir oft die Tapes genommen die nicht verkauft wurden und sie mir alle angehört. Bei solchem Wetter wie heute hätte ich wahrscheinlich Marvin Gaye gehört. Ich glaube, ich habe dadurch immer so etwas wie einen eigenen Soundtrack im Kopf laufen. Es fällt mir nicht gerade leicht, mich dauerhaft zu konzentrieren. Viel schwieriger finde ich, herauszufinden worüber ich singen möchte. Meistens sind es persönliche Dinge. Während ich dieses Album gemacht habe, ist meine Mutter gestorben. Sie war sehr krank während ich daran gearbeitet habe. Sie war sehr stolz auf mich, immer wenn ich nach Hause gekommen bin hat sie laut meine Platten gespielt. Verlust ist ein großes Thema, über das ich immer schreiben kann.

Ich finde ja ehrlich gesagt, dass dein neues Album insgesamt die traurigste Stimmung bisher hat.

Wirklich? Shit! „Scheise“... Ist es traurig? Oh wie schrecklich, dann sind die Leute am Ende deprimiert…

Nein, traurig, nicht deprimierend!

…ich dachte immer mein erstes Album wäre das traurigste. Ok, sind wir mal ehrlich, alle drei sind nicht gerade fröhliche Alben. Von meinem persönlichen Gefühlszustand her würde ich sagen war die Arbeit am zweiten Album die traurigste. Trotzdem empfinde ich meine Musik aber auch als optimistisch.

Absolut! Vielleicht liegt es auch daran, dass ich dieses Album am zurück genommensten finde, was die Produktion angeht. Der Sound ist nicht so opulent.

Ja, da würde ich Dir zustimmen. Wenn Du Musik machst und möchtest, dass sie gehört wird, dann gibt es bestimmte Standards die sie erfüllen sollte, um zum Beispiel im Radio gespielt zu werden. Bei diesem Album hatte ich das Gefühl, mich von all dem frei machen zu können. Ich wollte nichts hinterher jagen. Das ist eine gute Position, in der man sich befindet.

Ich kann mir vorstellen, dass das ein sehr befreiender Ansatz ist. Ich finde die Gabe, überhaupt einen Song schreiben zu können, regelrecht magisch. Ich wüsste nicht, wie das gehen sollte.

Es ist Folter! Ich weiß nicht, wie Bands wie Coldplay es machen, die mit ihren Songs so viele tausende von Menschen erreichen. Ich schreibe einen Song eigentlich immer für eine Person. Vielleicht machen sie es auch so. Wenn ich das Gefühl habe, ich habe diese eine Person erreicht, dann ist es irgendwie gut. Dann könnte der Song auch anderen gefallen. Aber manchmal denke ich, was mache ich in ein paar Jahren, wenn ich an meinem vierten, vielleicht fünften Album arbeite? Ich kann mir manchmal nicht vorstellen, dann noch zu wissen worüber ich schreiben soll.

Hast du Kinder?

Zwei. Zwillinge. Sie sind vier Jahre alt.

Oh wow! Aber dann kann ich mir nicht vorstellen, dass die Inspiration Dir je ausgehen wird.

Das hoffe ich! Ich bin sehr fasziniert von Menschen die viel schreiben. Bei mir passiert das eher phasenweise. Ich wünschte manchmal, ich könnte abstrakter arbeiten. Das ist so gar nicht meins. Ich kann immer nur über das schreiben, was gerade passiert. Welche Songwriter bewunderst Du denn so?

Ich bin großer Arcade Fire Fan.

Das kann ich nachvollziehen.

Und ich liebe Jack White.

Oh Gott, ja. Ist er nicht so einer, der Songs innerhalb eines Tages schreibt?

Ich glaube der schreibt Dir zur Not einen in ein paar Stunden.

Unglaublich. Keine Ahnung ob ich das könnte. Vielleicht schon. Aber meine besten Songs sind für mich die, die Zeit brauchen. Sie entwickeln sich langsam. Manche Künstler schreiben ja über 50 Songs für ein Album und suchen daraus dann die besten aus. So läuft es bei mir nicht. Ich habe gar nicht so viel auf einmal zu sagen. Ich könnte jetzt einen Song darüber schreiben wie Du und ich hier sitzen und dem Schnee zugucken. Und in sechs Monaten würde ich darüber vielleicht noch einmal aus einer anderen Perspektive schreiben.

Ach, das wäre herrlich! Jonathan, vielen Dank für dieses tolle Gespräch!

Interview: Gabi Rudolph